Editorial

Das Bestätigungs-Ding

(05.02.2021) Aus unserer Reihe „Anekdoten aus dem For­scher­leben“: Wie man ohne echte Daten zu einem Pionier seines Felds werden kann – sofern man nicht auffliegt.
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(Chefredakteur sitzt mit seinem alten Studienkollegen B. beim abendlichen Wein. Dieser untersucht gerade für ein Journal die Publikationen eines Forschers, der mannigfacher Datenfälschung verdächtigt wurde. Folgender Dialog:…)

„Nach dem, was ich gesehen habe, kann man seinen Daten nicht trauen“, schimpft B. „Man weiß einfach nicht, was real ist und was nur erfunden wurde. Das ist eine Katastrophe für das gesamte Feld… Und weißt du, was mich mit am meisten aufregt? Dieses ganze Bestätigungs-Ding.“

„Bestätigungs-Ding?“ 

„Ja, Bestätigungs-Ding. Als die Vorwürfe der Datenfälschung erstmals auftauchten, wollten viele Kollegen nicht glauben, dass da was dran sein könnte. Jedem, der ihnen zuhören wollte, sagten sie: ‚Seine Ergebnisse sind immer wieder bestätigt worden – sie können nicht falsch sein!’. Verflixt, ob die Befunde nicht falsch sind, ist nicht die Frage – auch reine Vermutungen können nicht falsch sein. Die Frage ist, ob die Daten echt sind. Wie kann man schließlich etwas bestätigen, das in der realen Welt nie existiert hat?“

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Zigfach unabhängig bestätigt

 

„Äh,… Was genau meinst du damit?“

„Als die Arbeitgeber dieses Idioten den Fall endlich untersuchten, kam von ihnen derselbe dumme Blödsinn, der so oft in solchen Fällen kommt: Da dessen Ergebnisse mehrfach von verschiedenen Teams weltweit bestätigt worden seien, würden die gesamten Ergebnisse von ‚Everybody’s Darling’ grundsätzlich nicht angezweifelt, hieß es von denen. So ein Bullshit!“

„Und sie blieben alle dabei?“ 

„Ja, und die meisten anderen Journals auch. Die haben lediglich Corrections von Darlings Arbeiten herausgegeben – CORRECTIONS, keine Retractions! Und was haben sie alle darin festgestellt? Dass sich bei der Erstellung der Daten und Abbildungen für das Manuskript leider ein paar unbeabsichtigte Fehler eingeschlichen haben ... dass es den Autoren sehr leid tut... dass sie nun aber die richtigen Zahlen liefern ... und dass die Schlussfolgerungen, die in den Papern auf Basis der ursprünglichen Daten gezogen wurden, natürlich dennoch gültig bleiben – nicht zuletzt und vor allem, weil sie in der Zwischenzeit mehrfach unabhängig bestätigt wurden.“

 

Nicht "richtig" zählt, sondern "echt"

 

„Und das meinst du mit dem Bestätigungs-Ding?“

„Klar! Also nochmal zum Mitschreiben: Es ist nicht die Frage, ob die Erkenntnisse womöglich nicht falsch sind – die entscheidende Frage ist, ob die Daten echt sind. Oder vielmehr, ob sie jemals tatsächlich erhoben worden sind… Sieh‘ es doch mal so: Tatsache ist, dass viele biologische Konzepte eigentlich ziemlich einfach sind. Und mit aus diesem Grund weiß man oft schon vorher, was in Folgeprojekten ungefähr rauskommen muss – oder kann es zumindest stark vermuten. Wie oft kann beispielsweise die Schlussfolgerung einer Studie einfach als „Dieses Gen spielt eine Rolle in...“ ausgedrückt werden?“

„Stimmt, die Konzepte selbst sind häufig nicht das Schwierige. Viele können sicherlich Dutzende von Vorhersagen über ihr Gebiet machen, die sehr wahrscheinlich auch richtig sind. Womöglich dürfte es oftmals kniffliger sein, den eindeutigen experimentellen Beweis für solch ein Konzept zu finden.“

„Eben! Überleg’ doch mal, wie ein gewisses Konzept in aller Regel entsteht. Normalerweise wird ein konzeptionelles Bild durch eine Art „Entscheidungsbaum“ aus einer ganzen Reihe von Experimenten aufgebaut – etwa nach dem Motto: Aufgrund dieses Ergebnisses samt dazu noch diesem und jenem Resultat ist die wahrscheinlichste Schlussfolgerung für das Ganze ziemlich sicher A – und nicht B. Ein Kernproblem dieses Musters ist jedoch, dass manche Experimente technisch viel schwieriger, zeitaufwendiger und/oder teurer sind als andere. In dem Fall hat man also bereits eine Schlussfolgerung im Kopf, muss aber elend lange auf die echten Daten warten, aus denen man sie schließlich real ableiten könnte.“

 

Wirklich "Entdecker"?

 

„Und das ist der Punkt, an dem die Versuchung groß ist, die passenden Daten einfach schon mal vorwegzunehmen.“

„Bingo! Und genau das hat Darling offensichtlich gemacht. Aber spinnen wir das mal weiter: Stell dir vor, jemand erfindet Ergebnisse, die ein solches leicht zu begreifendes, aber experimentell nur aufwendig zugängliches Konzept klar untermauern. Was würde denn als Nächstes passieren? Der ‚Betrüger‘ würde eine Reihe edler Veröffentlichungen bekommen, die jeweils bestätigen, dass ein lange vermutetes Konzept richtig ist. Das wiederum würde mehrere Dinge bewirken: Erstens würde es ihm einen Ruf als brillanter Experimentator einbringen, da er tatsächlich geschafft hat, was alle anderen zwar stark vermutet hatten, aber nicht mit den richtigen Experimenten realisieren konnten. Zweitens würde es ihm Pionierstatus verschaffen – sodass er in dem Moment, in dem andere seine „Erkenntnisse“ bestätigen, endgültig als der „Entdecker“ des Ganzen angepriesen würde. Und drittens würde es unserem Darling ziemlich sicher mehr Mittel und Ressourcen als den ganzen anderen Kollegen im Feld zuspülen, sodass er dann mit aufwendigen Tests seine Phantom-Ergebnisse in eigenen Nachfolgestudien real bestätigen könnte – manche nennen das 'Fake-it-til-you-make-it'-Strategie.“

 

Mehr als nur Bestätigung

 

„… Und auf diese Weise würden Darlings Kollegen de facto lediglich richtige Vermutungen bestätigen – und würden nie erfahren, dass sie in Wirklichkeit nicht nur bestätigende Daten, sondern die ersten echten Daten überhaupt produziert hatten.“

„Ganz genau!“

Ralf Neumann

Illustr.: makinaro

 

(Die einzelnen Geschichten dieser Kolumne sind uns in aller Regel nicht genau so, aber doch sehr ähnlich referiert worden – oder selbst passiert.)

 

 

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Letzte Änderungen: 04.02.2021