Editorial

Vernebelung

Die Zigarettenindustrie versucht seit Jahrzehnten durch gezielte Desinformation und großflächig angelegte Abwiegelung die verhehrende Wirkung ihrer Produkte zu vernebeln. Hier ein Beispiel.

(2. März 2009) Um eines gleich klarzustellen: Der Rezensent ist militanter Nichtraucher. Er hat schon mal einem Raucher, der ihn mit einer Zigarre provozierte, diese aus dem Mund geschlagen. Er hält Rauchen in Gegenwart anderer für eine Unverschämtheit, die eigentlich mit Ohrfeigen quittiert werden sollte. Man lässt auch seine Darmgase nicht vor Anderen ab und Zigarettenrauch ist zudem gesundheitsschädlich. Der Rezensent ist jedoch kein Mitglied einer Nichtrauchervereinigung und er ist auch nicht von einer solchen zu der Besprechung veranlasst worden.

Auf das Buch "Vernebelung" stieß der Rezensent, als er im Rahmen seiner Recherchen zur "Innsbruck-Affäre" (siehe diese Netzseite) nach Peter Suter recherchierte, denn der war gerade zum Mitglied der Innsbrucker Integritätskommission ernannt worden. Der Präsident der schweizerischen Akademie der Wissenschaften hatte dem Buch "Vernebelung" in der Schweizerischen Ärztezeitung eine freundliche Rezension gewidmet. Weitere Recherchen ergaben, dass Suter als Dekan der medizinischen Fakultät der Universität Genf in den Fall verwickelt war, der in dem Buch beschrieben wird. Es ging dem Rezensenten, als er das Buch vom Verlag Orell Füssli anforderte, also mehr um die Person Suters als um eine Polemik gegen Raucher.

Der Fall Rylander

In "Vernebelung" wird der Fall des Ragnar Rylander dargestellt, Umweltmediziner und außerordentlicher Professor der Universitäten Genf und Göteburg. Zwei Schweizer Nichtraucheraktivisten, Jean-Charles Rielle und Pascal Diethelm, hatten Rylander auf einer Pressekonferenz im März 2001 vorgeworfen, heimlich im Dienst des Zigarettenkonzerns Philipp Morris zu stehen. Rylander habe Symposien organisiert, deren Zweck die Verharmlosung des Passivrauchens gewesen seien. Anwälte von Philipp Morris hätten sowohl die Auswahl der Teilnehmer als auch die Symposiumstexte überwacht, die hinterher in einer wissenschaftlichen Zeitschrift erschienen. Rylander habe überhaupt seine Stellungnahmen zum Passivrauchen mit den Anwälten der Tabakindustrie abgesprochen. Es handele sich um einen Fall nie dagewesenen Wissenschaftsbetrugs. Rielle und Diethelm forderten eine Untersuchung der Universität.

Auf Initiative von Peter Suter setzte die Universität Genf schon am nächsten Tag eine Kommission von drei Dekanen ein, die die Vorwürfe untersuchen sollte. Die Kommission kam im Dezember 2001 zu dem Schluss, es liege kein Wissenschaftsbetrug vor und kein Verstoß gegen ethische Richtlinien. Das war Wasser auf Rylanders Mühlen. Er hatte kurz nach der Pressekonferenz Anzeige gegen Rielle und Diethelm wegen Diffamierung und Ehrverletzung erstattet. Dies löste einen Prozessmarathon durch alle Instanzen aus, bis am 15. Dezember 2003 ein endgültiges Urteil gefällt wurde. Der Gerichtshof des Kantons Genf kam zu dem Schluss: "Genf war tatsächlich Ort eines nie dagewesenen Wissenschaftsbetrugs, insofern Ragnar Rylander in seiner Eigenschaft als außerordentlicher Professor der Universität Genf gehandelt und sich deren Ruf zunutze gemacht hat. Er zögerte nicht, die Wissenschaft in den Dienst des Geldes zu stellen ..." Und weiter: "Es scheint also zutreffend, daß Ragnar Rylander sehr wohl lange Zeit vertraglich an Philip Morris gebunden war und daß seine Aussage, er sei nie bei dem Zigarettenfabrikanten angestellt gewesen, bloße Haarspalterei war." Endlich stellte das Gericht fest, dass Rylander gelogen habe. Es sprach Rielle und Diethelm frei. Die Verfahren kosteten Rylander etwa 140 000 chf. Allerdings hatte Rylander über Jahrzehnte hinweg jährlich mehrere zehntausend Dollar von Phillipp Morris erhalten, allein 1992 waren es 150 000, so dass er den Aderlass wohl verschmerzen kann.

