Editorial

Die Suche läuft weiter

(03.08.2020) Ein Ebola-, ein Aids-, ein Malaria- und ein Arthritis-Mittel – bisher konnte kein Wirkstoff SARS-CoV-2 Paroli bieten. Hat man auf die falschen Pferde gesetzt?
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Aktuell wird in den Medien gern und oft der Wettlauf um den ersten COVID-19-Impfstoff thematisiert. Wer macht das Rennen? Biontech oder Curevac, oder doch Moderna? Ob es diesen lebens­rettenden Impfstoff jemals oder in abseh­barer Zeit geben wird, ist unklar. Größere Erfolgs­aussichten, aber etwas weniger mediale Aufmerk­samkeit, hat wohl die weltweite, ebenso intensive Suche nach einem Medikament – zugelassen oder experimentell –, das Menschen hilft, die bereits erkrankt sind.

Gleich zu Beginn der Pandemie setzte die WHO vor allem Hoffnung auf Substanzen, die schon bei früheren Epidemien (der SARS-Epidemie 2002/2003 und der Ebolafieber-Epidemie 2018/2019) mehr oder weniger erfolgreich zum Einsatz kamen. Im sogenannten Solidarity Trial, der seit März läuft, testen Kliniken in mehr als 100 Ländern die fünf Wirkstoffe: Remdesivir, Lopinavir, Ritonavir, Interferon-beta und (Hydroxy-)­Chloroquin – allein oder in Kombination.

Wie die meisten von uns sicher mitbe­kommen haben, ist Remdesivir, ein RNA-Polymerase-Inhibitor, inzwischen sowohl in den USA als auch in Europa (Handelsname: Veklury) unter Auflagen zugelassen. Allerdings ist es nicht das Wundermittel, das sich alle erhofft haben. Einzig die Behand­lungsdauer scheint sich mit Remdesivir zu verkürzen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Synthese wohl recht aufwendig ist – ganze 7 Synthese-Schritte werden benötigt. Und es muss intravenös verabreicht werden – der Patient muss dazu also in einem Krankenhaus betreut werden.

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Warum so kompliziert?

Texanische Chemiker wundern sich deshalb, warum die Hersteller­firma Gilead nicht auf ein anderes Produkt in ihrem Portfolio setzt (ACS Med Chem Lett, 11(7):1361-66). GS-441524 lässt sich viel leichter synthe­tisieren (in nur drei Schritten), ist kleiner, weniger toxisch, wasserlöslich und ein sogenanntes „parent nucleoside“ von Remdesivir. Das heißt: als Prodrug wandelt sich Remdesivir im Körper ohnehin in GS-441524 um, danach braucht es nur noch ein paar wenige Kinase-vermittelte Schritte zu GS-441524-Triphosphat – die eigentliche, antiviral wirkende Substanz. Wegen der kleinen Größe und Wasser­löslichkeit von GS-441524 ließe es sich möglicher­weise sogar als Inhalations­spray verabreichen.

Außerdem, schreiben die Texaner, hat sich die Substanz in der Tierarzt­praxis bereits bewährt. Denn auch Katzen können sich mit Corona­viren infizieren und entwickeln dann eine Feline Infektiöse Peritonitis, die mit Appetit­losigkeit und Fieber einhergeht – und in vielen Fällen tödlich endet. „Tierärzte, mit denen wir gesprochen haben, sagten uns, dass durch die starke antivirale Aktivität von GS-441524 das Schicksal der infizierten Katzen eine fast wundersame Wendung nahm“, schreiben die texanischen Chemiker in einem Beitrag für STAT. Warum also bleibt Gilead beim kompli­zierteren Remdesivir? Patente, Profit mutmaßen die Texaner und schicken hinterher, dass das Patent von GS-441524 bereits 11 Jahre alt ist, das von Remdesivir erst 3.

Wenig überzeugend

Bei Remdesivir/GS-441524 besteht also weiterhin Hoffnung, wie sieht‘s mit der ebenfalls klinisch getesteten HIV-Kombi Lopinavir/Ritonavir (Handelsname: Kaletra) aus? Bei In-vitro-Versuchen und auch im Tiermodell gab es Hinweise auf eine antivirale Aktivität gegen SARS- und MERS-Coronaviren. Verabreicht wurde es deshalb auch während der SARS-Epidemie 2002/3. So richtig überzeugen konnte das Wirkstoff-Duo (Ritonavir verhindert den meta­bolischen Abbau von Lopinavir) damals aber nicht. Dennoch schickte Hersteller AbbVie Anfang dieses Jahres Kaletra-Dosen im Wert von zwei Millionen Dollar nach China. Half alles nix. Bereits im März vermeldeten chinesische Wissen­schaftler im NEJM: „No benefit beyond standard care“.

Der Grund für die Wirkungs­losigkeit scheint offensichtlich. Denn entwickelt wurde der Inhibitor passgenau für die Protease des HI-Virus. Das entsprechende SARS-CoV-2-Enzym verfügt jedoch nicht über eine C2-symmetrische Bindetasche wie die HIV-Variante. Schweizer Wissen­schaftler haben außerdem kürzlich berechnet, dass noch nicht mal genug des Wirkstoffs in der Lunge ankommt, um überhaupt einen Effekt zu haben (Antimicrob Agents Chemother, AAC.01177-20). Außerdem scheint auch die oft parallel verlaufende Entzün­dungsreaktion im Körper des Patienten die Verstoff­wechselung des Präparats zu beeinflussen. Keine idealen Voraus­setzungen für eine erfolgreiche Behandlung also.

