Editorial

Methylierung vor der Geburt

(13.09.2021) Schon die Umgebung im Uterus wirkt sich auf die epigenetischen Signaturen im Embryo aus. Kausale Zusammen­hänge herzustellen, ist aber schwer.
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Humangenetiker Thomas Haaf ist epigenetischen Signaturen in Keimzellen auf der Spur und interessiert sich außerdem für den Einfluss der intra­uterinären Umgebung auf das werdende Kind. Haaf leitet die Arbeitsgruppe Epigenetik am Biozentrum der Uni Würzburg und ist außerdem unter den drei meistzitierten Köpfen in unserem aktuellen Ranking zur Reproduktions­forschung. Wir haben ihn gefragt, was man über solch frühe epigenetische Einflüsse auf den Menschen weiß.

Laborjournal: In einem von Ihnen mitverfassten Review tragen Sie Erkenntnisse über den möglichen Einfluss von Schwanger­schaftsdiabetes auf die Epigenetik und das spätere Leben des Kindes zusammen (Reproduction, 148(6): R111-20). Auch für den Schwanger­schaftsdiabetes sind Übergewicht oder Bewegungs­mangel ein Risikofaktor. Andererseits muss der Stoffwechsel der werdenden Mutter erhöht sein, da sie ja auch den Fötus im Uterus mitversorgt. Soweit ich das verstanden habe, wird der erhöhte Blutzucker­spiegel doch dann erst problematisch, wenn auch das werdende Kind mit erhöhter Insulin­ausschüttung reagieren muss.
Thomas Haaf: Ja, denn das Kind kann natürlich nur begrenzt gegensteuern. Die Mutter hat einen viel größeren Organismus; wenn die Mutter zu viel Zucker im Blut hat, dann kann das Kind so viel Insulin produzieren, wie es will – es wird nicht dagegen ankommen. Dieses Kind wird praktisch überschwemmt mit Nährstoffen, und der Stoffwechsel wird dann so eingestellt, als bliebe dieses Überangebot lebenslang bestehen. Und weil Insulin ein Wachstums­faktor ist, macht es auch das Baby und seine Organe groß. Das ist also das, was man unmittelbar nach der Schwanger­schaft sieht.

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Doch die Risiken für metabolische Erkrankungen bleiben dann das gesamte Leben erhöht, oder?
Haaf: Dazu gibt es sehr gute epidemio­logische Daten, doch man darf das auch nicht überbetonen. Es wird ohnehin schon so viel Druck auf Mütter ausgeübt, und deshalb möchte ich klarstellen: Es ist erstmal nur ein statistisch erhöhtes Risiko. Mein Wunsch ist eher, dass ein Umdenken in der Medizin stattfindet. In dem Sinne, dass man die Schwangerschaft optimal und stressfrei gestaltet – denn auch Stress ist ein Risikofaktor. Doch den Gestations­diabetes kann man beeinflussen: Durch Anpassung der Ernährung, im Bedarfsfall auch durch Insulingabe lässt sich der Zuckerspiegel normalisieren. Die Risiken für das Kind werden geringer – man beginnt also schon jetzt mit der Prävention von Volks­krankheiten. Bereits in der Schwangerschaft lässt sich nämlich viel Gutes tun.

Im Analysezeitraum unseres Rankings haben Sie eine Studie geleitet, um die Methylierung im Genom Neugeborener anhand einiger Kandida­tengene zu untersuchen (Diabetes, 62(4): 1320-8). Auch da ging es um den Schwanger­schaftsdiabetes. Die eine Gruppe untersuchter Neugeborener hatte Mütter mit normalem Blutzucker, zwei andere Gruppen Mütter mit Schwanger­schaftsdiabetes. Dabei zeigte sich ein Unterschied beim Gen MEST: In der „Diabetes-Gruppe“ war die DNA dort weniger methyliert.
Haaf: Das war eine der ersten Arbeiten, in denen man solch eine Assoziation gefunden hat. Es ist aber nur eine Assoziation! Wenn man die Methylierung als Form der Genregulation sieht, dann könnte der Gestations­diabetes also die Methylierung und damit die Aktivität dieses Gens und sicher noch vieler anderer Gene verändern. Aber das sind keine Schwarz-Weiß-Effekte. Wir können nicht argumentieren, dass ab einer bestimmten Abnahme oder Zunahme der Methylierung ein Gen an- oder abgeschaltet ist. Zudem sind die Unterschiede auf der Ebene eines einzelnen Gens gering – die sehen wir nicht in einzelnen Personen sondern nur im Vergleich großer Gruppen.

Wäre denn eine weniger ausgeprägte MEST-Methylierung bei Schwanger­schaftsdiabetes plausibel?
Haaf: Aus Tierexperimenten an der Maus ist für MEST bekannt, dass es den Aufbau von Fettgewebe mit beeinflusst, zum Beispiel Größe und Anzahl der Fettzellen. Zu viel MEST prädisponiert die Maus zur Adipositas. Von daher passt das zu unseren Daten. Doch die Effekte, die wir gefunden hatten, waren nicht riesig. Es gibt auch bei Neugeborenen von Müttern ohne Schwanger­schaftsdiabetes Unterschiede in der MEST-Methylierung. In einer menschlichen Population variieren solche Merkmale immer viel stärker als bei Labormäusen, wo alle Tiere genetisch identisch sind und in derselben Umgebung aufwachsen.

