Editorial

Zellen statt Tiere

(27.07.2020) Alternative Methoden zu Tierversuchen – wie Zellkultur-Modelle – haben sich in der COVID-19-Forschung als besonders zuver­lässig und schnell erwiesen.
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Als Anfang des Jahres die ersten COVID-19-Patienten in die Kranken­häuser kamen, ging durch die Pharma-Firmen und Forschungs­zentren der Welt ein Ruck – denn plötzlich gab es viele Fragen zu klären: Was bewirkt das Virus im menschlichen Körper und wo können Medikamente ansetzen? Haben wir vielleicht sogar schon Substanzen entwickelt (und womöglich in Schubladen vergessen), die wir gegen diese neue Krankheit einsetzen können? Was ist mit einer Impfung? Überall stand auf einmal SARS-CoV-2 im Mittelpunkt der Forschung. Dabei mussten sich die Wissenschaftler besonders auf In-vitro-Methoden verlassen, denn gute Tiermodelle, um schnell genug Daten zu produzieren, gab es nicht.

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Maus ist nicht gleich Mensch

„Virus-Infektionen sind der Prototyp von Krankheiten, die sehr spezifisch für nur eine Spezies sind“, schreibt eine Gruppe von Autoren um Marcel Leist, Professor für In-vitro-Toxikologie und Biomedizin an der Uni Konstanz, in einem aktuellen Beitrag über In-vitro-Methoden in der COVID-19-Forschung (Arch Toxicol, 94(6):2263-72).

Zum Glück gibt es diese Methoden, die ohne Versuchstiere auskommen, bereits seit Jahren, berichtet uns Marcel Leist, der europaweit den einzigen Lehrstuhl für alternative Ersatz­methoden zu Tier­versuchen besetzt. „Bei der COVID-19-Forschung ist das Problem, dass Mäuse gar nicht erkranken“, erklärt er. Daher muss erst eine humani­sierte Mauslinie erzeugt und die Tiere in aus­reichenden Mengen vermehrt werden. „Aber diese Mäuse spiegeln immer noch nicht die Situation im Menschen wider“, gibt Leist zu bedenken. An transgenen Mäusen hätte man beispiels­weise gar nicht zeigen können, dass das Virus auch das Nerven­system befällt (ALTEX, DOI: 10.14573/altex.2006111). “Weil man dort ja selbst bestimmen müsste, ob die Rezeptoren in Nerven­zellen exprimiert werden oder nicht“.

Faktor Zeit

Ein anderer Faktor ist Zeit: Während sich SARS-CoV-2 rasant über die Kontinente hinweg seinen Weg bahnte, suchten Ärzte und Pharma-Firmen hände­ringend nach Behandlungs­möglichkeiten. Da waren die zellulären Tests im Labor bereits dreimal wiederholt, bevor die transgenen Mäuse überhaupt einen Wurf hervor­gebracht hatten.

Marcel Leist berichtet von unzähligen alternativen Methoden zu Tierversuchen, kurz NAM – New (animal-free) Approach Methods –, die nur auf ihren Einsatz warteten: „Es gab zum Beispiel bereits Modelle von menschlichen Lungen, an denen jetzt ganz schnell Virus-Ausbreitung, -Replikation und Arznei­mittel­wirkung untersucht werden konnten“, erzählt er. Und potentielle Wirkstoff-Kandidaten gab und gibt es einige. Gefühlt jede Woche kommen die Pharma-Firmen mit neuen Substanzen an die Öffent­lichkeit, die sie womöglich noch irgendwo im Keller hatten. Der Toxikologe betont: „Natürlich geht das Testen nur mit zellulären Systemen“.

Dabei ist die pharma­kologische Wirkung auf das target, also etwa die Hemmung der Virus-Replikation, nur die eine Seite der Medikamenten-Medaille. Weiterhin muss untersucht werden, ob der Wirkstoff dem Meta­bolismus des Patienten standhält und ob er möglicher­weise unerwünschte Neben­wirkungen auslöst. Für beides gibt es inzwischen NAM, mit denen nun auch potentielle COVID-19-Arzneimittel auf Herz und Nieren geprüft werden. Marcel Leist erklärt: „Metabolische Stabilität kann in vitro mit Hepato­zyten getestet werden und sogar für viele mögliche Neben­wirkungen, wie Mutagenizität und Allergie, gibt es anerkannte NAM. Mit diesen Systemen kamen die Forscher in den letzten Monaten sehr schnell sehr weit.“

Für eine saubere wissenschaftliche Basis

Es geht sogar noch weiter, denn neben Studien zur Effizienz und zur Toxizität geht es auch um die Qualität eines Arzneimittels. „Qualitätsprüfungen sind besonders wichtig bei Impfstoffen, die ja von der Protein-Konfor­mation abhängen“, erklärt Leist. Außerdem könnte es auch Endotoxin-Verun­reinigungen geben und daher muss jeder Batch getestet werden, bevor er zum Patienten kommt. „Hier ist in den letzten 20 Jahren wahnsinnig viel entwickelt worden an Alternativ­methoden. Natürlich nicht nur um Tiere einzusparen, sondern einfach um eine sauberere wissen­schaftliche Basis zu bekommen“.

