Editorial

Ein Taschenmesser für den Laborgebrauch

(21.01.2021) Ein handliches Gerät, welches unter anderem Zellviabilität mikro­skopisch bestimmen und Spektren messen kann – das hat das Dresdner Start-up anvajo entwickelt.
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CEO Stefan Fraedrich

CEO und Gründer Stefan Fraedrich über Smartphones, Idealismus und drei Schwestern.

Herr Fraedrich, Sie bewerben fluidlab R-300, automa­tischer Zellzähler und Spektro­meter in einem Gerät, als kleinstes, komfor­tabelstes Laborgerät auf dem Markt. Was bringt Sie zu dieser Annahme?
Stefan Fraedrich: Das wurde ich so auch noch nicht gefragt [lacht]. Im Labor gibt es tatsächlich nicht so viele Handheld-Geräte, das ist der eine Punkt. Aber wir haben auch einen Grad der Funktions­integration erreicht, den es so noch nicht gab. Denn wir haben ein mikro­skopisches und ein leistungs­starkes spektro­metrisches Verfahren in einem Gerät, welches nicht viel größer als ein Smartphone ist. Eine unserer Kern-Inno­vationen ist es, optische Sensoren so klein zu bekommen, das man sie eben auch im Handheld-Bereich einsetzen kann. Und das haben wir gemacht.

Wie haben Sie die Sensoren denn so klein gekriegt?
Fraedrich: Man muss sich nur die Smartphone-Entwicklung anschauen, da tut sich gerade in der Elektronik wahnsinnig viel. Es sind zum einen die Mikro-Optiken, die sich rasant weiter­entwickeln, und zum anderen die Fertigungs­methoden, die dahinter stehen. Wir haben uns gefragt: Wie können wir diese Inno­vationen aus dem Smartphone-Consumer-Kontext in die Analytik bringen?

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Was heißt das konkret etwa für das Spektro­meter? Dort gibt es ja in der Regel Lichtwege, viel Luft, große Volumina.
Fraedrich: Genau, und wir konnten das bis ins physikalische Minimum einstampfen. Das heißt, vor allem die großen optischen Elemente – Linsen­systeme, Sensoren, große Halbleiter-Bauelemente – haben wir geschrumpft.

Das ist ja nun nicht so abwegig. Warum hat das bisher niemand gemacht?
Fraedrich: Das liegt an den Fertigungs­verfahren. Es gab schon immer kleine Linsen, aber die waren so schlecht, dass wir sie nicht hätten einsetzen können. Die Smartphone-Kameras wurden in den letzten etwa 5 Jahren so gut, dass sie auch extrem gute Optiken brauchten. Die können wir jetzt nutzen. Zusätzlich haben wir unsere Software und die Algorithmen zur Analyse der optischen Signale. Beides geht Hand in Hand. Nur aufgrund unserer Algorithmik können wir die Sensoren so bauen und nutzen. Nehmen wir das Mikroskop, das im fluidlab R-300 verbaut ist. Das ist kein klassisches Licht­mikroskop. Das heißt, es produziert keine Bilder, wie man es sonst kennt. Wir nehmen Hologramme auf, die dann zu Bildern zurück­gerechnet und auto­matisiert ausgewertet werden. Dafür benötigen wir viel Rechen­leistung. Auch die ist inzwischen – Smartphone sei Dank – in sehr kleinem Maßstab verfügbar. Das heißt natürlich nicht, dass wir auf ewig allein in diesem Markt sein werden. Aber wir haben aktuell einen Innovations­vorsprung.

