Editorial

Verdient, aber verschwiegen

(30.10.2020) Auf jedem fünften Life-Science-Paper fehlt mindestens ein Nachwuchsforscher, der die Co-Autorschaft eigentlich verdient gehabt hätte.
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Schau mal an! Wieder eine E-Mail eines… – nun ja, verärgerten Nachwuchsforschers. Beschwert sich, dass er nicht als Co-Autor mit auf das jüngste Paper seiner Ex-Gruppe genommen wurde. Totaler Skandal, weil er das natürlich klar verdient gehabt hätte – mehr noch als der Kollege, der jetzt an zweiter Stelle steht. Ob wir das nicht öffentlich machen könnten. Solches Unrecht gehöre schließlich mal an den Pranger gestellt. Und nein – ihm selbst könne nix mehr passieren, da er inzwischen die Gruppe gewechselt habe. Aber sauer sei er natürlich immer noch…

Etwa ein Dutzend solcher E-Mails bekommen wir im Jahr. Einige Male haben wir weiter nachgefragt. Und stets war „der Fall“ kaum objektiv darstellbar. Bisweilen schien es am Ende sogar plausibel, warum der „Kläger“ letztlich nicht mit auf dem besagten Paper stand.

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Gast- und Geister-Autoren

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass offenbar tatsächlich die Nachwuchsforscher vom Postdoc bis zum Master-Studenten mit am ehesten unberechtigterweise aus den Autorenlisten draußen gelassen werden. Zumindest war dies eines der Ergebnisse einer Umfrage der beiden US-Soziologen John Walsh und Sahra Jabbehdari aus dem Jahr 2017. Und die hatten dazu in den USA immerhin einige Leute mehr befragt als wir: Am Ende konnten sie die Angaben von 2.300 Forschern zu deren eigenen Publikationen auswerten (Sci. Technol. Human Values 42(5): 872-900).

Machen wir’s kurz:

» Nach Walsh und Jabbehdari listete ein Drittel der Artikel aus Biologie, Physik und Sozialwissenschaften mindestens einen „Gastautor“ mit auf, dessen Beitrag die Anforderungen für eine Co-Autorschaft eigentlich nicht erfüllte. Angesichts von Ehren- und Gefälligkeits-Autorschaften wie auch ganzen Co-Autor-Kartellen war ein solch hoher Anteil womöglich zu erwarten.

» Viel erstaunlicher dagegen mutet jedoch der noch höhere Anteil an Artikeln an, auf denen ein oder mehrere Co-Autoren verschwiegen wurden, die wegen ihres Beitrags zur Studie eigentlich mit aufgelistet gehört hätten. Die befragten Forscher gaben an, dass hinter ganzen 55 Prozent ihrer Artikel noch mindestens ein weiterer „Geister-Autor“ gestanden hätte. Biologie und Medizin lagen genau in diesem Schnitt, während Ingenieurs-, Umwelt- und Agrarwissenschaften noch deutlich höher lagen. Den niedrigsten Anteil an „Geister-Autoren“ ermittelten die Verfasser mit 40 Prozent für die Mathematik und Computerwissenschaften.

Postdocs und TAs sind die Dummen

» Und wer wurde hierbei bevorzugt „verschwiegen“? Neben Technischen Angestellten interessanterweise eher Postdocs und „Graduate Students“, also Doktoranden und Master-Studenten. In der Medizin lag der Anteil der Postdocs unter den „Verschwiegenen“ etwa bei 28 Prozent gegenüber 16 Prozent „Graduate Students“; in der Biologie betrug dasselbe Verhältnis 21 gegenüber 15 Prozent.

In der Summe heißt das also, dass in den Autorenzeilen jeder fünften Veröffentlichung aus den Medizin- und Biowissenschaften mindestens ein Nachwuchsforscher fehlt, der die Nennung eigentlich verdient gehabt hätte. Sicher lässt sich einwerfen, dass die gleiche Befragung in Europa womöglich andere Zahlen liefern würde. Aber würden Sie, liebe Leserinnen und Leser, eine Voraussage wagen, in welche Richtung sich die geschilderten US-Verhältnisse dann verschieben könnten?

Wir meinen, angesichts der Bedeutung, die Co-Autorschaften heutzutage für wissenschaftliche Karrieren haben, liefert bereits die US-„Stichprobe“ alleine ziemlich verstörende Erkenntnisse. Zumal uns sicher bald die nächste E-Mail wie die oben erwähnte erreichen wird.

Ralf Neumann

("Forscher Ernst" wird gezeichnet von Rafaél Flores)

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Letzte Änderungen: 29.10.2020