„Lab-on-a-Chip rocks“
(09.12.2020) Lateral-Flow-SARS-CoV-2-Schnelltests gibt es schon einige. Schneller, genauer und auch analytisch interessanter ist ein Lab-on-a-Chip-Test aus Wien.
SARS-CoV-2-Antigen-Schnelltests werden immer populärer. Aber Vorsicht: Je geringer die Prävalenz, desto mehr Falsch-Positive und Falsch-Negative sind unter den Resultaten. So waren zum Beispiel am ersten Tag des Wiener Antigen-Massentests zwei Drittel (68) der positiv getesteten (ca. 107/20.000) Personen in einem anschließenden qPCR-Test negativ.
Tempo muss bei SARS-CoV-2-Tests aber nicht zwangsläufig auf Kosten der Genauigkeit gehen. Der Spezialist für Lab-on-a-Chip-Systeme Peter Ertl hat mit seiner Gruppe an der TU Wien einen Chip-basierten Test entwickelt, der in fünf Minuten ein Ergebnis liefert und dennoch nach Angaben der Gruppe sensitiver und spezifischer ist als übliche Antigen-Schnelltests. Einziger Wermuts-Tropfen: Ertl hat laut TU Wien seinen SARS-CoV-2-Chip zwar schon zum Patent angemeldet, Verifizierungs-Studien mit Patienten-Proben laufen aber noch und es gibt auch noch keine Veröffentlichung. Etwas detailliertere Darstellungen des Chips findet man auf der Webseite des von Ertl mitgegründeten Start-ups SAICO Biosystems in einer Präsentation.
Für Ebola- und Coronaviren
Laborjournal hat bei Ertl nachgefragt, wie der Test beziehungsweise der Chip funktioniert. Der Mikrofluidik-Chip sei, so Ertl, ursprünglich für Ebola- und Influenza-Viren entwickelt worden und musste nur an SARS-CoV-2 angepasst werden. Er besteht im Wesentlichen aus einem Mikrofluidik-Kanal, durch den die verwendeten Reagenzien fließen, sowie Elektroden und einer daran angeschlossenen Mikrobatterie. Letztere liefert nur einen sehr schwachen Strom damit, so Ertl wörtlich, „uns der Chip nicht abbrennt“.
In der „Ladezone“ des Chips münden vier Flüssigkeitsreservoire in den Kanal: Ein Reservoir wird mit der Probe beladen, das zweite enthält eine Silberlösung, das dritte einen sekundären Antikörper und das letzte eine Pufferlösung. Die Probe fließt durch den Kanal, der mit immobilisierten Primär-Antikörpern gegen ein Virus-Antigen beschichtet ist. Ist das Virus in der Probe enthalten, bindet es an die Antikörper. Die Dichte der Antikörper ist so eingestellt, dass nur ein Virus pro Antikörper hängenbleibt und sich keine unkontrollierten Klumpen bilden.
Der Silbertrick
Anschließend kommt wie bei einem Sandwich-ELISA der sekundäre Antikörper ins Spiel. Er wandert ebenfalls durch den Kanal und bleibt an Primär-Antikörpern hängen, die sich ein Virus-Antigen gekrallt haben. Bis hierhin würde das Verfahren bei einem Patent-Gutachter nur ein müdes Gähnen auslösen, der eigentliche Trick kommt danach: Die Silber-Ionen der anschließend durchgespülten Silberlösung bleiben an den Goldpartikeln der Sekundär-Antikörper hängen und türmen sich so stark übereinander, dass sie den Kontakt zwischen zwei Elektroden schließen. Sobald hierdurch Strom fließt, leuchtet eine LED-Lampe auf und zeigt ein positives Ergebnis an. Die Elektroden liegen vier bis fünf Mikrometer auseinander. Zum Vergleich: ein SARS-CoV-2-Partikel (50 nm) ist ca. ein hundertstel so dick.
Da man auf dem Chip mehrere Kanäle unterbringen kann, die mit unterschiedlichen Primär-Antikörpern beschichtet sind, lässt sich eine Probe auf verschiedene Antigene gleichzeitig testen – beziehungsweise eine Positiv- und Negativkontrolle auf demselben Chip mitführen. In den Kanälen kommen jeweils unabhängige Elektroden-Kontakte zustande, die unterschiedliche LEDs zum Leuchten bringen. Prinzipiell ließe sich aus der Lichtstärke sogar die Viruslast der Probe ableiten.
Ein paar Mikroliter Gurgelprobe
Im Fall des SARS-CoV-2-Chips werden 40 bis 100 Mikroliter einer Gurgelprobe (mit Salzlösung) auf den Chip aufgetragen. Die immobilisierten Primär-Antikörper richten sich gegen Spike- oder N-Protein von SARS-CoV-2. Ertls Team will hierfür die besten kommerziell verfügbaren Antikörper verwenden und zudem Chargen mit variierender Qualität ausschließen. Tests gegen andere Viren oder bakterielle Pathogene folgen demselben Muster. Man braucht nur die passenden Antikörper und muss den Elektroden-Abstand anpassen. Im Gegensatz zu Antigen-Schnelltests ist das Ergebnis zu einem späteren Zeitpunkt und auch mehrmals abrufbar. Dazu muss man lediglich eine Spannung anlegen und den Stromfluss beziehungsweise den Widerstand messen.
Die Raffinesse des Lab-on-a-Chip-SARS-CoV-2-Tests hat aber ihren Preis. Mit Antigen-Tests, die nur fünf Euro kosten, kann Ertls Chip nicht mithalten. Zudem ist der Test angesichts seiner Komplexität noch schwer industriell herzustellen. Ertls Gruppe arbeitet aber bereits an Vereinfachungen. Selbst wenn der Chip teurer ist als übliche Antigen-Tests hat er abgesehen von seiner Schnelligkeit und Genauigkeit noch einen weiteren Vorteil: Die Auswertung muss nicht zwangsläufig über ein Lämpchen erfolgen. Man könnte das Testergebnis auch mithilfe eines sogenannten „Nearfield Communication Chips“ an ein Smartphone oder parallel dazu an das zuständige Gesundheitsamt leiten.
Mainstream scheint nicht Ertls Ding zu sein. Mit dem Mikrofluidik-Chip will er auch ein analytisches Zeichen dafür setzen, dass Antigen-Tests nicht nur aus den immer gleichen Lateral-Flow-Assays bestehen müssen. Sein Wunsch verwundert daher nicht: Die äußerst vielseitig einsetzbare Lab-on-Chip-Technologie bräuchte eine Plattform, auf der Forscher gezielt Informationen abfragen können, die aus unterschiedlichsten Quellen und Anwendungen zusammengetragen wurden. Ertls Motto, mit dem er sich schließlich verabschiedet, lautet denn auch „Lab-on-a-Chip rocks“.
Andrea Pitzschke
Bild: TU Wien