Editorial

Seuchen im Gepäck

(16.03.2021) Wenn Erreger vom Tier auf den Menschen springen, wird’s gefährlich. Die Zoonosen­forschung gewinnt deshalb an Bedeutung und nimmt Fahrt auf.
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In den vergangenen Jahren scheinen sich Erkrankungen zu häufen, die von Erregern ausgehen, die gleichzeitig Tiere und Menschen infizieren – sogenannte Zoonosen. Bereits 2008 zeigte ein US-amerikanisch-britisches Forscherteam um den Zoologen Peter Daszak in einer Nature-Studie, dass knapp zwei Drittel aller neu auftretenden Infektions­krankheiten Zoonosen sind, die meisten davon stammen aus Wildtieren (451: 990-3).

„Zoonosen hat es wahrscheinlich schon immer gegeben“, vermutet der Virologe Stephan Ludwig von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. „Durch den stetigen Anstieg der Weltbevölkerung kommen Menschen sehr viel häufiger mit Wildtieren in Kontakt und können sich infizieren. Das sind zum einen Lebend­tiermärkte in Asien, wo auf engstem Raum Mensch und Tier zusammen­kommen. Zudem ist die Bevölkerungs­dichte dort generell sehr hoch – ein Spillover kann sich also schneller zu einer Pandemie entwickeln, so wie wir es bei SARS-CoV-2 miterlebt haben.“

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Vom Dschungel ins Dorf

Der Mensch dringe auch vermehrt in den Lebens­raum von Tieren ein, so der Virologe und nennt ein Beispiel: „In den vergangenen Jahren sind Menschen in Afrika immer wieder am Ebolavirus erkrankt. Der Grund: Die Jäger wagen sich immer tiefer in den Dschungel hinein, infizieren sich und tragen den Erreger dann in ihre Dörfer.“ Ludwig ergänzt: „Es gibt noch weitere Faktoren, welche die Entstehung beziehungsweise Etablierung von Zoonosen beeinflussen – etwa der Klimawandel oder die globale Mobilität. Wäre der SARS-CoV-2-Ausbruch in Wuhan vor zweihundert Jahren passiert, wäre es vielleicht gar nicht zu einer Pandemie gekommen, sondern das Virus hätte sich eher lokal begrenzt ausgebreitet.“

Die Zoonosen­forschung gewinnt nicht erst seit der SARS-CoV-2-Pandemie an Bedeutung. Bereits 2009 bewilligte das Bundes­ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) einen Förderantrag zum Aufbau einer Plattform für Zoonosen­forschung, der Nationalen Forschungs­plattform für Zoonosen, die Ludwig als Standort­leiter in Münster gemeinsam mit Martin Groschup vom Friedrich-Löffler-Institut (FLI) Greifswald/Insel Riems sowie Christian Drosten von der Berliner Charité koordiniert. „Die Idee für die Zoonosen­plattform ist im Lichte der Vogelgrippe-Ausbrüche Anfang der 2000er-Jahre entstanden“, erinnert sich Ludwig. „Es ist damals aufgefallen, dass es Lücken zwischen den Fach­disziplinen gibt und diese nicht gut miteinander verknüpft waren. In Asien war der Erreger bereits auf den Menschen gesprungen, was die Angelegenheit in die Hände der Human­mediziner legte. Hier in Deutschland zirkulierte das Virus bislang nur in Tieren und fiel somit in die Verantwortung der Veterinäre. Hier wurden Abstimmungs­probleme evident, und man kam zu der Einsicht, dass es eigentlich keine Grenze zwischen Human- und Tiermedizin geben darf, ganz im Sinne des One-Health-Gedankens.“

Seitdem hat sich die deutsche Zoonosen­forschungs­gemeinschaft besser vernetzt. Die Mitglie­derzahl der Zoonosen­plattform hat mittlerweile die Tausender-Marke geknackt: „Um Zoonosen erfolgreich erforschen zu können, müssen die verschiedensten Disziplinen zusammen­arbeiten und mit einbezogen werden – etwa die Klimaforschung oder Ökologie, die Epide­miologie oder die Grundlagen­biologie. Gerade damals die Vogelgrippe oder auch 2009 die sogenannte Schweine­grippe haben gezeigt, wie wichtig Inter­disziplinarität ist.“

Immer wieder neue Erreger

Derweil drängen sich stetig neue Erreger in die laufende Forschungs­arbeit der Zoonosen­forscher – zuletzt SARS-CoV-2. „Natürlich sind in der Vergangenheit immer mal wieder einzelne Vertreter in den Fokus gerückt, viele Erreger­gruppen kennen und beforschen wir aber schon lange, etwa Corona- oder Influenza­viren“, sagt Ludwig. Die Grundfrage, wie Erreger Artgrenzen übertreten, beschäftigt die Zoonosen­forschung aber nach wie vor. „Bislang können wir das noch nicht beantworten. Dabei ist das Verständnis des Spillovers der entscheidende Schritt, auch zukünftig auf Zoonosen­ausbrüche schnell reagieren zu können.“ Ludwig bezeichnet die Zoonosen­forschung deshalb auch gerne als eine Art Feuerwehr. „Da ist es geschickt, schon frühzeitig – quasi in Friedenszeiten – Geld und Manpower zu investieren und nicht erst, wenn der Ausbruch schon stattgefunden hat.“

Ludwig spricht noch einen weiteren wichtigen Aspekt der Zoonosen­forschung an: die Internatio­nalität. Denn obwohl ein Spillover theoretisch auch in Europa stattfinden kann, zeigen die Ereignisse aus der Vergangenheit (Influenza, SARS oder Ebola), dass Ausbrüche meist außerhalb von Industrie­staaten stattfinden und dennoch die gesamte Weltbevöl­kerung treffen können.

Grenzenlose Überwachung

Ludwig wünscht sich deshalb ein besseres weltweites Monitoring und eine bessere globale Surveillance. „Man müsste sich nur mal vorstellen, man hätte vor dem SARS-CoV-2-Ausbruch eine bessere Überwachung durch ein internationales Netzwerk gehabt und hätte schon frühzeitig erkannt, was da auf uns zurollt“, überlegt Ludwig. „Eine bereits etablierte Routine­struktur, die potenzielle Spillover-Orte eher ins Auge nimmt, hätte uns viel Ärger erspart. So etwas ließe sich aber vermutlich nur durch eine internationale Förder­initiative aufbauen. Auch eine bessere Förderung von Zoonose­projekten außerhalb der EU wäre sicher sinnvoll. Inter­nationalität ist für eine effektive Zoonosen­forschung ungemein wichtig, denn wie man so schön sagt: Zoonose­erreger machen nicht vor Ländergrenzen Halt.“

Juliet Merz

Dieser stark gekürzte Artikel erschien in ausführlicher Form zuerst in Laborjournal 3/2021.

Bild: Pixabay/Morchfotobysmallerslev


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Letzte Änderungen: 16.03.2021