Über (Hydroxy-)Chloroquin wurde ja schon einiges gesagt und auch die neuesten Daten deuten immer mehr darauf hin, dass das Malaria-Mittel absolut nichts gegen SARS-CoV-2 ausrichten kann (Nature, DOI: 10.1038/s41586-020-2575-3). Schlimmer noch: Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen, dass Patienten, die mit Hydroxy­chloroquin behandelt wurden, durchschnittlich sogar länger im Krankenhaus bleiben mussten und auch das Risiko dafür stieg, dass eine invasive Beatmung nötig wurde oder der Patient verstarb (medRxiv, DOI: 10.1101/2020.07.15.20151852). Kurz zuvor hatte die WHO bereits beschlossen, sowohl die (Hydroxy-)­Chloroquin- als auch die Lopinavir/Ritonavir-Studien zu beenden.

Zytokin mit Potenzial

Bleibt noch Interferon-beta, das in seiner rekombinanten Form als Interferon-beta 1a zur Therapie von Multipler Sklerose eingesetzt wird. Das Zytokin wirkt immun­modulierend, antiviral und antiproliferativ. Allerdings wird es im Solidarity Trial der WHO nur in Kombination mit dem HIV-Mittel Kaletra getestet, nicht allein, und dürfte somit auch erstmal vom Tisch sein. Allerdings ...

… hat die Europäische Arzneimittel-Agentur vor zwei Jahren der finnischen Pharmafirma Faro Pharmaceuticals den Orphan-Arzneimittel-Status (für die Behandlung seltener Erkrankungen) gewährt, um mit Interferon-beta – aufgepasst! – auch akutes Lungen­versagen zu behandeln. Hmm.

Und es gibt weitere Argumente dafür, Interferone noch nicht abzuschreiben. In Science detaillierten französische Wissen­schaftler erst kürzlich das Profil einer schweren, meist tödlich verlaufenden Infektion (DOI: 10.1126/science.abc6027). Bereits vor der Verlegung auf die Intensiv­station hatten Patienten einen auffälligen Mangel an Interferonen, besonders Interferon-alpha. Abhilfe könnte eine Behandlung mit Interferon-alpha oder -beta schaffen, schreiben die Franzosen. Zusammen mit entzündungs­hemmenden Wirkstoffen.

Auch außerhalb des Solidarity Trials der WHO werden momentan weitere, sehr unter­schiedliche Substanzen klinisch auf ihre Wirksamkeit gegen COVID-19 geprüft. Häufig fällt hier der Name Tocilizumab (Handelsname: RoActemra), ein humanisierter, monoklonaler Antikörper, der den Interleukin-6-Rezeptor bindet und ihn damit für seinen eigentlichen Liganden, das entzündungs­fördernde Interleukin-6, unerreichbar macht. Zugelassen ist der therapeutische Antikörper zur Behandlung von Arthritis, und auch beim Zytokin-Freisetzungs­syndrom, kurz Zytokin-Sturm, einer häufigen Nebenwirkung von CAR-T-Zell-Therapien in der Krebs­behandlung. Rund 60 Studien von Phase 1 bis 3 listet die Datenbank ClinicalTrials.gov zu Tocilizumab und COVID-19. Ende Juli musste Hersteller Roche allerdings bekannt­geben, dass eine Behandlung mit Tocilizumab zu keiner „Verbesserung des klinischen Zustands der Patien­tinnen und Patienten nach 28 Tagen“ geführt hat. Die noch laufenden Studien mit Tocilizumab sollen jedoch weitergeführt werden.

So wie es aussieht, können die bisherigen Favoriten den hohen Erwartungen nicht gerecht werden. Hat jetzt die Stunde der Außenseiter, der „unlikely candidates“, geschlagen? Kandidaten wie IMU-838 – oder etwas poetischer „vidofludimus calcium“ – der Immunic AG? (Mehr zur Geschichte des bayrischen Unternehmens verrät CSO Hella Kohlhof in unseren Sommer-Essays).

COVID-19 und Morbus Crohn

In einer Phase-2-Studie testet das Unternehmen momentan den Dihydro­orotat-Deydrogenase-Hemmer, mit dem eigentlich chronisch entzündliche und Auto­immun­krankheiten wie Multiple Sklerose oder Morbus Crohn behandelt werden sollten gegen COVID-19. Die Substanz, die metabolisch aktivierte T- und B-Zellen unter Stress setzt und dadurch die Freisetzung proinflam­matorischer Zytokine verhindert, kann bequem mit einem Glas Wasser einge­nommen werden. In präklinischen Tests hatte der Wirkstoff seine Entwickler mit der Fähigkeit überrascht, auch die Repli­kation von SARS-CoV-2 zu hemmen. Ergebnisse der klinischen Studie erwartet das Unter­nehmen Ende des Jahres.

Noch nicht ganz in der Klinik angekommen ist ein weiterer, unge­wöhnlicher Kandidat: Ein Aptamer namens BC 007, das eigentlich in Herz­muskelzellen beta1-Adrenozeptor-Autoantikörper neutralisieren soll, die, wenn vorhanden, Herz­erkrankungen auslösen können. Die kurze, einzelsträngige DNA bindet wohl auch das Spike-Protein von SARS-CoV-2 und stoppt sowohl das Eindringen des Virus in die Wirtszelle als auch seine Replikation. Berlin Cures, ein Spin-off des Max-Delbrück-Centrums und der Charité mit Sitz im schweize­rischen Zug plant mit BC 007 nun eine Phase-2/3-Studie und will in den nächsten Monaten die ersten Patienten rekrutieren.

Wie auf einen Impfstoff muss wohl auch auf ein wirklich wirksames Medikament noch eine Weile gewartet werden. Optionen scheint es aber einige zu geben. Von A wie Aptamer bis Z wie Zytokin(hemmer).

Kathleen Gransalke

Bild: Pixabay/qimono






Letzte Änderungen: 03.08.2020