Editorial

Vernunftoffensive im Massenmedium

Zum zweiten Mal in diesem Jahr titelt Der Spiegel mit einem Wissenschaftsthema. Nach der „Schöpfung im Labor" (im Januar ging's um Gensynthese und Venters Kunstbakterien-Experimente) nimmt man dieses Mal die, ähm, Homöopathie aufs Korn. Doch wer jetzt Schlimmes ahnt, wird eines Besseren belehrt. (aktualisiert!)

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(14. Juli 2010)  Zehn Seiten wider den menschlichen Blödsinn. So oder ähnlich könnte man den Inhalt der Titelgeschichte in der Spiegel-Ausgabe 28/2010 zusammenfassen. Die Quintessenz dessen, was zwei Spiegel-Autoren zum leidigen Dauerthema „Homöopathie" zu sagen haben, lautet: „Je eingehender man sich mit [ihr] beschäftigt, desto mehr stellt man fest, wie skurril sie ist."

 
Ja aber hallo!? Sowas steht im Spiegel?? Da freute sich der Laborjournal-Redakteur im Vorfeld schon diebisch darauf, die Spiegel-Autoren gehörig abzuwatschen wegen einer mutmaßlich halbgaren Story – und dann schreiben die Kollegen Markus Grill und Veronika Hackenbroch einfach, was Sache ist („Homöopathie – Die große Illusion"), und das nicht mal schlecht. Gut gemacht!

Oje: Was sagt das Spiegel-Feuilleton dazu?

Interessieren würde den LJ-Redakteur allerdings: Wie nimmt die wunderheilergläubige Fraktion in der Hamburger Hauptredaktion diese recht eindeutige Stellungnahme „contra Homöopathie" auf? Was sagen die Homöopathie-überzeugten Sport-, Politik-, Feuilleton- und sonstigen Redakteure beim Spiegel dazu, dass die Kollegen aus der Wissenschaft ihre Lieblingsheilkunde zehn Seiten lang durch den Kakao ziehen? Immerhin sind – zumindest laut einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2009 – 25 Prozent (!) der bundesdeutschen Bevölkerung „überzeugte Verwender" homöopathischer Mittel (und nur 14 Prozent lehnen demnach Homöopathika ab). Ausserdem haben angeblich 57 Prozent der Bevölkerung selbst schon mindestens einmal homöopathische Arzneimittel genommen (1970 seien es nur 24 Prozent gewesen). Im Spiegel-Redaktom dürfte der Anteil der Homöopathie-Gläubigen ähnlich sein.

Auch wenn die genannten Zahlen zur Verbreitung der homöopathischen Heilslehre nicht gesichert sich (die erwähnte Umfrage wurde von Zuckerkügelchen-Herstellern in Auftrag gegeben) – sie klingen plausibel. Die Blödsinnslehre nach Hahnemann (erfunden vor mehr als 150 Jahren) ist unbeirrt auf dem Vormarsch – und beileibe nicht nur in Modeblättchen und bei Halbgebildeten. Ganz im Gegenteil – gerade die sogenannten Intellektuellen und Besserverdienenden fahren auf Methoden ab, die den gesunden Menschenverstand verhöhnen: Wirkung ohne Wirkstoff; Wasser mit Gedächtnis; Hundekot und Sonnenstrahlen als  Therapeutikum.

Und tausende Ärzte und Apotheker, die derlei Mummenschanz ohne mit der Wimper zu zucken an Millionen Gutgläubige verkaufen. Im normalen Leben nennt man so etwas Betrug. Im deutschen Gesundheitswesen des Jahre 2010 nennt man es „alternative Heilmethode".
 
Selbst staatliche Universitäten verseucht

Längst ist die homöopathische Irrlehre an der steuergeldfinanzierten Akademie angekommen und verseucht dort die Gedankengänge junger Studenten.

Zum Beispiel in Berlin. Dort „forscht" am Universitäts(!)klinikum Charité eine gewisse Claudia Witt („Stiftungsprofessur zur Erforschung der Komplementärmedizin", finanziert durch die anthroposophische Karl und Veronica Carstens-Stiftung) an Placebo-Verfahren wie Homöopathie, anthroposophischer Medizin, Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) und Schröpfen (siehe dazu auch www.laborjournal.de/editorials/380.html).

