Editorial

Das Fünf-Finger-Fossil

(10.08.2020) Die möglichen Vorfahren der Amphibien, die Temno­spondylen, hatten schon im Trias ihre Fingerzahl im Vorderfuß auf vier reduziert. Aber nicht alle.
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Rekonstruktion des Metoposaurus

Alle guten Dinge sind vier, dachten sich vor ein paar Millionen Jahren wohl angehende Amphibien. Aus einer viel­strahligen Flosse machten die ersten Land­wirbeltiere (Tetrapoden) während des Übergangs vom Wasser ans Land immer weniger Strahlen, und legten damit die späteren Vorder- und Hinter­gliedmaßen mit Zehen und Fingern an. Acanthostega, ein vor 365 Millionen Jahren aquatisch lebendes Land­wirbeltier, hatte beispielsweise acht Zehen im bereits gut ausge­bildeten Vorderfuß.

Schließlich kamen die heutigen Amphibien bei vier Zehen im Vorderfuß raus. Das muss genügen für Frosch, Salamander und Molch. Ausnahmen wie der Grottenolm (Proteus anguinus) mit nur drei Fingern im Vorderfuß und vier statt den üblichen fünf Zehen im Hinterfuß sowie natürlich die Schleichen­lurche, die gleich komplett auf Gliedmaßen verzichten, bestätigen die Reduktions-Regel.

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Fünf oder weniger

„Eine Verringerung der Finger- und Zehenzahl ist während der Tetrapoden-Evolution häufiger vorgekommen, aber es ist noch nicht bekannt, wann oder wie oft die Zahl der Zehen auf fünf oder weniger reduziert wurde“, schreiben Bonner Palä­ontologen um Martin Sander in einem aktuellen Paper (J Anat, DOI: 10.1111/joa.13276).

Vor 334 Millionen Jahren, also etwa 20 Millionen Jahre nach dem 8-fingrigen Acanthostega, bewegte sich Casineria kiddi beispielsweise bereits auf einer fünf­strahligen Hand übers Land, um – sehr wahr­scheinlich – Insekten zu jagen. Ob er zur Amphibien- oder zu Reptilien-/Säuger-Linie, also zu den Amnioten gehört, ist jedoch noch ungeklärt.

Wenige Millionen Jahre später tauchten dann die ersten sogenannten Schnitt­wirbler (Temno­spondylen) auf, nicht-amniotische Tetrapoden, die in ihrer Erschei­nungsform Krokodilen oder Salamandern ähnelten. Von diesen waren bisher nur Funde mit vier Fingern am Vorderfuß bekannt.

Allerdings war man sich da auch nicht so ganz sicher. „Bemer­kenswert ist, dass selbst für den sehr gut unter­suchten Eryops [ein Temno­spondyl, der vor ca. 295 Millionen Jahren lebte) die Skelett-Rekonstruktion, die im Muséum national d'Histoire naturelle in Paris ausgestellt ist, fünf Finger aufweist, während im National Museum of Natural History in Washington nur vier Finger zu sehen sind“, sagt Ella Teschner, eine Mitautorin des Papers in einer Presse­mitteilung.

Knochen im Dinopark

Die Bonner Palä­ontologen fanden nun im südwest-polnischen Krasiejów, einer bekannten Fossil­lagerstätte aus dem Obertrias (vor 235–201 Millionen Jahren), einen konkreten Hinweis. Neben Atlas­knochen, Schlüsselbein, Schulter­blatt, Ober- und Unterarm­knochen entdeckten sie den linken Vorderfuß eines 225 Millionen Jahre alten Metopo­saurus krasiejowensis – mit fünf Mittel­handknochen, also auch fünf Fingern.

Bekannt ist, dass Metopo­saurus krasiejowensis die meiste Zeit im Wasser verbrachte und seine Gliedmaßen nicht zum Laufen, sondern als Flossen nutzte. Ist die Fünf­fingrigkeit also eine Rück­anpassung an ein Leben im Meer? Die Forscher jedenfalls gehen davon aus, dass bei Temno­spondylen vier Finger das ursprüngliche Merkmal sind. Es könnte sich jedoch auch um eine Missbildung handeln. „Selbst wenn die hier beschriebene Verknöcherung von fünf Mittel­handknochen nur eine Pathologie wäre, zeigt sie dennoch, dass Fünf­strahligkeit bei Temno­spondyli möglich gewesen ist“, sagt Erstautorin Dorota Konietzko-Meier in der Presse­mitteilung der Uni Bonn.

Welchen Finger hat sich M. krasiejowensis aber „neu“ zugelegt? Den Daumen oder den kleinen Finger? Bei Fröschen ist es so, dass sie evolutionär den Daumen (Finger I) verloren haben, Salamander dagegen Finger V, also den kleinen Finger. Bisher gibt es nur ein Temno­spondylen-Beispiel, bei dem man die Verknö­cherungs­sequenz zu kennen glaubt. Apateon, ein Molch-ähnlicher Schnittwirbler, der vor 300 Millionen Jahren lebte, verzichtete wohl auf Finger V, ähnlich wie die Salamander.

Weder Frosch noch Salamander

Bei M. krasiejowensis jedoch ist der fünfte Finger gut entwickelt und verknöchert. Bei ihm wurde der Daumen zuletzt verknöchert, schreiben die Autoren. „Der gut entwickelte fünfte Finger lässt vermuten, dass die Metopo­saurus-Hand eine einmalige Verknö­cherungs­sequenz aufweist: Die Reduzierung oder späte Ver­knöcherung des ersten Fingers stimmt überein mit dem Frosch-Muster, die zeitige Entwick­lung des zweiten und dritten Fingers macht Metopo­saurus ähnlich zu Salamandern“. Das Taxon liegt also irgendwo zwischen diesen beiden Haupt­mustern der Hand- und Fußver­knöcherung. Auch Amnioten (Reptilien, Vögel, Säugetiere) folgen übrigens dem Frosch-Muster.

Ob die Temno­spondylen aber tatsächlich die Vorfahren der heutigen Amphibien sind, ist umstritten. Einiges spricht dafür, Schädel- und Zahn­morphologie zum Beispiel. Es gibt aber auch die Hypothese, dass sie von den Lepospondylen, den Hülsenwirblern, abstammen, oder gar, dass Frösche und Salamander aus den Temnospondylen hervor­gegangen sind und die Schleichen aus den Hülsen­wirblern. Palä­ontologen müssen also noch weiter­graben, nach Fossilien und mehr Hinweisen auf die Evolution der Land­wirbeltiere.

Kathleen Gransalke

Bild: Sudipta Kalita

P.S. Vielleicht werden sie sogar im Thüringer Wald fündig. Die „Bromacker“-Fundstelle in der Nähe von Tambach-Dietharz beherbergt eine Vielzahl von Fossilien früher Land­wirbeltiere. Hier soll in den nächsten fünf Jahren intensiv gegraben werden und das Schöne daran – man lässt die Öffent­lichkeit teilhaben. „Wir möchten (…) nicht nur neue Einblicke und Erlebnisse für die Öffent­lichkeit schaffen, sondern auch über die beteiligten Wissen­schaftle­rinnen und Wissen­schaftler zeigen, dass sich hochkomplexe Forschung und bestimmte Formen der Wissen­schaftskom­munikation vereinen lassen“, sagt Uwe Moldrzyk vom Museum für Naturkunde Berlin.







Letzte Änderungen: 10.08.2020