Editorial

Optogenetik bei Tageslicht

(01.07.2020) Bisher schauten Pflanzen­forscher etwas neidisch auf die opto­genetischen Werkzeuge ihrer mit Säuger­zellen arbeitenden Kollegen. Bis jetzt!
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Bei der Optogenetik nutzt man natürlich vorkommende Licht­rezeptoren, um zelluläre Prozesse auf Kommando an- und auszuschalten. Dazu exprimiert man das zu untersuchende Protein als Fusion mit einer extra­zellulären lichtsensitiven Protein­domäne (Photosensor). Bei einem passenden Lichtreiz ändert der Sensor seine drei­dimensionale Struktur, was sich wiederum auf das Dimeri­sierungs­verhalten, die Stabilität oder ähnliche Eigen­schaften des gesamten Fusionsproteins auswirkt.

Während optogenetische Werkzeuge in der tierischen Forschung einen festen Platz unter den Standard­methoden eingenommen haben, hinken sie in der Pflanzen­forschung noch etwas hinterher. Der Grund dafür ist einleuchtend: Pflanzen reagieren von Natur aus auf Licht. Wenn ein System auf Licht anspricht und zu einem bestimmten Zeitpunkt ausgelöst werden soll, muss das Unter­suchungs­objekt vorher im Dunkeln kultiviert werden oder zumindest abseits eines bestimmten Wellen­längen­bereichs. Photo­synthetische Pflanzen brauchen jedoch das komplette Spektrum des Tageslichts zum Leben.

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Lichtschalter für Pflanzen

Matias Zurbriggen von der Universität Düsseldorf und seine Kollegen von der Universität Freiburg zeigen einen Weg aus diesem Dilemma. Sie entwickelten sogenannte Plant Usable Light-Switch Elements (PULSE), mit denen man die Genexpression in Pflanzen auch bei Tageslicht reversibel steuern kann.

Beim PULSE-Werkzeug sind zwei Photo­sensoren raffiniert miteinander kombiniert: Einer spricht auf Blaulicht an und ist an einen transkrip­tionellen Repressor gekoppelt. Der andere reagiert auf Rotlicht und trägt als Anhängsel einen Aktivator. Der Grundgedanke ist, dass sich die Wirkungen der beiden Schalter gegenseitig aufheben – solange sie gleichzeitig und gleichstark aktiviert werden. Bei Tageslicht mit den entsprechenden Anteilen von Rot- und Blaulicht passiert demnach nichts und auch im Dunkeln fehlen die nötigen Lichtreize, um die Sensoren zu aktivieren beziehungs­weise zu reprimieren. Bestrahlt man sie jedoch mit mono­chromatischem Rot- oder Blaulicht, wird entweder der Rotlicht-Sensor aktiviert oder der Blaulicht-Sensor reprimiert. Das PULSE-Werkzeug funktioniert also wie ein Lichtschalter, den man immer wieder an- und abschalten kann.

Mit Luciferase-Reporter

Wie sehen die PULSE-Konstrukte im Detail aus? Beide Photo­sensoren werden vom konstitutiven CaMV-35S-Promoter angetrieben, damit ihre Reaktion gleichzeitig und gleich stark erfolgt. Das Repressor-Modul (BOff) basiert auf dem EL222-Photo­sensor aus Erythro­bacter lioralis. Dessen Light-Oxygen-Voltage (LOV)-Domäne dimerisiert bei Blaulicht, wodurch die anhängende DNA-Bindedomäne die Zielmotive C120 kontaktiert. An die Blaulicht-Antenne haben die Forscher ein Transkriptions-Repressor­peptid geknüpft. Das als Reporter verwendete Firefly-Luciferase-Reportergen (FLuc) wird von einem synthetischen Promoter kontrolliert, der aus fünf C120-Motiven, einem Enhancer-Element sowie einer Minimal-Domäne für die konstitutive Expression besteht. Transformiert man Pflanzen­zellen mit diesem Konstrukt, produzieren sie am Tag und in der Nacht Luciferase. Drückt man jedoch den Ausschalter und bestrahlt sie mit mono­chromatischem Blaulicht, entfaltet sich EL222, dimerisiert, aktiviert den Repressor und schaltet die Luciferase ab.

