Sie sind definiert, unbegrenzt herstellbar ...
(19.10.2020) Und sollen bei Donald Trump Wunder gewirkt haben. Was ist dran an den therapeutischen Antikörpern von Regeneron, Eli Lilly und der Braunschweiger YUMAB?
Mit dem beginnenden Herbst sind wir schon mittendrin – in der zweiten Infektionswelle. Während erste SARS-CoV-2-Vakzine eine Zulassung anstreben, verzeichnen auch Vertreter therapeutischer Ansätze schnelle Fortschritte. So validieren die Pharmariesen Eli Lilly, Glaxosmithkline und Regeneron bereits monoklonale Antikörper zur Behandlung von COVID-19 in klinischen Tests der Phasen 2 und 3. Laborjournal sprach über die Entwicklung therapeutischer Antikörper und ihrer Erfolgsaussichten mit Luka Cicin-Sain, Arbeitsgruppenleiter am Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, und dessen Kooperationspartner Thomas Schirrmann, CEO des Braunschweiger Biotech-Start-ups YUMAB.
Laborjournal: Humane Antikörper gegen SARS-CoV-2 werden entweder aus Rekonvaleszenten-Plasma aufgearbeitet, durch Phage Display selektiert oder aus transgenen Tieren isoliert. Welche Strategie ist am erfolgversprechendsten?
Cicin-Sain: Die Plasmatherapie ist nur eine Notlösung. Sie kann nicht standardisiert werden, weil jeder Spender andere Titer anderer Antikörper aufweist. Außerdem verlieren genesene Patienten ihre Antikörper mit der Zeit, was diese Ressource stark begrenzt.
Schirrmann: Dagegen stellen rekombinante Antikörper definierte und unbegrenzt herstellbare Biopharmaprodukte dar. Bei YUMAB haben wir deshalb zusammen mit der TU Braunschweig SARS-CoV-2-spezifische Antikörper-Kandidaten mittels Phage Display aus einer universellen Immunbibliothek sowie aus Antikörper-Genbanken genesener COVID-19-Patienten isoliert. Eine Klonierung von B-Zellen oder eine Immunisierung transgener Tiere hätte vermutlich auch funktioniert. Unsere aufwendigste Arbeit bestand darin, im S3-Labor des Helmholtz Zentrums für Infektionsforschung aus 730 Antikörpern mit antiviralen Wirksamkeitsprüfungen den einen IgG-Lead-Kandidaten zu finden.
Der, wie auch die Antikörper von Eli Lilly, GSK und Regeneron, mit dem natürlichen Wirtsrezeptor ACE2 um die Rezeptor-bindende Region des viralen S-Proteins konkurriert. Warum entwickelt niemand Antikörper gegen andere Struktur- oder nicht-strukturelle SARS-CoV-2-Proteine?
Schirrmann: Das wäre möglich, wenn uns die Pandemie Jahre an Zeit für die Forschung ließe. So aber wissen wir, dass eine Blockade des viralen S-Proteins eine Infektion verhindert, weshalb dieser Ansatz aktuell die beste Chance auf ein wirksames Antikörper-Medikament bietet.
Cicin-Sain: Außerdem ist die Blockade der Wirtsrezeptorbindung ein klarer Wirkmechanismus. In Neutralisationstests von SARS-CoV-2-Patientenisolaten reichen dafür pikomolare Konzentrationen unseres Antikörpers. Die Alternative, infizierte Zellen durch Antikörper-abhängige Zytotoxizität zu töten, könnte zu unerwünschten Nebenwirkungen führen und die COVID-19-Pathologie verschlimmern.
Sie unterbinden also gezielt eine zytotoxische Immunstimulation?
Cicin-Sain: Ja, und zwar indem unser Antikörper über einen inaktiven Fc-Teil verfügt, der keine Immunzellen bindet. Denn noch bleibt es ja eine Debatte, inwieweit intakte Fc-Rezeptoren zu schweren COVID-19-Entzündungen beitragen.
