Editorial

Teamlust und Teamfrust

In der Medizin, den Natur- und Ingenieurswissenschaften gibt es einen deutlichen Trend zur Forschung im Team und zur Gruppenautorschaft bei Veröffentlichungen. Aber wie können bei solchen Gemeinschaftsprojekten die wissenschaftlichen Lorbeeren gerecht verteilt werden?

(26. Juni 2008) Vom späten 17. Jahrhundert bis etwa 1920 waren wissenschaftliche Artikel mit nur einem Autor die Regel. Das lag unter anderem daran, dass in jenen paradiesischen Zeiten die Seniorautorschaft noch unbekannt war und Hilfsmittellieferanten, zum Beispiel von Antikörpern, nicht als Autoren anerkannt wurden und dies auch nicht verlangten. Von 1920 (vielleicht nicht zufällig das Gründungsjahr der DFG!) bis zu den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts nahm jedoch die Zahl der Ein-Autor-Artikel stetig ab.

Heute sind sie die Ausnahme. Beispielsweise enthält eine zeitgenössische Ausgabe von Nature nahezu so viele wissenschaftliche Berichte wie 1950. Die Zahl der Autoren dagegen ist um das vierfache gestiegen. Dieser Trend ist zeitschriften- und fächerübergreifend. Wuchty, Jones und Uzzi (Science 2007, 316:1036-9) zeigten durch statistische Analysen, dass wissenschaftliche Veröffentlichungen in Medizin, Natur- und Ingenieurswissenschaften inzwischen überwiegend das Produkt von Teamanstrengungen sind – wobei es sich bei einem Teil der Teammitglieder allerdings um geistige Parasiten handeln dürfte, so bei der Mehrheit der Seniorautoren.

Teamarbeit hat Vor- und Nachteile. Sie ermöglicht interdisziplinäre und nationenübergreifende Forschungsprojekte. In Kollaborationen können Ressourcen und Kosten unter den Teammitgliedern aufgeteilt werden. Kollaborationen können die Bekanntheit eines Forschungslabors steigern, neue Lösungen für wissenschaftliche Fragestellungen liefern und zusätzliche Fördermöglichkeiten und Einkommensquellen erschließen. Durch Kollaborationen können kleine Gruppen mit großen, etablierten Laboren konkurrieren.

Hat beispielsweise ein Molekularbiologe durch Screening ein neues Protein entdeckt, kann er mit Biochemikern zusammenarbeiten, um die biologische Funktion und Regulation des Proteins aufzuklären und große Mengen davon herzustellen. Chemiker können durch Röntgenstrukturanalyse die dreidimensionale Struktur des Proteins aufklären. Es können aktivierende oder hemmende Substanzen modelliert und hergestellt werden. Pharmakologen können die Auswirkungen der Aktivierung oder Hemmung des Proteins in vitro und in vivo testen.

Teams veröffentlichen häufig nur wenige, umfangreiche Artikel – diese aber häufig in hochrangigen Zeitschriften und mit langen Autorenlisten. Dabei kann der wahre Beitrag einzelner Teammitglieder unterrepräsentiert sein oder unter den Tisch fallen – es sei denn, man ist als Erst- oder Letztautor genannt. Der amerikanische Professor Mott Greene schlägt in Nature vor, den Beitrag jedes Autors im Detail anzugeben. Diese Praxis wurde von Nature bereits 1999 auf freiwilliger Basis eingeführt und ist bei Veröffentlichungen im British Medical Journal, The Lancet und JAMA Pflicht. Auf diese Weise werden die Teammitglieder gewichtet. An anderer Stelle rät die Nature-Redaktion, essentielle technische Neuerungen im Rahmen eines Teamprojekts in Spezialzeitschriften zu veröffentlichen, um die Leistung des Entwicklers zu würdigen.

Die Gefahr, im Team zu kurz zu kommen, ist groß. Wer in ein Team eintritt, sollte sich zuvor folgendes klarmachen: Welche Mitglieder und Kollaborationspartner hat das Team? Welche Absprachen wurden und werden getroffen, die in Ihre Arbeit eingreifen? Wo bestehen Gestaltungsspielräume? Was können Sie im Team für Ihre Karriere erreichen? Diese Informationen und ein gewisses Wohlwollen seitens des Grantinhabers bewahren Sie davor, zugunsten alteingesessener oder bevorzugter Teamangehöriger ausgebeutet zu werden. Werden Initiative und wissenschaftlicher Ehrgeiz durch Mauschelei, Lügen und Einschüchterung erstickt, sollten Sie rechtzeitig das Weite suchen.

Wuchty, Jones und Uzzi zeigten, dass Veröffentlichungen von Autorenteams häufiger zitiert werden als Veröffentlichungen einzelner Autoren. Dies gilt auch, wenn Selbstzitierungen ausgeklammert werden. Ein Team von Forschern kann umfangreichere wissenschaftliche Fragestellungen bearbeiten und seine Veröffentlichungen einem größeren Netzwerk von Kollegen bekannt machen als ein einzelner Forscher. Im Team zu arbeiten, könnte also die Chance auf Beförderung und Bewilligung von eigenen Forschungsgeldern erhöhen – doch nur dann, wenn der Förderer Veröffentlichungen als primäre Basis seiner Beurteilung nimmt, was viele behaupten, aber wenige tun. Auch werden in Gebieten wie Genomik, Proteomik, Klimaforschung und Teilchenphysik zunehmend Artikel mit 100 und mehr Autoren veröffentlicht. Die 2001 veröffentlichte, vorläufige Sequenz des menschlichen Genoms hatte über 160 Autoren. Wie aber soll man eine Autorenschaft auf solch einem Paper beurteilen?

Kevin Hallock von der School of Medicine der Boston University appelliert in einem Leserbrief in Nature an die Förderorganisationen, auch Veröffentlichungen einzelner Autoren zu fördern. Wer die Unabhängigkeit und Beharrlichkeit besitzt, alleine zu publizieren, ist nach seiner Ansicht ein guter Forscher.

Bettina Dupont

Quellen: Nature, Science, Deutsches Ärzteblatt



Letzte Änderungen: 26.06.2008