Editorial

Der Fehlerbalken im Auge des Forschers

"Der Charité-Skandal" (Folgen 1-6 und 7, Update vom 26. Februar 2010) -- Es gehen Gerüchte, Forscher an der Charité hätten eine Unzahl von gefälschten Papern veröffentlicht. Höchste Stellen seien verwickelt, der Filz reiche bis nach Hamburg. Selbst Ulrike Beisiegel, Sprecherin des Ombudsman der DFG, Kandidatin für das Präsidentenamt der Göttinger Universität, Ikone der deutschen Wissenschaftsethik, wurde angegriffen.

editorial_bild

Da biegt sich der (Fehler-)Balken

Folge 7: Der DFG-Ombudsman wird angerufen.

 

Markus Kühbacher gegenüber Laborjournal zu Kühns Ausführungen vom 1.8.08: „Die Fakten stimmen, aber der Bewertung kann ich nicht folgen. Das mit dem Video ist eine Schutzbehauptung. Auch kann es nicht sein, dass unterschiedliche Software zu unterschiedlichen statistischen Aussagen führt.“

 

Dem Laborjournal-Reporter dagegen leuchtet Kühns Behauptung ein, unabhängige morphometrische Evaluierungen ein und derselben Probe, führten zu unterschiedlichen Mittelwerten bzw. Standardabweichungen. Der Laborjournal-Reporter hat jedoch ein Problem mit der Tatsache, daß die Unterschiede so groß sind: So sind in Ms2 (Fig 2c) die relativen 75Se Aktivitäten des Dentate Gyrus kleiner als die des Entorhinal Cortex, in Ms1 (Fig. 5C, 4. Version bzw. Fig. 3C, 5. Version) aber ist es umgekehrt. Wenn sich also mit der Evaluierungsmethode selbst qualitative Relationen ändern, dann frägt man sich, was diese Evaluierungen wert sind.

 

Kühbacher hatte noch im Juli 2008 den Ombudsman der DFG angerufen. Die Sprecherin des Ombudsman ist Ulrike Beisiegel. Am 22.8.08 bat Frau Beisiegel Savaskan um eine Stellungnahme. Der wies am 1.9.08 Kühbachers Vorwürfe zurück: Er, Savaskan, habe Ms1 geschrieben. Er habe die Gewebe geschnitten. Beim Ms2 sei Kühbacher weder an der Konzeption der Studie noch an den Experimenten, Analysen, Interpretationen und Formulierungen des Manuskripts beteiligt gewesen. Als Kühbacher im Mai 2008 seine Vorwürfe erhoben hatte, habe er, Savaskan, versucht mit Kühbacher ins Gespräch zu kommen, doch der habe sich geweigert, mit ihm zu reden.

 

Frau Beisiegel lud die Kontrahenten auf den 21.10.08 nach Hamburg ein. Bei diesem Treffen hielt Kühbacher einen Power Point Vortrag in dem er seine Vorwürfe vom 3. und 6.7.08 darstellte und erweiterte. Savaskan: „Kühbacher hat ne Schippe voll neuer Vorwürfe ausgebreitet“. Kühbacher behauptete jetzt zudem, daß Savaskan die von Kühbacher für Ms1 vorgenommene quantitative Auswertung eines einzelnen Hodenschnitts in Form eines Balkendiagramms (Fig. 4D, 5. Version Ms1) inklusive zweier Druckfehler aus Ms1 in sein Ms2 übernommen habe. Das Balkendiagramm steht in Ms2 als Figur 3B. Savaskan habe die Figur 3 des Ms2 zudem mit einem anderen Hodenschnitt, der nicht in die Auswertung eingegangen sei, versehen.

 

Dem Laborjournal-Reporter gegenüber bestritt Savaskan dies. Richtig sei, daß er zehn Schnitte einer Se- Ratte ausgewertet habe: Die Balkengrafik sei das zusammengefaßte Ergebnis von zehn Schnitten, die alle nicht von Kühbacher stammten (in der Legende zu Figur 3, Ms2 steht nichts über die Zahl der ausgewerteten Schnitte). Einer der ausgewerteten zehn sei der abgebildete Schnitt. Die Balkengrafik (Figur 3B, Ms2) sei auch nicht die aus Ms1, sondern von ihm, Savaskan, extra hergestellt worden. Nur die Beschriftung der Ordinate habe er von Ms1 übernommen - deswegen die übernommenen Druckfehler -b die Skalierung dagegen sei neu.

 

Der Laborjournal-Reporter hat die Balkenhöhen mit der pdf-Meßfunktion nachgemessen. Sein Ergebnis deckt sich mit den Behauptungen Kühbachers: die relativen Höhen der Balken der Figur 3B, Ms2 sind im Rahmen der Meßgenauigkeit dieses Verfahrens ununterscheidbar von den relativen Höhen der Balken der entsprechenden Figur 4D in Ms1. Im Grunde unterscheiden sich nur die Abszissenbeschriftungen - Ms1: 75Se activitiy/area [a.u./pixel], Ms2: relative 75Se activitiy [a.u.]; a.u. = arbitrary unit  - was in um einen Faktor 5 verschiedenen absoluten Zahlenwerten resultiert, deren Relationen scheinen jedoch identisch zu sein. Trifft das zu, kann es sich nicht um zwei verschiedene Messungen handeln.

