Editorial

Nerdige Namen und
laufende Nasen

(10.03.2022) Das Jenaer Start-up Dynamic42 miniaturisiert und vereinfacht menschliche Organe wie Blutgefäße, Leber und Darm und packt sie auf einen Chip.
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Damit wollen sie nicht nur Tierversuche reduzieren, sondern auch personalisierte Therapie­ansätze ermöglichen. Das Start-up wurde von einem vierköpfigen Team aus Wissenschaftlern gegründet, von denen heute noch drei im Unternehmen arbeiten: Biologin Nancy Blaurock-Möller sowie die beiden Biochemiker und Geschäfts­führer Knut Rennert und Martin Raasch.

Herr Rennert, Herr Raasch, ein Grund für die Firmen­gründung war, dass Sie weg von Tiermodellen wollten? Eine Kritikpunkt, der häufig im Zusammenhang mit Tierversuchen genannt wird, ist, dass die Modelle nicht ausreichend übertragbar sind auf die menschliche Physiologie. Sind es denn Organoide oder Organ-on-Chip-Modelle?
Martin Raasch: Wir bauen natürlich kein vollständiges Organ in unseren Systemen nach. Aber die Grundidee ist, die kleinstmögliche funktionelle Einheit zu entwickeln, die wir zum Beispiel für einen Toxizitätstest brauchen. Auch im Organaufbau gibt es sich wieder­holende Muster, wir schauen nach relevanten Grund­einheiten. Dafür benötigen wir nicht das gesamte, riesige Organ.
Knut Rennert: Aktuell führen wir Fallstudien durch, die die funktionelle Aussagekraft beleuchten sollen. Dafür testen wir Wirkstoffe, die im Tierversuch unauffällig waren, dann aber in klinischen Studien am Menschen Neben­wirkungen zeigten. Diese Substanzen setzen wir in unseren Organ-Modellen ein und schauen nach Toxizitäten oder anderen unerwünschten Effekten. Wir wollen zeigen, dass wir bestimmte Wirkstoffe schon vor dem Tierversuch aussortieren können.

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Sie arbeiten also mit menschlichen Zellen, um die menschliche Physiologie optimal abzubilden. Sind das Primärzellen, denn Zelllinien verhalten sich ja mitunter auch nicht unbedingt physiologisch? Schließlich sind die meistens immortalisiert oder stammen ursprünglich aus Tumoren.
Raasch: Der Trend geht klar zu Primärzellen und wir versuchen sie zu integrieren, wo es geht. Allerdings sind sie manchmal im Handling schwierig, lassen sich gegebenenfalls nicht allzu lange kultivieren. Deshalb setzen wir tatsächlich auch Zelllinien ein, es ist oft ein Kompromiss. Diese Limitationen können wir umgehen, indem wir induzierte pluripotente Stammzellen verwenden und aus ihnen geeignete Modelle aufbauen. Hier können wir sogar einen Schritt weiter gehen und ein Modell schaffen, in dem alle Zelltypen ein und denselben genetischen Background haben. Das ist besonders für Modelle mit Immunzellen ein Vorteil.

Und wäre ein Schritt Richtung personalisierte Organ-on-Chip-Technologie.
Raasch: Absolut.

Sie sehen aber noch weitere Vorteile humaner Organ-on-Chip-Systeme, etwa wenn es um Krankheits­modelle geht. Welche sind das?
Rennert: Es gibt Tiermodelle, die angeblich eine humane Erkrankung abbilden sollen. Nehmen wir zum Beispiel eine Infektion mit Staphylococcus aureus oder den Erregern der Influenza. Das sind Human­pathogene, die murine Zellen eigentlich gar nicht befallen. Um also Versuchsmäuse zu infizieren und Reaktionen auszulösen, müssen Dosen an Viren oder Bakterien eingesetzt werden, die jeden Menschen direkt umhauen würden.
Raasch: Viele Tiermodelle sind einfach zu weit weg von der menschlichen Realität. Mäuse entwickeln keine Grippe-Symptome wie ein Mensch, vielleicht sehen Sie mal eine laufende Nase. Wir können das also nicht mit der Erkrankung beim Menschen vergleichen, es sind artifizielle Testsysteme.

