Editorial

Evolutionäres Zwischenstadium?

(31.08.2020) Niemand weiß so genau, woher Viren eigentlich stammen. Eine mögliche Antwort könnten Virus-ähnliche Partikel in Archaeen liefern.
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Auch Archaeen werden von Viren heimgesucht. Da aber nur sehr wenige unserer kernlosen Verwandten bislang kultiviert sind, sind auch deren Viren meist nur über die Meta­genomik greifbar – und wie genau diese dann mit der Zelle interagieren, bleibt somit ebenso unklar. Viren, die bislang aus Archaeen-Kulturen bekannt sind, scheinen sich aber besser mit ihrem Wirt zu arrangieren als solche, die Bakterien oder Eukaryoten befallen.

„In vielen Fällen sehen wir überhaupt keinen Unterschied im Wachstum, wenn wir eine Archaea-Kultur mit einem Virus infizieren“, weiß Susanne Erdmann, Leiterin der Forschungs­gruppe Achaea Virologie am Max-Planck-Institut für Marine Mikro­biologie in Bremen. Bei Bakterien hingegen führen meistens lytische Viren zum Verschwinden der Bakterien­kultur – daher auch der klassische Name „Bakterio­phagen“, also auf deutsch: „Bakterien­fresser“. Und auch weniger aggressive Viren, die sich zunächst ins Genom integrieren, werden in der Reproduk­tionsphase das Wachstum der Bakterien­kultur bremsen.

Dass ein Virus einver­nehmlich mit seinem Wirt zusammen­lebt, passt so gar nicht zu deren schlechten Ruf. Allerdings kennen wir ohnehin nur eine verschwindend geringe Spitze des „virolo­gischen Eisbergs“ – vermutlich existieren auf unserem Planeten rund zehnmal mehr Viruspartikel als Bakterien­zellen. Dabei fallen uns eben vor allem jene Vertreter auf, die in irgendeiner Weise Schaden anrichten. Welche Rolle sie im Ökosystem spielen, ist noch weitgehend unerforscht.

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Entkommen aus der Zelle

Ebenso lässt sich über den evolu­tionären Ursprung der Viren nur spekulieren. Eine Hypothese besagt, dass Vorläufer der Viren zunächst eigen­ständig als sehr einfache reproduk­tionsfähige Einheiten entstanden sind; vielleicht gab es sie lange bevor echtes, zelluläres Leben existierte. Sie könnten auch Über­bleibsel parasi­tischer Zellen sein, die sich mehr und mehr reduziert haben. „Dann gibt es eine dritte Theorie, die wir favorisieren“, erklärt Erdmann, „und demnach wurde ein Virusgenom irgendwann einmal aus dem Wirtsgenom heraus­gelöst“. Nach dieser „Escape-Theorie“ hätte es also niemals einen eigen­ständigen Virus­vorfahren gegeben, sondern das Virus war schon immer an eine Wirtszelle gebunden. Sein Erbgut hätte sich im Sinne des „egoistischen Gens“ mehr und mehr verselbst­ständigt, ohne aber je den kompletten Schritt in die Unab­hängigkeit zu schaffen.

„Für jede dieser Theorien gibt es Argumente“, betont Erdmann, und es sei auch nicht zu erwarten, dass man die eine korrekte Antwort irgendwann finden werde. „Ich gehe nicht davon aus, dass es ein einziges Ursprungs­virus gab, aus dem alle Viren entstanden sind“, stellt sie klar. Viren sind also wohl immer wieder unabhängig voneinander aufgetaucht. „Aber die Art und Weise, wie Viren entstanden sind, ist möglicher­weise sehr ähnlich.“

Und gerade das recht harmonische Miteinander vieler Archaea-Viren mit ihren Wirten könnte Einblicke in deren evolutionäre Ver­gangenheit erlauben. Auf ein Indiz, das die Escape-Theorie stützt, ist Erdmann in Halorubrum lacus­profundi gestoßen – einem extremo­philen Archaeot aus einem Salzsee der Antarktis, der an hohe Salzkon­zentrationen und niedrige Temperaturen angepasst ist. Zu dieser Zeit forschte Erdmann in Sydney an der Universität New South Wales in der Arbeits­gruppe von Ricardo Cavicchioli. Auf elektronen­mikroskopischen Aufnahmen der Halorubrum-Kulturen entdeckte das Team Membran­vesikel, die ringförmige DNA enthielten. Die gleiche DNA isolierten die Wissen­schaftler auch aus den Archaea-Zellen und schluss­folgerten aus der Genom­sequenz, dass es sich um eigen­ständig replizierende Plasmide handelt. Denn nicht nur von Bakterien, sondern auch aus Archaeen sind solche extra­chromosomalen Elemente bekannt.