Im Juni 2003 hatte die Universität Genf, wahrscheinlich auf Druck der Presse, eine weitere Untersuchungskommission eingesetzt. Die wartete - aus Feigheit? - erst das Gerichtsurteil ab, bevor sie im Oktober 2004 die Schlüsse des Gerichts bestätigte. Sie schreibt in ihrem Bericht (zugänglich unter www.prevention.ch/rapportd.pdf): "Prof. Rylander kann nicht als ein von der Tabakindustrie unabhängiger Forscher betrachtet werden, da er in seiner Beraterfunktion dauerhafte und weitestgehend geheim gehaltenen Beziehungen zu ihr unterhielt. So geht aus zahlreichen Unterlagen hervor, daß Prof. Rylander kaum je eine Initiative ergriff, ohne die Tabakindustrie und vor allem den Philipp Morris Konzern ausführlich darüber zu unterrichten. [...] Seine epidemiologischen Studien über das Passivrauchen entsprachen Initiativen der Tabakindustrie, die im Einklang mit ihrer allgemeinen Strategie standen. [...] Die durch Prof. Rylander verübte Verletzung der wissenschaftlichen Integrität ist im Zusammenhang mit der Strategie der Tabakindustrie zu sehen, Zweifel an der Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens und zwar insbesondere für Nichtraucher zu wecken."

Soweit die Affäre Rylander. "Vernebelung" ist nun eine Art Dokumentarkrimi dieses Falls geschrieben von den Genfer Wissenschaftsjournalisten Marco Gregori und Sophie Malka. Das Buch enthält auch ein Interview der Autoren mit Rylanders.

Dem Rezensenten hat das Buch nicht gefallen.

Es liefert keine Darstellung des Wissenschaftlers Rylander. Was hat er außer seinen Studien für Philipp Morris noch geforscht? Was ist seine wissenschaftliche Leistung? Als Person bleibt Rylander noch flacher. Er sei ein Riese, wird gesagt und in einem Halbsatz erwähnt, er habe Familie und Kinder. Das war es. Die Autoren sagen nicht einmal, ob Rylander raucht.

Grundlegendes bleibt unklar

Eine grundlegende Frage bleibt unklar. Rylander war an der SCARPOL-Studie beteiligt, die an 4470 Kindern die Auswirkungen des Zigarettenkonsums ihrer Eltern untersuchte. Leiter der Studie war der Pädiater Hubert Varonier. Ihr Ergebnis: "Ab acht bis zehn Zigaretten pro Tag, die ein Elternteil raucht, leiden die Kinder an mehr Atemwegerkrankungen als jene, die nicht mit Rauchern in Kontakt stehen." Rylander hatte anscheinend 90 dieser Kinder untersucht (es wird im Buch nicht dargestellt wie die Studie angelegt war). Das Ergebnis meldete er umgehend am 30. August 1991 an Philip Morris: "Es wurde eine Korrelation zwischen der Zahl der von der Mutter gerauchten Zigaretten und dem Auftreten von Bronchitis gefunden." Am 2. November 1991 jedoch faxt Rylander an Philipp Morris: "Die Daten der Studie über die Kinder werden langsam sehr interessant. Nachdem ich Korrekturen an der Datenbasis vorgenommen habe gibt es nun keine Korrelation mehr zwischen dem Kontakt mit Zigarettenrauch und der Häufigkeit von Atemwegsinfektionen." Hubert Varonier sagte dazu vor Gericht: "Wenn man eine epidemiologische Studie beginnt, wird die Datenbasis von den Fachleuten festgelegt. Man kann die Parameter während der Studie nicht verändern, um sich dem gewünschten Resultat zu nähern."

"Warum?"

"Das wäre Manipulation."


Rylanders Assistentin scheint die Korrekturen ihres Chefs nicht mitbekommen zu haben. Sie hält am 26. März 1992 einen Vortrag, in dem sie die Korrelation zwischen Passivrauchen und Bronchitis bei Kindern bestätigt. Auf der Konferenz der American Thoracic Society und der American Lung Association vom 17. -20, Mai 1992 fand Rylander jedoch keinen Zusammenhang zwischen Passivrauchen und Atemwegserkrankungen. Stattdessen will er eine starke Korrelation mit Eiern und Hühnerfleisch gefunden haben.

