Editorial

Hintergründe einer Retraktion

Es kann jedem passieren, dass er ein Paper zurückziehen muss. Man entdeckt beispielsweise nach der Publikation einen systematischen Fehler (Kühlschrank funktionierte nicht, Enzym war verunreinigt) oder man hat schlicht etwas übersehen oder falsch gerechnet etc. Manchmal steckt aber auch etwas anderes dahinter. So hier.

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(4. September 2009) Vor sechs Jahren erschien in Nature Genetics (2003, 33:527-32) eine Publikation von Haug, Warnstedt, Alekov et al. (gleichberechtigte Erstautoren). Darin wurde berichtet, dass Mutationen in dem Gen eines spannungsabhängigen Chlorid-Kanals (CLCN2) für epileptische Erkrankungen verantwortlich seien. Drei verschiedene heterozygote Mutationen des Gens seien in drei nicht verwandten Familien identifiziert worden und in diesen Familien träten auch verschiedene Formen von idiopathischer Epilepsie auf. Alle Träger der Mutationen seien Epileptiker oder hätten zumindest krankhafte EEG-Veränderungen. Von den insgesamt 26 Autoren werden Holger Lerche (Universität Ulm) und Armin Heils als korrespondierende Autoren ausgewiesen. Der Mediziner Heils war 2003 Leiter einer VW-Nachwuchsgruppe. Er hatte ein Labor im Bonner Institut für Humangenetik (damaliger Leiter war Peter Propping), gehörte aber auch zur Bonner Klinik für Epileptologie. Deren Chef ist Christian Elger. Propping und Elger sind ebenfalls Autoren des Papers.

In der September-Ausgabe von Nature Genetics (2009, 41:1043) wurde das Paper zurückgezogen. Begründung: "Re-examination of the families and the molecular genetic data by a neurologist and a geneticist who were not involved in the original study has revealed major differences from the published data in two of the three published pedigrees ..." Die erwähnten zwei Familien waren von Armin Heils rekrutiert worden. Die dritte, kleinere, Familie hatten die Autoren Dieter Janz und Thomas Sander, Charité Berlin, untersucht. An den Daten von Janz und Sander gab es nichts zu beanstanden. Die "differences" in den zwei Heils-Familien sind dagegen in der Tat "major": Da wurden Personen als Epileptiker bezeichnet, die nie einen Anfall hatten, und einzelne DNA-Proben wurden mehreren Personen zugeschrieben. Eine der Aussagen des Papers lässt sich daher nicht mehr aufrechterhalten: die eines Hauptgeneffektes der Mutationen mit dominantem Erbgang.

Es fällt schwer, dies durch Irrtum oder Nachlässigkeit zu erklären.

Armin Heils weigerte sich, die Retraktion und den begleitenden Correspondence-Beitrag (Nature Genetics 41, 954-955) zu unterzeichnen. In Letzterem ist die Nachuntersuchung detailliert beschrieben.

Die Initiative zu der Publikation sei von Heils ausgegangen, sagte Holger Lerche, der auch Seniorautor der Richtigstellung in Nature Genetics ist, zu Laborjournal. Heils sei für die Rekrutierung der zwei inkrimierten Stammbäume (siehe oben) und damit für die falschen klinischen Daten sowie für die Genetik verantwortlich. Viele Autoren der Arbeit hätten die funktionellen Auswirkungen der Mutationen untersucht (Mutagenese der CLCN2 cDNA, Expression in HEK-Zellen, elektrophysiologische Messungen an transfizierten HEK-Zellen). Diese Daten seien korrekt und stützten die aus Sicht der Autoren aufrecht zu erhaltende Kernaussage des Papers. Diese wäre: CLCN2 Mutationen sind für den epileptischen Phänotyp in den drei erwähnten Familien wahrscheinlich mitverantwortlich (im Sinne eines Suszeptibilitätsfaktors). Diese Aussage werde auch durch eine neue Arbeit über CLCN2 Mutationen bei deutschen und französischen Epilepsiepatienten gestützt. Nicht aufrecht zu erhalten sei der Hauptgeneffekt der Mutationen, da sie nicht autosomal dominant vererbt würden und auch bei gesunden Familienmitgliedern vorkämen.

Peter Propping teilte folgendes mit:

Nach der Publikation des Nature Genetics-Papers seien Heils Chef, Christian Elger, inkonsistente Daten Heils, die in anderen Zusammenhängen erhoben worden waren, aufgefallen. Auch sei es seltsam gewesen, dass keine andere Gruppe in Familien mit autosomal dominanter Epilepsie eine Mutation des CLCN2-Gens gefunden habe. Also hätten Propping und Elger entschieden, Heils Daten nachzuprüfen, was dank der Hilfe von Heils TAs, die die DNA-Proben identifizieren konnten, möglich gewesen sei. Diese Untersuchungen wurden von Mitarbeitern durchgeführt, die nicht an der Originalstudie beteiligt gewesen waren (Ailing Kleefuß-Lie, Waltraud Friedl, Sven Cichon). Heils selbst habe sich geweigert, diese Prüfung zu unterstützen. Nachdem sich die Daten der von Heils bearbeiteten zwei größeren Familien als unhaltbar erwiesen hätten, habe man die Retraktion geschrieben.

Armin Heils hat die Universitätsklinik im Frühjahr 2007 verlassen. Mit Armin Heils haben die Autoren des Papers inzwischen nur noch über die Ombudsperson der Universität Bonn Kontakt.

Zum Schluss eine Ehrenrettung. Der Leser wird sich fragen, welche Rolle der "erste Erstautor" Karsten Haug in diesem Drama gespielt hat. Musste dem nicht auffallen, dass da etwas nicht stimmte? Es musste ihm nicht auffallen. Peter Propping: "Haug hatte CLCN2 auf Grund von Kopplungsbefunden in der Literatur als Kandidatengen benannt. Er hat die Sequenzierungen an den Proben durchgeführt, die ihm Herr Heils gegeben hat. Die Zuordnung der Mutationen zu den Stammbäumen hatte Herr Heils vorgenommen."



Hubert Rehm

Bild: iStockphoto/SensorSpot



Letzte Änderungen: 04.03.2013