Übernahme geplatzt
(13.08.2020) Monatelang umgarnte der US-Riese Thermo Fisher den deutschen Aufreinigungsspezialisten Qiagen. Erfolglos. Die Aktionäre machten nicht mit.
Es war ein mühseliger Prozess, damals Anfang der 80er Jahre. Im Labor von Detlev Riesner am Institut für Physikalische Biologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf beschäftigte man sich mit Viroiden in Pflanzen (u. a. Tomatenpflanzen und Gynura aurantiaca, der Samtpflanze), und dafür mussten Nukleinsäuren isoliert werden.
Das konnte sich mit den damaligen Standardmethoden – der Gel-Elektrophorese oder Ultrazentrifugation in CsCl-Dichtegradienten – Stunden hinziehen, manchmal sogar Tage. Und selbst dann gab es Abstriche zu machen. Die Gel-Elektrophorese hatte zwar eine hohe Auflösung, aber nur eine geringe „Recovery“-Rate und auch die Qualität der aufgereinigten Proben ließ zu wünschen übrig. Auch bei der Ultrazentrifugation, besonders geeignet für Plasmide, musste der Experimentator lange auf seine Proben warten und eine große Menge gesundheitsschädliches Caesiumchlorid einsetzen, das zudem recht teuer war.
Saubere Sache
In Riesners Labor hatte Doktorand Metin Colpan jedoch eine Idee. Er beschichtete kommerzielle Silica-Gel-Partikel für die Chromatographie mit einer Silan-Verbindung. Das zu analysierende Makromolekül interagierte je nach Porengröße mal mehr, mal weniger. Und ermöglichte so eine saubere Aufreinigung eines komplexen Gemisches von Nukleinsäuren in einem chromatographischen Prozess, und das in nur 2 Stunden. „Irgendwann kippten wir einfach ein paar Plasmide über das Ganze – und die kamen sauber unten raus“, erinnert sich Riesner in einem Interview mit Laborjournal von Anfang 2019.
„Because of its simplicity and the stable resin, this process is suitable for routine use in industry and research“, steht in der Patentschrift. Und in der Tat begann so die Erfolgs-Geschichte von Qiagen am 29. November 1984. Und wer von uns hat nicht schon mit einem RNeasy- oder DNeasy-Kit gearbeitet? Colpan selbst war bis 2004 Geschäftsführer.
Nun sollte die einstmals deutsche Diagen GmbH, dann niederländische Holding mit Sitz in Venlo, amerikanisch werden. Bereits Ende letzten Jahres gab es Übernahme-Interessen (ohne dass Namen genannt wurden). Im Frühjahr wurde es dann amtlich: Konkurrent Thermo Fischer möchte sich das Hildener Unternehmen einverleiben.
Selbst gut eingekauft
Auch in ihrer eigenen, 36-jährigen Geschichte kauften sich die Reinigungsspezialisten das ein oder andere Unternehmen zu. Besonders spektakulär: die 1,6 Milliarden US-Dollar, die Qiagen 2007 für die Amerikaner von Digene hinblätterte. „Digene produziert DNA-Tests zum Nachweis von humanen Papillomaviren (HPV), die Gebärmutterkrebs verursachen können. Diese Tests sind das am stärksten wachsende Segment der Molekular-Diagnostik,“ erklärte der damalige CEO Peer Schatz die Übernahme im Spiegel. Die Molekular-Diagnostik ist neben der akademischen Forschung mittlerweile zum zweiten Standbein von Qiagen geworden.
Im selben Interview von 2007 wird Schatz gefragt, ob er fürchtet bald selbst übernommen zu werden. Seine Antwort damals: „Nein, unsere Strategie als Weltmarktführer für Proben- und Test-Technologien überzeugt die Aktionäre. Diese Strategie hat in den vergangenen Jahren ein überdurchschnittliches Wachstum erzeugt, das sich mit der Digene-Übernahme noch beschleunigen wird.“
Seit Anfang Oktober 2019 ist Schatz nicht mehr CEO. Für einige überraschend, verließ er den Chefsessel nach 15 Jahren, um sich, wie er sagt, neuen Aufgaben zu widmen.
Haben die Mitbewerber dadurch Morgenluft geschnuppert? Ein unerwarteter Wechsel an der Spitze, nicht ganz so rosige Geschäftsaussichten, vor allem nicht im Wachstumsmarkt China, und die Entscheidung, die Entwicklung neuer Systeme für das Next-Generation-Sequencing einzustellen (in den hauseigenen GeneReader hatte man einen dreistelligen Millionenbetrag investiert), machten Qiagen offensichtlich zum idealen Übernahme-Kandidaten.
Neue Vorzeichen
Mitte März änderten sich dann aber die Vorzeichen. Mittlerweile hatte Thermo offiziell 39 Euro je Aktie geboten, etwas über dem damaligen Kurs. Dann kam das Coronavirus und Qiagen konnte sich vor Bestellungen kaum retten. Denn für den Viren-Nachweis per PCR braucht man RNA-Aufreinigungs-Kits. Qiagen fuhr die Produktion der Kits massiv hoch. Außerdem entwickelte das Unternehmen einen speziellen Panel-Test (zum Verkaufspreis von 645 Euro) für den hauseigenen QIAstat-Dx Analyzer, der zwischen verschiedenen Erregern von Atemwegserkrankungen, darunter SARS-CoV-2, unterscheiden kann.
Mit den Erfolgsmeldungen stiegen nun auch die Aktien von Qiagen. Das Angebot von Thermo Fisher erschien im Lichte der aktuellen Entwicklungen nicht mehr angemessen. Die Amerikaner mussten ihr, wie es heute heißt „Business Combination Agreement“, nachbessern, auf 43 Euro pro Aktie. Am 10.8. um Mitternacht fiel die Entscheidung. Erst heute gab Thermo Fisher offiziell bekannt: die Übernahme ist gescheitert. Die Mehrzahl der Aktionäre teilte nicht die Meinung des Vorstandes, der im Vorfeld immer wieder auf ein Zustimmen zum Deal gedrungen hatte.
Neues Angebot?
Womöglich war es nicht das letzte Übernahme-Angebot. Was würde in dem Fall mit den rund 5.000 Angestellten passieren? Mehr als 2.000 arbeiten in Deutschland. Für Neu-Chef Thierry Bernard hätten die Angestellten dann, wie er im lieblichsten Firmen-Sprech zur aktuellen Übernahme verlauten ließ, „the opportunity [for] an even greater impact“.
Co-Gründer Riesner, der lange Zeit im Aufsichtsrat, heute aber nur noch Kleinaktionär ist, sieht‘s eher praktisch. „Grundsätzlich sind die Qiagen-Arbeitnehmer gut geschützt“, sagt er in einem Interview von 2019 mit RP Online, „Qiagens Rechtsform ist eine N.V. (Naamloze Vernootschap), hier gilt das niederländische Recht. Danach muss eine Vorstand bei der Frage, ob er einer Übernahme zustimmt, die Interessen aller Stakeholder berücksichtigen – also auch der Arbeitnehmer, und nicht nur der Aktionäre.“
Für die Angestellten, die Aktionäre und auch die vielen Qiagen-Kunden wird sich also wohl erstmal nichts ändern. Die Reagenzien kommen nach wie vor in den allseits bekannten Pappschachteln ins Labor. Und es gilt weiterhin: Konkurrenz belebt das Geschäft.
Kathleen Gransalke
Foto: Pixabay/sipa