 

Anders gesagt: Die Balkenhöhen in Figur 4D, Ms1 und Figur 3B, Ms2 können nicht die gleichen Relationen zeigen wenn die betreffenden Datensätze für Ms1 und Ms2 in unabhängigen Auswertungen gewonnen wurden. Auch wurde, das ist unstrittig, für Figur 4D, Ms1 nur ein Hodenschnitt verwendet. Für Figur 3B, Ms2 will Savaskan jedoch zehn Schnitte ausgewertet haben.

 

Die Tatsache, daß keine Standardabweichungen angegeben wurden, paßt zur Auswertung nur eines Hodenschnitts.

 

Savaskan dazu: „Offensichtlich sind in Ms1 die gleichen Datensätze wie in Ms2 verwendet worden. Die Legende zu Figur 4D, 5. Version Ms1 ist also falsch.“

 

Diese Legende ist sogar mehr als falsch, sie macht gar keinen Sinn. Ihr Text: „Quantitative analysis of the 75Se activity per area in distinct areas of testis in selenium deficient rats. Note, that especially seminiferous tubules show enriched selenium accumulation. The values are expressed as a percentage of 75Se activity/area of three different rats.”

 

Beide, Kühbacher und Savaskan, behaupten, für Figur 4D, Ms1 sei nur ein Schnitt verwendet worden. Ein Schnitt von drei verschiedenen Ratten?

 

Wie schon gesagt, behauptet Kühbacher, Savaskan habe die drei Ratten gegen seinen Willen in das Ms eingefügt, in der 4. Version des Ms1 sei noch richtig von nur einer Ratte die Rede gewesen.

 

Savaskan dazu: „Wie die drei Ratten in die Legende der Figur 4D der 5. Version von Ms1 kommen weiß ich auch nicht. Möglicherweise hat Kühbacher mit mir weitere Datensätze diskutiert, die er in das Ms1 aufnehmen wollte. Er hat ja 2009 ein Paper im J. Neurochem. veröffentlicht in dem auch Schnitte von 75Se-markierten Ratten vorkommen [Kühbacher hatte die Schnitte für seine 2009er Veröffentlichung an Mikrotomen im Benjamin Franklin Krankenhaus und im HMI hergestellt, H.R.]. Auch waren weitere Experimente geplant. Die Studie war noch nicht veröffentlichungsreif.“

 

Nebenbei: Auch die Legende zu Figur 3B, Ms2 stimmt nicht. Dort steht: „Quantitative analysis of the 75Se activity per area in distinct areas of testis in selenium deficient rats. Note that especially seminiferous tubulus show enriched selenium accumulation. The values are expressed as percentage of relative 75Se activity per area.” Wie schon erwähnt, hat es jedoch immer nur eine 75Se markierte  Se- Ratte gegeben.

 

In Figur 4D, 5. Version Ms1 seien also die gleichen Datensätze wie in Figur 3B, Ms2 verwendet worden, sagte Savaskan, der sie aber nicht von Ms1 übernommen haben will. Also müssen die betreffenden von ihm für Ms2 erhobenen Datensätze in die 5. Version Ms1 eingeflossen sein. Das nahm der Laborjournal-Reporter mal so hin. Doch einige Tage später las er einen Brief Savaskans an Frau Beisiegel vom 23.12.08, der ihm von Savaskan übermittelt worden war. In dem Brief schreibt Savaskan, er habe die Auswertungen, die zur Figur 3B im Ms2 führten, am 28.1.08 und am 5.2.08 gemacht. Die 5. Version von Ms1 stammt jedoch vom 18.1.-21.1.08. Es können also keine Daten von Ms2 in Ms1 geflossen sein.

 

Dennoch sind die Balkenhöhen von Figur 4D, Ms1 und Figur 3B, Ms2 ununterscheidbar. Wie kann das sein?

 

Auf erneute Nachfrage des Laborjournal-Reporters schlug Nicolai Savaskan die Originaldatensätze zu den Figuren 4D, Ms1 und 3B, Ms2 nach. Die Balkenhöhen seien für Figur 3B, Ms2: 3,926; 4,949; 1,127; 2,419; 1,331 und für Figur 4D, Ms1: 0,79; 0,94; 0,17; 0,44; 0,23. Die Zahlenreihe für Ms1 wurde von Kühbacher bestätigt, ist also unstrittig. Normalisiert auf den größten Wert ergeben sich für Figur 3B, Ms2 Balkenhöhen von: 0,79; 1,0; 0,23; 0,49; 0,27; für Fig 4D, Ms1: 0,84; 1,0; 0,18; 0,47; 0,29. Die Datensätze wären also ähnlich aber nicht identisch. Leider aber zeigt schon der Augenschein, daß der von Savaskan angegebene Datensatz für Figur 3B, Ms2 nicht übereinstimmt mit den in Figur 3B, Ms2 angegebenen Balkenhöhen. Die in der Figur angegebenen Balkenhöhen passen vielmehr zum zweiten Datensatz, also dem für Figur 4D, Ms1. Nochmalige Nachfrage bei Herrn Savaskan verlief im Sande, d.h. er meldete sich in dieser Frage nicht mehr und der Laborjournal-Reporter, abgelenkt von anderen Skandalen, vergaß das dann auch. Die Sache kam aber vor der Charite-Kommission zur Sprache. Davon später.