An dem Satz "Nachdem ich Korrekturen an der Datenbasis vorgenommen habe" hing wohl anfangs der Vorwurf von Diethelm und Rielle, Rylander habe Wissenschaftsbetrug begangen. Aber was genau hat Rylander mit seinen 90 Fragebögen angestellt? Wie hat er die Datenbasis verändert? Vor Gericht kam das anscheinend ausführlich zur Sprache, im Buch erfahren wir davon nichts. So fragen die Autoren von "Vernebelung" Rylander: "Der Prozeß hat dennoch zwei Abstracts der Studie über Kinder ans Licht gebracht, die in einem Abstand von zwei Monaten zu konträren Ergebnissen kommen (29. März und Mai 1992). Außerdem wurde ein Brief von [gemeint wohl: an] Tom Osdene vom 2. November 1992 gefunden, in dem Sie schreiben: "Nach Korrektur der Datenbasis gibt es keine Korrelation mehr zwischen dem Passivrauchen und der Häufigkeit von Atemwegserkrankungen!"

Die Antwort Rylanders, der in dem Interview zuvor Wissenschaftsbetrug als Manipulation von Daten definiert hatte:

"Im Verlauf einer Studie wendet man statistische Korrekturverfahren auf die Datenbasis an. Das ist ein ganz gewöhnlicher Vorgang. Es gibt erste Ergebnisse, dann fügt man neue Variablen hinzu und erhält weitere Ergebnisse. [...]."

Das ist ausweichendes Gelaber und sagt gar nichts, insbesondere nicht, was Rylander denn nun mit seinen Daten gemacht hat - er will ja die Datenbasis korrigiert haben und nicht die Statistik. Die Autoren lassen ihm das durchgehen.

Die zweite Untersuchungskommission der Universität stellt fest, es sei nicht nachweisbar, dass Rylanders Korrekturen dem Tatbestand der "erfundenen Forschungsdaten" oder "einer absichtlichen Fälschung von Primärdaten" entsprächen. Doch Details bleibt auch die Kommission schuldig. Das Gericht bezog den Begriff "Wissenschaftsbetrug" später auf Rylanders Lüge, er sei ein unabhängiger Forscher.

Passivrauchen

In dem Buch wird zwar oft die Schädlichkeit des Passivrauchens erwähnt, es wird aber nicht gesagt, auf welchen Untersuchungen, diese Feststellung basiert. Welche Studien gibt es dazu? Mit welchen Methoden arbeiteten diese Studien? Wurden Sie bestätigt? Wie kommt das DKFZ zu der Feststellung, jedes Jahr stürben in Deutschland 3300 Leute am Passivrauchen? Mit welcher Methodik wurde diese Zahl ermittelt? In "Vernebelung" bleibt die Schädlichkeit des Passivrauchens letztlich eine Glaubenssache - und das ist sie eben nicht: Die Schädlichkeit des Passivrauchens ist erwiesen. Sie war schon Anfang der 80er Jahre erwiesen und nach Aussage des ehemaligen Forschungsdirektors von Philipp Morris auch der Firma bekannt. Dennoch hat Philipp Morris bis ins Jahr 2000 hinein diesen Zusammenhang bestritten. Die Kommission dazu: "Die Ragnar Rylander angelasteten Verstöße sind vor dem Hintergrund einer groß angelegten Aktion der Tabakindustrie zu sehen, die darin besteht, die Gesundheitsschädlichkeit ihrer Produkte und insbesondere des Passivrauchens zu verschleiern. Als die schädlichen Folgen des Rauchens nicht mehr länger abgestritten werden konnten, entwarf die Tabakindustrie eine neue Verteidigungsstrategie, die besagte, daß Rauchen eine individuelle bewußt getroffene Entscheidung der Raucher sei. Daten, die darauf hinwiesen, daß das Rauchen auch schädlich für die Nichtraucher ist, stellten eine existentielle Bedrohung für die Tabakindustrie dar, weil sie dem Argument der freien Entscheidung all seine Glaubwürdigkeit nahmen. [...] Es wurde deshalb strategisch unerläßlich, die Schädlichkeit des Passivrauchens durch von der Industrie gelenkte Studien in Frage zu stellen, bzw. seine Unschädlichkeit nach zu weisen." Das Argument der freien Entscheidung gilt für Alkohol oder Aufputschpillen - aber nicht für's Rauchen. Jedenfalls nicht, solange Andere belästigt werden: Das Recht sich selbst - und sich allein - zugrunde zu richten, soll jedem zugestanden werden. Der nette Raucher jedoch, der sich neben Ihnen und ohne Sie zu fragen, eine Zigarette anzündet, ist in Wahrheit ein unverschämter Patron.