In welchem Umfang sind Methylierungs­signaturen denn auch in die nächste Generation vererbbar? Denn eigentlich kommt es ja zu einer Art Reset in der Keimbahn, sodass in der Zygote insbesondere keine Spermien-Methylierungen mehr vorhanden sein sollten.
Haaf: Auch da gibt es beim Menschen nur indirekte Studien, die andeuten, dass epigenetische Merkmale vererbbar sein könnten. Aber im Tiermodell ist das relativ gut gezeigt. Nicht nur, dass negative Effekte auf die Folge­generation transferiert werden, sondern auch in die zweite oder vielleicht sogar dritte Generation. Wir sprechen dann von trans­generationaler Vererbung, wenn es über mehr als eine Generation geht. Wäre nur die nächste Generation betroffen, ließe sich das noch ganz gut erklären. Da gibt es ja noch eine direkte Exposition der Keimzellen oder später des Embryos und Fötus gegenüber dem elterlichen Organismus. Aber diese trans­generationalen Effekte sind meiner Ansicht nach noch nicht gut verstanden. Es gibt viele Hypothesen, aber nichts, das mich abschließend überzeugt. Wahrscheinlich wurde die epigenetische trans­generationale Vererbung von der Evolution „erfunden“, um eine rasche Anpassung an sich verändernde Umwelten zu ermöglichen. Eine Anpassung durch genetische Verän­derungen dauert nämlich viele Generationen.

Aber dass Information, die über die reine DNA-Basenfolge hinausgeht, weitervererbt wird, darin ist man sich offenbar einig. Es gibt ja Tierversuche, die auch den Kontakt zu den Elterntieren ausschließen oder sogar junge Embryonen in fremden Leihmutter­tieren aufwachsen lassen. Weiter­gegebene Information muss demnach ja irgendwo in den Zellen stecken.
Haaf: Es gibt irgendeinen Mechanismus. Und wie gesagt, im Tiermodell gibt es relativ gute Evidenz dafür. Eine Erklärung wäre, dass die Re-Programmierung bezüglich der Methylierung nicht komplett ist und doch Markierungen übrigbleiben. In der Maus wurde gezeigt, dass 5 bis 10 Prozent der Spermien-Methylie­rungsmuster in gleicher Form in den Embryonen vorhanden sind. Doch es gibt natürlich noch viel mehr als DNA-Methylierung. Wir und viele andere Forscher untersuchen diesen Aspekt natürlich auch deshalb, weil sich Methylierungen im Erbgut ganz gut messen lassen. Andere Forscher glauben, dass stattdessen die regulatorischen RNAs in den Keimzellen wichtiger sind; oder dass Information über Chromatin-Modifikationen gespeichert wird. Methylierung ist also nur eine Möglichkeit, wie eine Information, die nicht direkt in den Genen codiert ist, in die nächste Generation gelangen könnte. Wahrscheinlich wirken auch mehrere Mechanismen gemeinsam.

In einem Artikel aus dem vergangenen Jahr berichten Sie darüber, dass mit zunehmendem Alter des Mannes die für Ribosomen codierende DNA in den Spermien stärker methyliert ist (Aging Cell, 19(8): e13181). Für somatische Zellen war diese „rDNA-Uhr“ bereits bekannt, doch dass davon auch Spermien betroffen sind, ist neu.
Haaf: Die väterlichen Alters­effekte rücken in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus. Der mütterliche Alterseffekt ist ja schon seit den 1970er-Jahren gut bekannt, zum Beispiel im Hinblick auf das Risiko für Trisomie 21. Inzwischen gibt es auch zu Spermien und dem Vateralter viele Studien. Unsere Ergebnisse zur Methylierung sind in erster Linie deskriptiv, und welche funktionelle Bedeutung diese epigenetische Veränderung hat, bleibt daher Spekulation. Aber dass ein hohes Vateralter mit statistisch erhöhten Krankheits­risiken für die nächste Generation einhergeht, das ist inzwischen ganz gut belegt.

Nun deuteten Sie vorhin an, dass Methylierung die Genaktivität eher in einem Graubereich steuert, und dass eine Genregulation über die Methylierung in der Regel wohl viele Loci auf der DNA betrifft. Bei etlichen Genen kann man ja aus einer Mutation auch auf eine veränderte Funktion schließen. Für die Methylierungs­signaturen scheint das dann aber komplizierter zu sein.
Haaf: Also welche Methylierungs­unterschiede welchen Phänotyp machen, da sind wir – mit Ausnahme weniger Gene – weit davon entfernt, das zu verstehen. Doch es ist ja schon mal wichtig, dass man diese epigenetischen Unterschiede findet. Es ist schade, dass viele Geldgeber von medizinischen Forschungs­projekten erwarten, dass die Erkenntnisse in zwei, drei Jahren zu einer praktischen Anwendung führen. Viele große Erfindungen gehen doch auch auf unerwartete Beobachtungen in der Grundlagen­forschung oder sogar Zufälle zurück.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Bild: AdobeStock/lidiia


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Letzte Änderungen: 10.09.2021