Editorial

Déjà-vu in Allschwil

(22.07.2021) Eine Phase-3-Studie zur Behandlung von Brustkrebs muss vorzeitig beendet werden. Es ist nicht der erste Rückschlag für die Schweizer Polyphor.
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Fast nirgendwo sonst klaffen Hoffnung und Wirklichkeit so weit auseinander wie bei der Medikamenten-Entwicklung. Millionen werden investiert, Arbeitszeit und Ressourcen – nur bei einem Bruchteil der Projekte steht am Ende ein zugelassenes Medikament. Dass die Medikamenten-Entwicklung ein eher mühsames Geschäft ist, oft verbunden mit schwer zu verkraftenden Rückschlägen, das muss auch die Schweizer Polyphor am eigenen Leib spüren – zum wiederholten Male.

Bereits 2019 (Laborjournal berichtete) konnten die Schweizer gleich zwei Phase-3-Studien nicht zu einem befriedigenden, erfolgreichen Ende führen. Damals ging es um ein neuartiges Antibiotikum namens Murepavadin. Dieses greift als sogenanntes OMPTA (Outer Membrane Protein Targeting Antibiotic) das LptD-Protein von Pseudomonas aeruginosa an, welches normalerweise dafür sorgt, dass Lipopoly­saccharide in der äußeren Membran ankommen und so das gramnegative Bakterium vor allen möglichen Einwirkungen schützen. Ohne einsatz­bereites LptD ist das Bakterium ziemlich aufgeschmissen.

Editorial

Erster Studien-Abbruch

Große Hoffnungen setzte Polyphor daher in das Antibiotikum, das zur „ersten neuen Klasse von Antibiotika gegen gramnegative Bakterien seit 50 Jahren“ gehört. Die Firma wurde jedoch von der Wirklichkeit eingeholt. Einige Studien­teilnehmer, die das Antibiotikum intravenös zur Behandlung einer speziellen Form der bakteriellen Lungen­entzündung erhalten hatten, zeigten unerwartet hohe Kreatinin-Konzentrationen im Serum. Ein Indiz für akutes Nierenversagen. Und Grund für den Studien-Abbruch.

Noch hat Polyphor Murepavadin aber nicht komplett aufgegeben. Eine inhalierbare Version soll nun den erhofften Erfolg bringen. Für Ende des Jahres hat die Firma eine Phase-1b/2a-Studie angesetzt – mit Mukoviszidose-Patienten, die häufig von Pseudomonas infiziert werden. Geld dafür gibt’s erstmal genug. Unter anderem steuerte die Cystic Fibrosis Foundation ein paar Milliönchen bei.

Aus BWLer-Sicht sind Antibiotika jedoch nicht gerade die Gold­stückchen im Portfolio. Da sie sparsam eingesetzt werden sollen, kann man nicht viele von ihnen verkaufen. Deshalb hat Polyphor noch ein zweites Standbein: Krebs­medikamente. Balixafortide ist hier der Haupt­darsteller und Hoffnungsträger.

Mit Krebs-Peptid gegen Krebs

Der Wirkstoff ist ein CXCR4-Inhibitor und basiert auf dem natürlich vorkommenden Polyphemusin, ein 18 Aminosäuren langes Peptid aus dem Pfeilschwanzkrebs Limulus polyphemus. Nach einigen chemischen Umstruktu­rierungs­maßnahmen entstand so ein 16 Aminosäuren langes Cyclopeptid. Dieses bindet an den Chemokin-Rezeptor CXCR4 und verhindert auf diese Weise die Bindung des natürlichen Liganden CXCL12. Dem CXCR4-Rezeptor wird eine wichtige Rolle bei der Chemotaxis, Angiogenese und Metastasen­bildung nachgesagt; Beobachtungen zeigten, dass er in verschiedenen Tumor­zelltypen hochreguliert ist.

Ein CXCR4-Inhibitor ist auch bereits seit Jahren zugelassen, in den USA und Europa. Plerixafor oder Mozobil der amerikanischen Firma Genzyme kommt bei der autologen Stammzell-Transplan­tation bei Patienten mit multiplem Myelom oder Non-Hodgkin-Lymphom zum Einsatz. Als Chemokin-Rezeptor hält CXCR4 nämlich die hämato­poetischen Stammzellen im Knochenmark fest, Mozobil löst diese magische Bindung – die Stammzellen wandern daraufhin befreit in die Blutbahn und können entnommen werden. Nach einer Chemotherapie zurück­transplantiert produzieren die Stammzellen dann wieder gesunde Blutzellen.

Extrem zufrieden

Man versprach sich vom CXCR4-Inhibitor aber auch direkte Wirksamkeit bei Krebs. Und Polyphor ist nicht allein mit dieser Hoffnung, denn auch die israelische Firma BioLineRx arbeitet an einem Motixafortide genannten CXCR4-Antagonisten. Dieser wird momentan in einer Phase-2a-Studie in Kombination mit dem Immun-Checkpoint-Inhibitor Keytruda und einer Chemotherapie bei metast­asierendem Bauchspeichel­drüsenkrebs untersucht. Wie Balixafortide handelt es sich um ein cyclisches, synthetisches Peptid, das allerdings nur 14 Aminosäuren lang ist. Die Israelis sind „extremely pleased“ mit ihren bisherigen Ergebnissen.

Die Stimmung bei Polyphor dagegen ist wohl eher „extremely“ gedrückt. 2019 hatte die Phase-3-Studie von Balixafortide bei Patientinnen mit HER2-negativem, lokal rezidivie­rendem oder metasta­sierendem Brustkrebs begonnen. Noch im März 2021 war man frohen Mutes ob des so „wichtigen Meilensteins“ in der Firmengeschichte und dachte schon laut über eine beschleunigte Zulassung in den USA nach. Leider musste die Firma ihre Hoffnungen (wieder einmal) begraben.

Kein Nutzen, keine Zukunft?

Die FORTRESS-Studie mit mehr als 400 Patientinnen sollte klären, ob Balixafortide die Wirksamkeit des Zyto­statikums Eribulin noch verstärken könne. Konnte es nicht. Keiner der beiden formulierten Endpunkte wurde erreicht. Mitte Juli dann der Entschluss, die Studie zu beenden und keine Markt­zulassung anzustreben. Die Pressemitteilung wird deutlich: „Lack of meaningful clinical benefit“ – fünf Wörter, die das Ende der Firma bedeuten könnten. Verständ­licherweise will sich Polyphor im Moment nicht äußern. Erst Ende Juli soll es Klarheit darüber geben, wie es mit der Firma weitergeht. Verkauf, Entlassungen? Man wird sehen.

Noch ein klitzekleines Hoffnungs­schimmerchen besteht. Denn wie wohl jede Pharmafirma in diesen Zeiten hat auch Polyphor seinen Wirkstoff Balixafortide auf Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 getestet. Überraschend wäre das nicht, war doch auch der Blutzell-Mobilisator Plerixafor ursprünglich als HIV-Mittel entwickelt worden. Und tatsächlich zeigen erste präklinische Analysen, in Zusammen­arbeit mit der Uni Basel, antivirale und antiinflam­matorische Aktivitäten des Inhibitors. Wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Kathleen Gransalke

Bild: AdobeStock/wachiwit


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Letzte Änderungen: 22.07.2021