So wurde zum Beispiel an der Uni Konstanz ein Endotoxin-Test entwickelt, der es bis zur Marktreife und inter­nationalen Akzeptanz bei Behörden gebracht hat. Die Idee ist diese: Endotoxine, die Impfstoffe verun­reinigen können, stimulieren bestimmte Rezeptoren auf Makro­phagen, nämlich toll like receptors (TLR). Daraufhin werden Cytokine freigesetzt – im Patienten kann eine übermäßige Cytokin-Freisetzung, ein sogenannter Cytokin-Sturm, lebens­gefährlich sein.

Klassischerweise testet man die Impfstoffe daher vor dem Vertrieb in Kaninchen. Es geht aber auch Kaninchen-frei: „Mein Kollege Thomas Hartung hatte die zündende Idee, einfach einen Tropfen menschlichen Bluts zu nehmen, die Substanz dazu­zugeben und nach 1,5 Stunden Cytokine zu messen. Wenn die Blutzellen Cytokine freisetzen, waren eben Endotoxine im Impfstoff, ansonsten nicht“. Außerdem sei der Test sensitiver, spezifischer und genauer als der Kaninchen-Test, wie sich in Ring­versuchen heraus­gestellt hat. Auch bei der Vorhersage von Mutagenizität sind In-vitro-Methoden schon seit 20 Jahren etabliert.

Auch aus der Impfstoff-Forschung hört man mittlerweile einen Ruf nach alternativen Methoden. So plädierte Immunologe Leif-Erik Sander kürzlich auf LJ Online dafür, Impfstoff-Kandidaten zuerst an mensch­lichen Zellmodellen zu testen (siehe „Wunderwaffe hinterfragt“ vom 08.06.2020).

Ein Riesenvorteil

Klar ist, dass solche Tests nur entwickelt werden können, wenn man die Biologie dahinter kennt – wie etwa beim Endotoxin-Test. Und dass sehr viel Forschung benötigt wird, um NAM zu entwickeln. Aber Leist unterstreicht: „Die Corona-Pandemie zeigt jetzt, dass es ein Riesen­vorteil war, dass ein paar Leute schon Erfahrung hatten mit ent­sprechenden In-vitro-Methoden, die das Screening wahnsinnig beschleunigt haben. Und das muss man auch in Zukunft fördern, indem Forschungs­gelder dafür bereit­gestellt werden.“

Er selbst macht an seinem Lehrstuhl für alternative Ersatz­methoden zu Tier­versuchen nichts anderes. „Wir entwickeln Alternativ­methoden im Kontext von BMBF-Projekten und europäischen Projekten. Die meisten Projekte haben etwas mit neuronaler Entwicklung zu tun, viele auch mit allgemeiner Embryonal­entwicklung, und ein paar auch mit Leber­toxizität. Wir entwickeln aber nicht spezifisch Infektions­modelle, sondern generelle Modelle für die Toxikologie“, erklärt er und fährt fort, „Wir sind interessiert an Chemikalien, die die Entwicklung des zentralen Nerven­systems stören, also zum Beispiel zu Autismus führen oder kognitiven Defiziten.“

Dabei gehe es zum Beispiel um leichte Auswirkungen, wie vielleicht fünf IQ-Punkte weniger, oder aber die Wahr­scheinlichkeit, später Schizophrenie zu entwickeln. „Und da möchte ich doch mal die Tiermodelle dazu sehen. Oder zu Migräne, gibt es da Tiermodelle?“ fragt sich Leist. „Man ist sich manchmal gar nicht im Klaren darüber, wie problematisch es ist, etwas im Tiermodell zu sehen“, sagt der Professor.

Die Mischung macht‘s

Natürlich können NAM nicht alle Aspekte der Medika­menten-Entwicklung und Forschung abdecken, selbst zu Virus-Infektionen wie COVID-19 nicht. Aber genauso wenig sind Tiermodelle alleine der richtige Weg. Toxikologe Leist setzt auf komple­mentäre Ansätze: „Vielleicht kann in Zukunft auch einiges an Mäusen erforscht werden und vielleicht einige Frage­stellungen besser beantwortet werden. Aber ich würde nicht alle meine Aktien in denselben Topf werfen“. Der Professor ist überzeugt, dass NAM die Zukunft sind. Aber man müsse sie, zumindest jetzt noch, mit traditionellen Methoden wie Tier­versuchen kombinieren.

Karin Lauschke

Foto: Public Domain

 



Letzte Änderungen: 27.07.2020