 

Sie sind vielleicht schon völlig verwirrt und doch muß der Laborjournal-Reporter weiter auf der Fig 3B Ms2 herumreiten. Herr Savaskan behauptet ja, er habe dazu zehn Hodenschnitte einer Ratte ausgewertet und die relative 75Se-Aktivität von fünf Hodenregionen ausgewertet: Testis, seminiferous tubulus, caput epididymis, corpus epididymis und cauda epididymis. Der Bitte des Laborjournal-Reporters, ihm die entsprechenden Autoradiogramme zu schicken, kam Herr Savaskan nach. Der Laborjournal-Reporter schaute sich die Autoradiogramme an und stellte fest, daß nur fünf caput epididymii vorhanden waren. Nichtsdestotrotz finden sich in der entsprechenden Excel-Tabelle zehn Werte. Wie kann das sein?

 

Nachfrage bei Herrn Savaskan ergab, daß er von einem Autoradiogramm zwei verschiedene Regionen der caput epididymis gescannt habe und so auch zehn Werte erhielt.

 

„Das ist ungewöhnlich, das hätten Sie zumindest in der Legende vermerken müssen“, wandte der Laborjournal-Reporter ein.

 

„Ja“

 

Die Tatsache, daß in der Legende zu Figur 3B, Ms2 von isotopenmarkierten Se- Ratten (Plural!) die Rede ist, obwohl es nur eine Se- Ratte gegeben hat, erklärt Savaskan als Verschreiber. Er habe die Zahl der Ratten mit der Zahl der Schnitte verwechselt.

 

Beim DFG Ombudsman wurden auch die acht Ratten in Material & Methoden von Ms2 angesprochen. Savaskan soll vor dem Ombudsman gesagt haben, er hätte von Kühbacher acht 75Se-markierte Gehirne erhalten (das behaupten Kühbacher und ein weiterer Zeuge).

 

Savaskan bestreitet, dies gesagt zu haben.

 

Auf die Gefahr hin, mich endlos zu wiederholen: Tatsache ist, daß für die Autoradiographie nur zwei 75Se-markierte Ratten bzw. Hirne (Se+ und Se-) benutzt wurden. Dem Laborjournal-Reporter gegenüber sagte Savaskan, er habe weitere zwei Ratten für die Immuncytochemie, drei Ratten für die Microarray-Analysen und eine Ratte zur Präparation der Gesamt-RNA für die PCR benutzt - macht acht. Die sechs weiteren Ratten seien natürlich nicht mit 75Se radioaktiv markiert worden, es seien aber selenadäquat ernährte Ratten gewesen.

 

Zu Letzterem: In Material & Methoden von Ms2 steht, die Ratten hätten selenadäquates Futter bekommen (received a selenium-adequate diet according to RDA in humans, which consisted of the same basal diet with 300 mg Se/kg added as sodium selenite (MP Biomedicals, formerly ICN Biomedicals, Cleveland Ohio, USA). Coautor Eyüpoglu (Erlangen) versicherte dem Laborjournal-Reporter jedoch, diese Ratten seien normal ernährt worden. Dies, so Eyüpoglu weiter, sei aber in Ordnung, normale Ernährung sei dem RDA Futter gleichwertig, das habe der Spurenelementexperte Behne Savaskan versichert.

 

 

von Hubert Rehm

 

Als PDFs zum Download:

 

MS1 v4

MS1 v5

Ms2

Dalla Pu


Was bisher geschah:

Folge 1: Die Kontrahenten

 

Folge 2: Der Krach

 

Folge 3: Die Affäre eskaliert

 

Folge 4: Savaskan weist die Vorwürfe zurück

 

Folge 5: Nachforschungen des LJ-Reporters

 

Folge 6: Vermittlungsversuche

 

Folge 7: Der DFG-Ombudsman wird angerufen

 

Folge 8: Der Ombudsman fordert Unterlagen an

 

Folge 9: Der DFG-Ombudsman gibt an den DFG Ausschuß für Fehlverhalten ab

 

Folge 10: Kühbachers Generaluntersuchung

 

Folge 11: Frau Beisiegels Stellungnahme

 

Folge 12: Noch ein fehlerhaftes Paper: Das Nogo Paper

 

Folge 13: Juristische Nullnummer

 

Folge 14: Ein neuer Ermittler schaltet sich ein

 

Folge 15: Hugo Habicht widerspricht Adebar Storch!

 

Folge 16: Seltsame Endziffern

 

Folge 17: Zusammenfassung und Kommentar

 

Folge 18: Ergänzungen und Bemerkungen

 



Letzte Änderungen: 09.08.2010