Während Bakterien ihre Plasmide über Konjugation tauschen, gibt Halorubrum dieses spezielle extra­chromosomale Element in Vesikeln verpackt nach außen ab, wie Erdmann und ihre Mitstreiter per Elektronen­mikroskop zeigen konnten. Das Team hatte diese Vesikel dann isoliert und zu einem Halorubrum-Stamm gegeben, der keine solchen Vesikel produziert und dem auch dieses Plasmid fehlt. Überraschen­derweise konnten die Vesikel mit den Archaea-Zellen verschmelzen und die ringförmige DNA dort einbringen. Fortan produzierte auch dieser Stamm Vesikel. Vor drei Jahren hat Erdmann als Erstautorin zusammen mit den australischen Kollegen diese Ergebnisse vorgestellt (Nat Microbiol, 2(10):1446-55).

Werkzeug zum Gen-Austausch

Doch was geschieht hier? Handelt es sich wirklich um eine kontaktfreie Form der Konjugation, um Erbgut miteinander auszu­tauschen? Oder sind die Vesikel nicht vielmehr eigen­ständige reproduktive Einheiten, die die Wirtszelle für ihre Zwecke missbrauchen? Im Paper schreiben die Autoren von „Virus-ähnlichen Partikeln“ und, dass sie den anderen Halorubrum-Stamm mit diesen „infiziert“ hätten. Auch wenn ein Kapsid oder typische Hüllen­strukturen fehlen, wie man sie von „amtlichen“ Viren kennt: Das Plasmid codiert offenbar eigen­ständig seine Verbreitung über abgeschnürte Membran-Fragmente. Denn mehrere Sequenzen konnten die Autoren Proteinen zuordnen, die mit der Bildung von Vesikeln in Zusammen­hang stehen – zum Beispiel eines, das die Membranform modifiziert, oder ein Tubulin-ähnliches Protein.

„Wir vermuten, dass Viren ursprünglich dazu da waren, genetische Information von einer Zelle zu anderen weiterzu­transportieren“, schlussfolgert Erdmann. Die Virus-ähnlichen Halorubrum-Vesikel würden demnach also ein evolutionäres Zwischen­stadium reprä­sentieren, wie ein Virus-Vorläufer hätte aussehen können. Ein Werkzeug, das genetisches Material übertragen kann, aber auch schon in der Lage ist, recht eigenständig auf seine eigene Reproduktion und Verbreitung hinzuwirken. Sieht man das extra­chromosomale Element als Virus an, könnte man hier wahrscheinlich, wie bei einigen Archaea-Viren, von einer Symbiose sprechen. „Die Wirtszelle unterstützt die Verviel­fältigung und Verbreitung des extra­chromosomalen Elements und erhält im Gegenzug neue, manchmal sehr nützliche, genetische Information“, so Erdmann.

Erwähnt sei, dass es auch für Archaeen gefährliche Viren gibt. Erdmann: „Auch aus Archaeen kennen wir nämlich das Immun­system CRISPR. Aber bisher hat man dessen Aktivierung nur beobachtet durch Viren, die dem Wirt auch tatsächlich schaden können.“

Zu Unrecht verteufelt?

Mit ihrer Arbeitsgruppe in Bremen möchte Erdmann nun auch Wirte von Archaea-Viren finden, die in nicht-extremen marinen Biotopen vorkommen. „Da gibt es bisher nur ganz wenige Archaeen, die überhaupt in Kultur sind“, so Erdmann. Sie verweist auf eine Publikation aus dem vergangenen Jahr von Kollegen aus Südkorea und Frankreich, die Viren in Thaum­archaeoten isolieren und charak­terisieren konnten. Zwar bremsen diese Viren Wachstum und Stoffwechsel ihrer Wirte, auch sie führen aber nicht zu einer Lyse der Zellen (PNAS, 116(31):15645-50).

Über die Metagenomik lässt sich zwar gezielt nach viralen Signaturen in Archaeen-Sequenzen suchen, doch wird man auf diesem Wege nur Verwandte bereits bekannter Viren aufspüren. „Das ist auch einer der Gründe, warum wir Archaeen kultivieren und gezielt Viren isolieren wollen“, begründet Erdmann, „dann können wir auch entdecken, was wir in Metagenomen übersehen würden“.

Die Frage nach dem Ursprung der Viren wird wohl unbeant­wortet bleiben. Doch Erdmann ist sich sicher, dass wir durch unseren Fokus auf die Krankheits­erreger ein verzerrtes Bild der Viren haben. „Ich denke, Viren spielen eine wichtige ökologische und evolutionäre Rolle und werden meist zu Unrecht verteufelt.“

Mario Rembold

Bild: Pixabay/Prawny

Noch mehr über Archaeen, deren schwierige Kultivierung, Benennung und mögliche biotechnologische Nutzung für die Biogas-Produktion, erfahren Sie in unserem Special aus Laborjournal-Heft 9-2020.



Letzte Änderungen: 31.08.2020