Editorial

Gibt es ein Leben nach der Forschung? - Zur Situation der deutschen Reproduktionsbiologie.

Sie haben Ihr Biologie - Studium oder Ihre Promotion abgeschlossen? Sie sind ratlos angesichts der sich bietenden beruflichen Perspektiven und haben sich nach Jahren von „so what?“ - Forschung schon desöfteren gefragt, ob es noch etwas anderes gibt? Zum Vertriebler in der Pharmaindustrie fühlen Sie sich nicht berufen? Beim Anblick einer Pipette juckt es Ihnen noch immer in den Fingern und eine lebende menschliche Zelle im Mikroskop lässt Ihr Herz höher schlagen? Ein Labor managen, direkter Patientenkontakt, Mediziner ertragen - kein Problem für Sie? Dann eignen Sie sich vielleicht für die Reproduktionsbiologie und die Arbeit in einem IVF - (In Vitro Fertilisation) - Labor.

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(17. Juli 2009) Seit der Geburt von Louise Brown im Jahr 1978, dem ersten im Reagenzglas gezeugten Kind, hat sich die Reproduktionsmedizin und -biologie rasant entwickelt. Das deutsche IVF - Register weist für das Jahr 2007 knapp 43.000 Behandlungszyklen aus, die mit Hilfe artifizieller Reproduktionstechniken durchgeführt wurden. Es wurden 2007 auf diesem Wege 7.500 Kinder geboren. Das entspricht etwa 1 % der insgesamt in diesem Jahr in Deutschland lebend geborenen Kinder oder der Einwohnerzahl einer Kleinstadt. Weltweit wurden bisher mehr als 3 Millionen Kinder nach einer künstlichen Befruchtung geboren.

Historisch betrachtet führte die tubare Indikation bei der Frau (Verschluss der Eileiter z. B. nach Entzündungen) zu der Idee, Eizellen außerhalb des Körpers zu befruchten und die entwickelten Embryonen in den Uterus zurückzusetzen. So kann die Passage durch den Eileiter umgangen werden. Heute gibt es auch andrologische Indikationen der Sterilität. Dazu entwickelten Andre Van Steirteghem und seine Mitarbeiter in Brüssel die Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) (1992 erstmals publiziert). Bei ICSI injiziert man einzelne, auch unbewegliche Spermien, die notfalls aus Hodengewebe isoliert wurden, mittels Mikromanipulatoren in die Eizelle.

Kirchennahe Kreise der deutschen Gesellschaft misstrauen der zunehmenden Verbreitung der IVF. Dies und die Erinnerung an die eugenischen Auswüchse der 30er Jahre führten dazu, dass Deutschland eine der restriktivsten Gesetzgebungen zum Embryonenschutz hat. Seit Jahren kämpfen Berufs- und Patientenverbände um ein Reproduktionsmedizingesetz, das den veränderten Bedingungen und den Anforderungen an eine sinnvolle und effiziente Behandlung Rechnung trägt. Die Schwachstellen des seit Mitte der neunziger Jahre geltenden deutschen Embryonenschutzgesetzes (ESchG) sind, dass maximal drei Embryonen pro Patientin kultiviert und maximal drei Embryonen in die Gebärmutter retransferiert werden dürfen. Jede Manipulation am Embryo, vor allem die Biopsie von Blastomeren zur genetischen Analyse (Präimplantationsdiagnostik = PID) sowie die Selektion der Embryonen sind unzulässig. Besonders letzteres ist angesichts der Varianz in der biologischen Potenz der Embryonen (die Wahrscheinlichkeit einer klinischen Schwangerschaft), von Nachteil. Während in Österreich, den USA und den nordeuropäischen Ländern nur diejenigen Embryonen transferiert werden, die sich nach einer 3 - 5 tägigen Kultur zu vitalen und morphologisch intakten Embryonen entwickelt haben, muss der deutsche Biologe bereits am Morgen nach der Fertilisierung im 2 - Pronucleus - Stadium entscheiden, welche der Präembryonen er für die Kultur und den Embryotransfer auswählt. Zwar gibt es auch auf diesem Entwicklungsniveau morphologische Kriterien, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Prognose zulassen (nukleäre Kriterien wie Anordnung und Symmetrie von männlichem und weiblichem Vorkern und deren Nuleoli oder auch cytoplasmatische und extracytoplasmatische Merkmale wie Größe des perivitellinen Raumes und Beschaffenheit der Zona pellucida). Das entscheidende Qualitätskriterium für einen Embryo ist jedoch die aktive Zellteilung, welche frühestens 1-2 Tage nach der Fertilisierung abgeschätzt werden kann.

