Editorial

Große Pläne in Heidelberg

Das Heidelberger Biotechnologie-Cluster "Zellbasierte & Molekulare Medizin" erhält 40 Millionen Euro - für die Stammzell- und Biomarker-Forschung, für biopharmazeutische Projekte und für die Ausbildung

(16. Oktober 2008) Das Heidelberger Biotechnologie-Cluster "Zellbasierte & Molekulare Medizin" gehört in diesem Jahr zu den Gewinnern des Spitzencluster-Wettbewerbs des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Ziel des Wettbewerbs ist die schnellere Umsetzung von Ideen in Produkte, Prozesse und Dienstleistungen. Thematische Vorgaben gab es nicht. Das Heidelberger Cluster soll in den nächsten fünf Jahren rund 40 Millionen Euro erhalten.

Den Heidelberger Cluster bilden 57 kleine und mittlere Unternehmen, das DKFZ, die Universität und das Universitätsklinikum Heidelberg, das EMBL sowie die Unternehmen Merck-Serono und Roche. Bereits nach zwei Jahren werden die Leistungen des Clusters evaluiert. Eine Jury wird dann über die Fortsetzung der Förderung durch das BMBF entscheiden. Bis zu diesem Zeitpunkt können bestehende Projekte fortgeführt und neue Projekte begonnen werden.

Das Cluster hat verschiedene Schwerpunkte. Im "Stammzell-Netzwerk" und im Forschungszentrum I-STEM (Institut für Stammzelltechnologie und Experimentelle Medizin) werden adulte und Tumor-Stammzellen erforscht. Das "Biomarker Center" sucht nach neuen Leitmolekülen für eine bessere Diagnose und Therapiekontrolle menschlicher Erkrankungen. Der "Incubator" will biopharmazeutische Projekte bis zur industriellen Reife entwickeln und in der "Academy" sollen Fach- und Führungskräfte für die Biotechnologie-Branche ausgebildet werden.

Andreas Trumpp, seit Juli diesen Jahres Leiter der Abteilung Zellbiologie am DKFZ, ist auch wissenschaftlicher Geschäftsführer von I-STEM. In diesem arbeiten mit Unterstützung des BMBF und der Dietmar Hopp-Stiftung Partner aus dem DKFZ, dem Universitätsklinikum und der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg sowie verschiedene Firmen zusammen. Trumpps Spezialgebiet sind Stammzellen und Tumor-Stammzellen. Diese untersuchte er bis vor Kurzem am Schweizer Institut für Experimentelle Krebsforschung (ISREC) in Epalinges am Genfer See.

Tumor-Stammzellen können durch Mutation aus Stamm- und Vorläuferzellen entstehen. Ähnlich wie gesunde Stammzellen teilen sie sich zu weiteren Tumor-Stammzellen oder bilden differenziertere Abkömmlinge. In immundefizienten Mäusen erzeugen sie nach Transplantation Tumore. Deswegen vermutet man, dass Tumor-Stammzellen eine Krebserkrankung nach Therapie wieder aufleben lassen können und der Ursprung von Metastasen sind. Leider sind sie gegen Chemo- und Strahlentherapie recht unempfindlich. Ihre Zellzyklusruhe macht sie gegen antiproliferative Medikamente unempfindlich. Tumor-Stammzellen exprimieren auch Mengen von ABC-Membrantransportern. Diese befördern Wirkstoffe unter ATP-Verbrauch aus der Zelle heraus und machen sie daher gegen diese Stoffe resistent. Außerdem besitzen Tumor-Stammzellen gute DNA-Reparaturmechanismen.

Für die Aufrechterhaltung der Stammzelleigenschaften braucht es die sogenannte Stammzellnische. Man nimmt an, dass das Tumorbindegewebe Nischeneigenschaften hat, Tumor-Stammzellen aber auch vorhandene Stammzellnischen nutzen. Die in eine dichte extrazelluläre Matrix eingebettete, sauerstoffarme Nische schützt die Tumor-Stammzellen auch vor Krebsmedikamenten und oxidativen DNA-Schäden nach Bestrahlung. Weshalb und wie schlafende Tumor-Stammzellen Jahre nach einer Krebstherapie reaktiviert werden, ist unbekannt.

Die Erforschung von gesunden und Tumor-Stammzellen soll Leitmoleküle für die zelluläre und molekulare Charakterisierung von Tumor-Stammzellen liefern. Die Stammzellforschung sei in Deutschland weniger problematisch als in der Öffentlichkeit angenommen, solange es sich um adulte und nicht um embryonale menschliche Stammzellen handele, so Trumpp.

Eine Strategie zur Bekämpfung von Tumor-Stammzellen ist die Einleitung ihrer Differenzierung. Zudem macht die Aktivierung ihres Zellzyklus Tumor-Stammzellen empfindlich gegen antiproliferative Therapien. Weitere Behandlungsfelder sind die Beseitigung der Tumor-Stammzell-Nische, die Wechselwirkung der Zellen mit ihrer Nische und die zellulären Sauerstoff-Signalwege in Tumor-Stammzellen.

Im Cluster-Wettbewerb sind drei Wettbewerbsrunden mit einem Budget von jeweils bis zu 200 Millionen Euro vorgesehen. In jeder Runde gibt es maximal fünf Gewinner. Ausschlaggebend sei die beste Strategie für Zukunftsmärkte - wobei unklar ist, wie sich die Mitglieder des Entscheidungskomittees für diese Wahrsagerei qualifiziert haben. Aber das macht nichts: Es wird hinterher nicht kontrolliert, ob die Prophezeiungen zutrafen, und an Konsequenzen für die eventuell falschen Propheten ist sowieso nicht zu denken. Im Grunde handelt es sich hier wohl um einen Selbstdarsteller Wettbewerb.

Auch das Müncher Cluster "Therapeutic Innovation in Germany - TIGerM" nahm an der ersten Wettbewerbsrunde teil, gehörte aber nicht zu den Gewinnern. Dieses Cluster entwickelt neue Wirkstoffe für individualisierte Therapien und Proteinarzneimittel.

Die nächste Wettbewerbsrunde beginnt bereits im Dezember 2008. Die Wahl der Gewinner dauert etwa ein Jahr. Sind Sie ein begnadeter Selbstdarsteller? Dann ran!

Harald Aich

Quellen: BMBF, Nature Clinical Practice Oncology, Uni Heidelberg, Promega



Letzte Änderungen: 16.10.2008