Sie haben ja Elektrotechnik studiert und quasi aus dem Studium heraus anvajo gegründet. Wie sind Sie auf Biotech und Life Sciences gekommen?
Fraedrich: Als ich damals mit meinem Zivildienst fertig war, bin ich als Rettungs­sanitäter für ein Praktikum in ein Krankenhaus nach Ghana gegangen. Denn eigentlich wollte ich Medizin studieren. Aber ich habe dann festgestellt: Als Arzt behandele ich nur einzelne Patienten, so richtig bewegen kann ich da nichts. Ich wollte aber etwas erfinden und war schon immer Technik-affin. Also hab ich nachgedacht: Wo will ich eigentlich hin? Was will ich verändern? In Afrika habe ich es gesehen. Die Labor-Medizin, Blutunter­suchungen, Urinunter­suchungen, das ist nach wie vor für 5 Milliarden Menschen schlecht zugänglich. Das liegt zum einen am Preis, aber das liegt auch am Fokus der In-vitro-Diagnostik-Industrie. Alles geht Richtung High Throughput und Zentral­labors. Aber ich denke, wir brauchen kosten­günstigere, kleine Geräte, und vor allem einfach benutzbare. Deshalb habe ich dann Elektrotechnik studiert.

Da schwingt eine Menge Idealismus mit. In einer Stellen­anzeige schreiben Sie: „Wir wollen den Analyse­markt für Gesundheit & Wissenschaft demokra­tisieren.“ Geht das auch in diese Richtung?
Fraedrich: Was heißt idealistisch? Jeder Mensch sollte das ein bisschen sein, denke ich, sonst kommen wir nicht voran. Es ist uns, all unseren Mitarbeitern, wichtig, dass wir mit unseren Produkten die Welt irgendwie weiter­bringen und nicht nur entwickeln, um Geld zu verdienen. Bleiben wir bei der Labor-Medizin. Sie können nicht einfach Ihre Blutprobe analysieren. Sie müssen zuerst zum Arzt und der schickt das dann weiter in ein Zentral­labor. Und da sitzen Fachleute, die große Maschinen bedienen. Die gibt es aber in vielen Ländern nicht, vor allem nicht in den Schwellen- und Entwicklungs­ländern. Damit werden Menschen ausgeschlossen, die eigentlich partizipieren sollten. Unsere Technologie kann das ändern, denn sie kann auch von einer wenig bis gar nicht ausgebildeten Fachkraft genutzt werden. So wollen wir das Gesundheits­system ein bisschen umstrukturieren. Aber natürlich müssen wir als Firma auch wirtschaftlich arbeiten. Es ist manchmal eine Gratwanderung.

Wie finanzieren Sie sich denn?
Fraedrich: Wir sind – ganz klassisch in unserer Branche – größtenteils über Risikokapital finanziert, mittlerweile auch über eigene Umsätze.

Wer sind aktuell Ihre Kunden?
Fraedrich: Einmal sind das Wissen­schaftler, die beispiels­weise Zellzahl- oder Viabilitäts­messungen sowie einfache spektro­metrische Messungen durch­führen, und das färbungsfrei und schnell. Das kommt gut an. Felix Lambrecht, unser Chief Product Officer, sagt immer: Das fluidlab R-300 ist wie ein Taschen­messer für den Labor­gebrauch. Unsere zweite Säule ist die Tiermedizin. Wir analysieren Partikel und Zellen in Tierurin. Das wird beim Tierarzt bisher manuell gemacht, denn die Zellen in den Urinproben überstehen den Versand zum Labor nicht. Eine automa­tisierte Auswertung ist natürlich deutlich schneller und weniger fehler­anfällig. Auf Dauer wollen wir noch in die Humanmedizin. Hier planen wir, 2022 mit unserem ersten Produkt auf den Markt zu kommen.

Bleibt noch der Firmenname. Dieses Mal ist mir eine Herleitung beim besten Willen nicht gelungen. Was bedeutet anvajo also?
Fraedrich: Ja, der Firmenname, das ist immer so eine Sache [lacht]. Wir haben lange überlegt, auch wegen der passenden Domain zum Namen und so weiter. Wir haben die Firma zu dritt gestartet, und jeder von uns hat eine kleine Schwester. Irgendwann haben wir gesagt: Wir nehmen einfach die Anfangs­silben der Namen unserer Schwestern und setzen das zusammen. Nun ja: Anne, Vanessa, Josefin.

Die Fragen stellte Sigrid März

Steckbrief anvajo
Gründung: 2016
Sitz: Dresden
Mitarbeiter: 65
Produkt: Kombiniertes Miniatur-Mikroskop-Spektrometer fluidlab R-300 samt Software

Bild: anvajo



Letzte Änderungen: 21.01.2021