Das Aktivator-Modul (ROn) hat Zurbriggens Gruppe schon 2014 entworfen (Mol Biosyst, 10(7):1679-88). Es besteht aus zwei unabhängigen Teilen: Einer Rotlicht-responsiven Phytochrom (PhyB)-Domäne (650 Aminosäuren), fusioniert an die klassische Trans­aktivierungs­domäne VP16, sowie einer DNA-Bindedomäne mit einem Anhängsel der ersten 100 Aminosäuren des Phytochrom-interagierenden Faktors 6 (PIF6).

Unter Rotlicht ändert PhyB seine dreidimensionale Struktur und greift sich PIF6 als Partner. Durch die Entstehung dieses Heterodimers finden DNA-Binde- und Trans­aktivierungs­domäne zueinander und bilden den fertigen Transkriptions­aktivator, der an das Promoter-Element etr8 bindet. Dieses Element verwendeten die Forscher im oben beschriebenen FLuc-Reporter­konstrukt und positionierten es kurz vor den C120-Motiven. Damit kontrollieren Rotlicht-getriebener Aktivator und Blaulicht-getriebener Repressor dasselbe Zielgen und fahren es rauf beziehungs­weise runter. Bei Tageslicht oder im Dunkeln sind die beiden Promoter-Regionen etr8 sowie C120 belegt beziehungs­weise leer. Unter mono­chromatischem Rot- oder Blaulicht ist dagegen nur die aktivierende oder die reprimierende Promoter-Region belegt.

Die Werte passen zusammen

Zurbriggens Mitarbeiter testeten das PULSE-System zunächst in Arabidopsis-Protoplasten. Dazu bestrahlten sie die Zellen achtzehn Stunden lang mit Rot-, Blau- oder Weißlicht. Nach der Rotlicht-Bestrahlung beobachteten sie fast 400-fach stärkere Luciferase-Signale im Vergleich zu unbeleuchteten oder mit Weißlicht-bestrahlten Zellen. Die Gruppe dachte sich daraufhin ein mathematisches Modell aus, um die Induktion des Reportergens vorhersagen und das System kontrollieren zu können. Die Vorhersagen des Modells zu Ausmaß und Zeitverlauf der FLuc-Expression in Abhängigkeit von Bestrah­lungsintensität, Wellenlänge und Bestrah­lungsdauer passten gut zu den experimentell ermittelten Werten.

Was lässt sich mit einem so präzise steuer­baren Lichtschalter anfangen? Das FLuc-Reportergen kann man gegen ein beliebiges anderes Zielgen tauschen. Zurbriggen und seine Kollegen gingen hier sehr pfiffig vor: Sie ersetzten FLuc durch dCas9, die inaktive Form der Nuklease Cas9 und statteten diese mit einer starken Aktivator­domäne (TV) aus. Das Team erhielt hierdurch einen Transkriptions­aktivator, der von einer guide RNA (gRNA) zum Zielgen geführt wird. Da die rRNA die Spezifität vorgibt, kann man das lichtresponsive dCas9-TV-Konstrukt für jedes beliebige zu regulierende Zielgen einsetzen.

Je nachdem, welche gRNA man in Zellen koexprimiert, wird dCas9 zu der entsprechenden Sequenz in einem anvisierten Promoter geleitet, um das von diesem gesteuerte Zielgen zu aktivieren. Das funktioniert auch in ganzen Arabidopsis-Pflanzen sowie in transient, mit Agro­bacterium transformierten Tabakblättern. Nach neun Stunden Rotlicht beobachtete Zurbriggens Mannschaft in Tabak eine fast dreißigfach erhöhte Fluoreszenz des Zielgens Cerulean.

Das PULSE-Werkzeug eröffnet Pflanzen­forschern das gleiche optogenetische Repertoire wie ihren mit Säugerzellen arbeitenden Kollegen, um zum Beispiel Kinase-Aktivitäten, die subzelluläre Lokalisation oder den gezielten Proteinabbau in Pflanzen zu steuern.

Andrea Pitzschke

Ochoa-Fernandez et al. (2020): Optogenetic control of gene expression in plants in the presence of ambient white light. Nature Methods, DOI:10.1038/s41592-020-0868-y

Foto: Leonie-Alexa Koch, Institut für Synthetische Biologie, Universität Düsseldorf




Letzte Änderungen: 01.07.2020