Ein Organ-Modell auf dem Chip zeigt aber nicht mal eine laufende Nase. Wonach schauen Sie, um zum Beispiel Infektionen und Reaktionen darauf nachzuweisen?
Raasch: Das stimmt natürlich. Aber wir können auf zellulärer Ebene Entzündungs­reaktionen modellieren, die später im Menschen zu bestimmten Symptomen führen würden.

Die sehen Sie bei den Mäusen nicht?
Raasch: Nicht in dem Ausmaß, nein. Immunzell-Populationen von Mensch und Maus unterscheiden sich teilweise. Selbst wenn wir im Maus eine Immun­reaktion provozieren, kann sie beim Menschen anders ausfallen.

Auf Ihrer Website erklären Sie, weshalb Sie die 42 im Firmennamen tragen. 42 ist die „Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest.“ Damit beziehen Sie sich auf den Roman „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams. Was hat das mit Ihrer Firma zu tun?
Rennert: Genau, 42 ist die Antwort auf alles im Universum und überhaupt. Vielleicht ist unsere Technologie – und das klingt jetzt möglicherweise ein bisschen arrogant – die Antwort auf alles [lacht]. Außerdem können tatsächlich viele Menschen mit der 42 etwas anfangen, die Zahl ist wie ein Anker. Der Name bleibt hängen.

Das ist aber schon ein spezielles Klientel, das bei 42 direkt an Douglas Adams denkt. Ist das nicht ein bisschen nerdy?
Raasch: Na ja, um ehrlich zu sein, klingt ja auch Organ-on-Chip nerdy. Sicherlich sind wir da in einem gewissen Science-Fiction-affinen Feld unterwegs. Wir haben bisher tatsächlich nur positive Reaktionen bekommen. Aber klar, wir kokettieren mit unserer Technologie, die wirklich signifikante Verbesserungen bringen kann. Gleichzeitig sagen wir mit unserem Namen auch: Wir sind ein junges Team, nicht nur in der Altersstruktur, auch in der Denkweise. Eine staubige Namensformel wie Blabla Co. KG, das passt einfach nicht zu uns.

Das heißt jetzt aber nicht, dass man die Firma verlassen muss, sobald man 42 Jahre alt wird, oder?
Raasch: Dann wäre Knut schon weg. [lacht]

Dann verwerfen wir den Gedanken besser wieder. Und was ist mit Dynamic? Das klingt ja erst einmal recht unverfänglich.
Rennert: Wir bieten dynamische Zellkulturen an. Dynamic wird teilweise als Synonym für mikro­fluidische Zellsysteme verwendet, deshalb fanden wir das passend. Unser System ist flexibel anpassbar, eben einfach dynamisch. Im Endeffekt war Dynamic42 der Name, mit dem wir uns am wohlsten fühlten und mit dem wir uns am besten identifizieren konnten.
Raasch: So eine Namenssuche für ein Unternehmen ist manchmal echt „pain in the ass“. Wenn man sich hinsetzt und krampfhaft mit Wörtern jongliert, dann wird das nichts. Es muss in einem Moment, in dem man nicht drüber nachdenkt, klick machen. Ich denke, dann findet man einen besseren Namen. So wie wir.

Die Fragen stellte Sigrid März

Steckbrief Dynamic42
Gründung: 2018
Sitz: BioInstrumente­zentrum auf dem Beutenberg in Jena
Mitarbeiter: 15
Produkt: Organ-on-Chip-Systeme

Mehr über das Start-up, die Technologie und die Gründungs­geschichte erfahren Sie im aktuellen Laborjournal (Heft 3/2022).

Bild: Dynamic42


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Letzte Änderungen: 10.03.2022