Ihr Antikörper wirkt also ausschließlich extrazellulär. Wie viele therapeutische Dosen werden in welchem Abstand nötig sein?
Cicin-Sain: Tatsächlich gehen wir von einer Einzeldosis aus, da IgG-Antikörper lange Halbwertszeiten im Blut haben. Selbst wenn sich das Virus vorübergehend in Zellen versteckt, muss es zur Vermehrung herauskommen.
Um virale Fluchtmutanten zu unterdrücken, verwendet Regeneron einen Cocktail aus zwei monoklonalen Antikörpern, die nicht überlappende Epitope des viralen S-Proteins erkennen. Was halten Sie davon?
Cicin-Sain: Das sollte mehr Sicherheit gegen Virusmutationen geben. Allerdings scheint auch unser Lead-Antikörper alle bekannten Fluchtmutationen der Kontaktstellen des S-Proteins zu erkennen. Wir vermuten, dass das Virus seine Infektiosität und somit Fitness zu sehr vermindert, wenn es diese Stellen weiter mutiert.
Schirrmann: Zusätzlich erhöhen zwei aktive Komponenten die Herstellungskosten und verdoppeln das Risiko für Nebenwirkungen. Die Vorteile müssen sich also noch in der Praxis zeigen.
Eli Lilly, GSK und Regeneron verifizieren ihre therapeutischen Antikörper ja bereits in klinischen Phase-2/3-Studien. Wie schätzen Sie deren Erfolgsaussichten ein?
Schirrmann: Einige Antikörperprogramme werden wirksam und sicher sein. Wir erwarten die ersten Marktzulassungen für 2021. Noch bestehen aber nicht vorhersagbare Gründe, warum ein Programm scheitern könnte. Am Ende werden wir natürlich alle glücklich sein, wenn es mehrere effektive Medikamente gibt.
Welche weiteren Therapiestrategien erachten Sie als sinnvoll?
Cicin-Sain: Wirkstoffe gegen intrazelluläre Mechanismen, wie etwa Inhibitoren viraler Proteasen oder der RNA-Polymerase, sind hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, Toxikologie und Pharmakokinetik komplizierter als extrazelluläre Antikörper-Therapien. Am Ende entscheiden aber natürlich klinische Studien, welcher Ansatz funktioniert. Der Replikationshemmer Remdesivir und der anti-inflammatorische Immunmodulator Dexamethason wurden ja bereits als effektiv erkannt.
Schirrmann: Vielleicht mildern frühzeitige Antikörper-Therapien den Verlauf schwerer Entzündungsreaktionen mit Multiorgan-Effekten so weit ab, dass zusätzliche Behandlungen unnötig sind. Trotzdem werden bestimmt nur Kombinationstherapien die Aufenthaltsdauer auf Intensivstationen verkürzen. Übrigens ergibt auch eine prophylaktische Passiv-Immunisierung für Risikogruppen oder stark exponierte Personen im Gesundheits- und Pflegewesen Sinn.
Was das Gesundheitssystem wie viel kosten würde?
Schirrmann: Eine therapeutische Einzeldosis kostet mehrere Tausend Euro. Das klingt teuer, spart aber Intensivbehandlungen mit täglichen Kosten von 1.100 Euro beziehungsweise sogar 1.500 Euro im Beatmungsfall ein. Auch Impfstoffe werden mit vielleicht nur zehn Euro pro Dosis günstiger sein. Dieser Preis muss aber mit achtzig Millionen Menschen in Deutschland beziehungsweise acht Milliarden Menschen auf der Welt multipliziert werden. Auch eine SARS-CoV-2-Impfung ist also ein Multi-Milliarden-Euro-Unterfangen. Was am Ende nötig sein wird, um die Corona-Pandemie zu stoppen, ist noch unklar. In einen soliden Pandemieplan gehören auf jeden Fall sowohl Impfstoffe als auch Medikamente.
Das Gespräch führte Henrik Müller
Bild: Regeneron