Das Verbot der Präimplantationsdiagnostik führte in Deutschland zur Entwicklung einer "Ersatz" - Methode, der Polköperdiagnostik (PKD), um die sich Wissenschaftler der Universität Bonn um Markus Montag verdient gemacht haben. Die reife in der Meiose II befindliche Eizelle zeichnet sich durch die Präsenz eines Polköpers aus, der eine Art Spiegel des zellulären Genoms darstellt, für die weitere embryonale Entwicklung aber entbehrlich ist. Durch Biopsie des Polkörpers und anschließende genetische Analyse mittels Fluorescence In Situ Hybridisierung können genetisch aberrante Embryonen identifiziert werden. Sowohl Translokationen/Deletionen als auch Aneuploidien (Chromosomenfehlverteilungen) können so nachgewiesen werden. Das hilft bei der Auswahl der Eizellen im Vorkernstadium für Kultur und Transfer. Die Aneuploidierate (Mono- oder Polysomien) bei Patientinnen über 35 Jahre kann bis zu 70 % betragen. Damit reduziert sich der Anteil der Embryonen, die für eine erfolgreiche Behandlung in Betracht kommen, oft erheblich.

Die gesetzlichen Beschränkungen bezüglich PID und Selektion führen zu einem Fertilitätstourismus in die osteuropäischen Länder und Österreich. Frauen, deren Ovarien unzureichend auf eine gonadotrope Therapie (Stimulation der Eierstöcke mit follikelstimulierenden Hormonen zur Produktion einer größeren Anzahl von Eizellen für artifizielle Reproduktionstechniken) reagieren, sogenannte low responder, sind oft auf eine Eizellspende angewiesen, um ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Da die Anwendung dieser Methode in Deutschland ebenfalls verboten ist, reisen auch diese Patientinnen bevorzugt nach Tschechien oder Spanien, wo die Gesetzgebung lockerer ist.

Soviel zum theoretischen Hintergrund, nun zum Laboralltag des Reproduktionsbiologen. Er beginnt in der Regel mit der Follikelpunktion am Morgen. Der Arzt punktiert unter Ultraschall die nach einer hormonellen Superovulation im Eierstock herangereiften Follikel. Im IVF - Labor werden die Punktate abgesucht und alle Oozyten-Cumulus-Complexe in ein spezielles Kulturmedium überführt. Einige Stunden später werden die für die ICSI vorgesehenen Eizellen durch eine kurze Behandlung in einer Hyaluronidase Lösung denudiert, d.h. die Cumuluszellen werden entfernt, so das die nackte injizierfähige Eizelle zum Vorschein kommt. Gegen 13 Uhr wird die ICSI oder die konventionelle Insemination der Eizellen durchgeführt. Am Morgen des darauffolgenden Tages erfolgt das Vorkernscoring. Sollten mehr als die erforderlichen zwei oder drei Eizellen regulär fertilisiert sein (also über 2 Pronulei verfügen), werden die überzähligen Vorkernstadien kryokonserviert und stehen der Patientin im Bedarfsfalle für einen Auftauzyklus (entweder für ein folgendes Kind oder bei Misserfolg der Behandlung) zur Verfügung. Am Tag 2 oder 3 werden die dann optimalerweise im 4 - oder 8- Zellstadium befindlichen Embryonen in die Gebärmutter zurückgesetzt.

Um eine gleichbleibende Qualität und Erfolgsrate im IVF - Labor aufrecht zu erhalten, besteht ein Großteil der Arbeit des Biologen in der Qualitätssicherung. Geringste Abweichungen der Temperatur oder des pH - Wertes in Inkubatoren oder auf Arbeitsflächen können zu Entwicklungsstörungen der Embryonen führen. Auch die Dokumentation und Rückverfolgbarkeit aller Abläufe hat einen größeren Stellenwert als in einem Forschungslabor. Daher wird die Kreativität und Freiheit des Forscheralltags im IVF - Labor durch Routineabläufe verdrängt. Dennoch hat die Arbeit ihre Reize: Man ist Zellbiologe, Androloge, Embryologe, Labormanager, Organisator, Psychologe und Erklärer für Patienten, Statistiker, Kommunikator, Verwaltungsarbeiter, "Beinahe-Jurist" (ESchG, Transplantationsgesetz, EU - Geweberichtlinie um nur einige zu nennen), Vorarbeiter für Anträge an Krankenkassen und Vermarktungsspezialist auf Fortbildungsveranstaltungen, Informationsabenden oder in Internetforen.

Es ist eine anstrengende aber schöne Arbeit. Dies besonders wenn der Schwangerschaftstest am Tag 14 nach dem Embryotransfer positiv ist - denn:

Neue Kinder braucht das Land!

Ines Eue


Letzte Änderungen: 04.03.2013