Kein Erfolgsbuch

Neben diesen sachlichen Fehlern ist "Vernebelung" auch schwer zu lesen. Dauernd tauchen Abkürzungen auf und irgendwelche Studien und letztere bleiben unerklärt, so dass sie nicht haften. Es wird nichts auf den Punkt gebracht. Ein Stichwortverzeichnis fehlt.

Den Rezensent wundert daher nicht, dass sich das Buch schlecht verkauft. Lesen Sie den Bericht der Genfer Kommission, falls Sie die Thematik interessiert. Der umfasst nur 30 Seiten - "Vernebelung" 213 Seiten - und ist klarer und informativer.

Gelernt hat der Rezensent aus "Vernebelung", dass die Tabakindustrie die gleiche Strategie fährt wie das von ihr für dumm verkaufte Suchtvieh. Wer einen Raucher fragt, warum er raucht, stellt fest: Raucher blenden unangenehme Tatsachen aus. Raucher sagen, es ist doch meine Sache, ob ich rauche oder nicht, und ignorieren dabei, dass andere ihren Rauch einatmen müssen. Raucher suchen nach Ersatzschuldigen (Feinstaub aus Autos ist viel schlimmer! Ungesunde Ernährung ist viel schlimmer!). Raucher bezweifeln auch zehnmal festgestellte Fakten (Wird schon alles nicht so schlimm sein!). Dabei zeigen schon die grauen verfallenen Gesichter langjähriger Raucher und die eklige Gier, mit der sie den Dreck in ihre Lungen ziehen, welcher Natur das Rauchen ist. Ähnlich macht es die Tabakindustrie und die von ihr gekauften Wissenschaftler: Leute mit unpassenden Ergebnissen werden nicht zu Symposien eingeladen und nicht zitiert, Datenbasen werden korrigiert, bis das gewünschte Ergebnis da ist, Ersatzschuldige gesucht (Händistrahlen, Essgewohnheiten) und Forschungsergebnisse, die die Schädlichkeit des Passivrauchens belegen, verschwiegen. Schon in den 80er Jahren waren am Kölner INBIFO Institut, das von Philipp Morris finanziert wurde und in dem auch Rylander mitarbeitete, festgestellt worden, dass Passivrauchen schadet. Publiziert wurden von dem Institut aber nur Studien, die die Schädlichkeit des Passivrauchens herunterspielten.

Übrigens fährt die Tabakindustrie eine wirksamere Strategie als die Folgen des Rauchens zu verharmlosen: Sie macht ihr Produkte durch Zusätze noch suchterregender als sie eh schon sind. Es ist erstaunlich, dass das in einem Staat durchgeht, der sonst jedes Hundehäufchen mit Strafe belegt.

Wie also soll man Leuten nennen, die einen Haufen Geld dafür nehmen, andere über tödliche Gewohnheiten zu desinformieren? 3000 Tote im Jahr, das ist schon eine Masse! Wie soll man Leuten nennen, die einen Haufen Geld dafür bezahlen, ihre Gesundheit und die ihrer Kinder zu ruinieren? Also gescheit sind die nicht. Und wie würden Sie jemanden bezeichnen, der sich Tag für Tag die Lungen mit Teer zuschmiert und anderen die Luft verpestet? Und nicht nur wenn er raucht. Am widerlichsten stinkt der Raucher, wenn er die Zigarette ausgedrückt hat und die Abbauprodukte ausatmet.

Wie bitte? Diese Polemik sei zu brutal? Der Rezensent muss jeden Tag den Dreck dieser Leute schlucken. Da wird er auch mal austeilen dürfen.



Hubert Rehm



Letzte Änderungen: 19.04.2009