Wnt im Hydrogel-Dom
(14.10.2020) Dünndarm-Organoide sind am Rand eines kuppelförmigen Hydrogels größer als im Zentrum. Das liegt an einer ungleichmäßigen Wnt-Konzentration.
Das Darmepithel ist ein sich schnell regenerierendes Gewebe, in dem die Zellen innerhalb weniger Tage wachsen und dann wieder absterben. Durch Biopsie gelangt man relativ einfach an die Epithelzellen und kann aus ihnen Organoide züchten, die als Patienten-spezifische Modelle dienen.
Mit Darmepithel-Organoiden versuchen Forscher zum Beispiel maßgeschneiderte Therapien zu entwickeln oder die Krankheitsentstehung etwa bei Krebs zu verstehen. Dazu züchten sie die Organoide in einem Hydrogel wie zum Beispiel Matrigel, das die extrazelluläre Matrix nachahmt und den Zellen Halt verleiht. Dabei tritt jedoch ein merkwürdiges Phänomen auf: In den kuppelförmigen Matrigelen sind die Organoide am Kuppelrand größer als in der Mitte. Diese Heterogenität erschwert die Interpretation der Ergebnisse und birgt die Gefahr voreiliger Schlussfolgerungen.
Auffälliger Unterschied
Aber woher kommen die Größenunterschiede? Der Gruppe des Biotechnologen Hyun Jung Kim von der University of Texas in Austin fiel während ihrer Experimente auf, dass Organoide, die sie aus Darmkrebszellen kultivierten, weitgehend homogen wuchsen. Am Rand des Matrigel-Doms stärker wachsende Organoide traten nur bei Kulturen auf, die aus normalen Darmepithelzellen stammten.
Die Forscher nahmen die Matrigel-Kuppel vorsichtig auseinander, indem sie sie wie ein Osterei kappten, und isolierten mit einer abgeschnittenen Pipettenspitze Organoide aus ihrem Zentrum. Hier waren die Organoide besonders klein, aber eben nur bei den gesunden Darmepithelzellen. Die Texaner vermuteten, dass ein Morphogen hierfür verantwortlich sein könnte: In Krebszellen wird es offensichtlich ständig neu gebildet, während es in den gesunden Zellen nur am Rand der Matrigel-Kuppel lange genug wirkt.
Tatsächlich ist in dem Kulturmedium für die Organoide das Morphogen Wnt3 enthalten. Mit Konzentrationsmessungen und Simulationen am Computer kam die Gruppe zu dem Ergebnis, dass in der Matrigel-Kuppel ein von außen nach innen kleiner werdender Wnt3-Gradient vorliegt. Aber wodurch wird dieser verursacht? Instabilität oder mangelnde Diffusion von Wnt3 könnten eine Rolle spielen, eine verringerte Aufnahme von Wnt3 in die Zellen der kleinen Organoide wäre aber auch möglich.
Exponentielle Abnahme
Wnt-Proteine sind hydrophob und werden normalerweise durch Anhängen einer Palmitoyl-Gruppe aktiviert. Unter hydrophilen Bedingungen, wie sie im Kulturmedium herrschen, verringert sich die Löslichkeit der Wnt-Proteine, und damit ihre Aktivität. Ein Luciferase-basierter Assay zur Bestimmung der Wnt3a-Konzentration ergab, dass diese exponentiell abnahm – sowohl bei 4°C als auch 37°C und unabhängig von dem verwendeten Material der Kulturplatten.
Aus Experimenten mit Proliferationsmedium, das kein Matrigel enthielt oder mit Matrigel und/oder Organoiden inkubiert wurde, schlossen die Texaner, dass die begrenzte zelluläre Aufnahme nur eine kleine Rolle spielt. Der entscheidende limitierende Faktor ist offensichtlich die ungenügende Diffusion von Wnt3 in der Matrigel-Kuppel. Dies belegen Versuche der Gruppe, bei denen sie die Wnt3-Signalleitung in Organoiden aus dem Kern und den Randzonen der Matrigel-Kuppel mithilfe von phosphoryliertem beta-Catenin untersuchte, einer Hauptkomponente des Wnt-Signalwegs. Die Signale am Rand der Matrigel-Kuppel waren bei diesen Experimenten wesentlich stärker als im Inneren.
Regelmäßige Medium-Auffrischung
Transkriptom-Analysen bestätigten die Auswirkungen des Wnt-Gradienten auf die Gen-Expression in den Organoiden. Typische Darmepithel-Gene waren im Inneren der Kuppel schwach exprimiert, ließen sich jedoch durch regelmäßige Erneuerung eines Mediums induzieren, das Wnt3 enthielt. Ähnlich sah es auch auf Proteinebene aus. So traten zum Beispiel Immunofluoreszenz-Signale des für die Schleimproduktion zuständigen Mucin 2 nur dann überall in der Kuppel auf, wenn Wnt3-haltiges Medium regelmäßig aufgefrischt wurde. Der Zusatz von frischem Medium im Dreistunden-Takt machte sich auch in der Größe der Organoide bemerkbar: Sie waren etwa achtmal größer und relativ uniform, wenn sie frisches Medium mit Wnt3 erhielten. Die regelmäßige Auffrischung mit Wnt3 scheint eine echte Verjüngungskur für die Organoide zu sein, denn auch der Anteil toter Zellen verringerte sich.
Andrea Pitzschke
Shin W. et al. (2020): Spatiotemporal gradient and instability of Wnt induce heterogeneous growth and differentiation of human intestinal organoids. iScience, 23(8):101372
Bild: Shin et al.