 

Seltsam nur, dass bisherige Ergebnisse von Witts „Forschung" dem widersprechen, was die weltweite Naturwissenschaft in den letzten 150 Jahren herausgefunden hat. Naja, die Bundespräsidentenwitwe und Esoterik-Lobbyistin Veronica Carstens kommentierte Witts Amtsantritt und damit deren berufliche Objektivität im Jahr 2008 ja auch folgendermaßen:

„Von Anfang an [hatte unsere] Stiftung das Ziel der Integration von Naturheilverfahren in die Hochschulen [...]. Mit der Professur an der Charité sind wir diesem Ziel ein gutes Stück näher gekommen. In der Kombination von konventioneller Medizin mit Naturheilkunde und Homöopathie sehe ich die Zukunft."

Eine Zukunft übrigens, vor der es jedem Vernunftbegabten grausen sollte – es sei denn, man freut sich auf Zustände wie im tiefsten Mittelalter.

Oder an der Universität Kassel, wo ein gewisser Ton Baars, finanziell gefördert von der Anthroposophischen Gesellschaft Deutschland – aber auch vom deutschen Steuergeldzahler! – an klassisch homöopathischer Milchvieh-Landwirtschaft „forscht". Baars ist übrigens auch Experte in der anthroposophischen Hornmist-Applikation (gemäß Wikipedia: „Eine kleine Handvoll frischen Kuhmists wird in ein Kuhhorn gefüllt und in der Erde vergraben. Danach wird der Inhalt des Kuhhorns in einem Eimer Wasser verrührt und über einem Hektar Land versprüht") und hat über Gnome und Elfen publiziert (www.laborjournal.de/rubric/archiv/editorials/235.php).

Charité: Der Bock agiert als Gärtner

Ja, so geht's zu im deutschen Gesundheitswesen und an deutschen Universitäten. Schön, dass endlich auch mal der Spiegel so eindeutig Stellung bezieht. Vielleicht kommen dadurch  wenigstens ein paar Gutgläubige ins Grübeln.

Klar Stellung bezogen hat übrigens auch der Geschäftsführer der Techniker Krankenkasse (TK), Norbert Klusen. Er habe laut Spiegel „ein Gespräch darüber, weshalb die Techniker Krankenkasse die Zuckerkügelchen bezahlt", abgelehnt. So eine Gesprächsverweigerung spricht Bände. Interessant auch, dass die TK das ihrer Meinung nach „positive Kosten-Nutzen-Verhältnis der Homöopathie bald  mit handfesten Zahlen untermauern" will. Der TK-
Pressesprecher Hermann Bärenfänger sagte dem Spiegel, das Thema werde derzeit mit einer Studie an der Charité untersucht.

 

Na, da raten wir doch mal, wo diese Studie durchgeführt wird. Womöglich am Stiftungslehrstuhl der Homöopathiefreundin Claudia Witt, Herr Bärenfänger? Falls ja, weiß der Laborjournal-Redakteur schon jetzt, wie das Ergebnis von Witts Studie lauten wird.

 

(Ergänzung: Die o.g. Studie läuft tatsächlich ebendort. Der Laborjournal-Redakteur hat am 14. Juli mit dem TK-Pressesprecher Hermann Bärenfänger telefoniert. Dessen aufschlussreiche Antworten auf Fragen wie "Warum lässt die TK eine derart zentrale Studie ausgerechnet von einer Professorin (Witt) durchführen, deren Stelle von einer anthroposophischen und Homöopathie-freundlichen Stiftung bezahlt wird?" finden Sie im Laborjournal-Blog).

 

Der „Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte" (ja, sowas gibt's wirklich) gab übrigens gleich nach Erscheinen der Spiegel-Titelgeschichte aufgeregt eine Pressemitteilung heraus, in der die Homöopathie als „effektiv und kostengünstig" bezeichnet wurde. Naja, was soll er sonst auch machen... die grundsätzliche Einstellung dieser Ärzte zu ihrem Beruf bringt einen trotzdem ins Grübeln. Immerhin erstrecken sich laut Bundesärztekammer die Berufspflichten des Arztes auch auf folgende Passage:

„Außer im Notfall muß der Arzt den Patienten über die zu erwartenden Wirkungen und Folgen der Behandlung aufklären."

Hm. Wie verträgt sich dieses Versprechen mit der zu erwartenden Nicht-Wirkungsweise homöopathischer Zuckerkügelchen?

Britischer Ärztebund: Homöopathie ist Hexenzauber

Einige Kollegen aus Großbritannien scheinen in punkto Homöopathie immerhin ein gutes Stück fortschrittlicher zu sein als hierzulande. Vor wenigen Wochen verabschiedeten Mitglieder des britischen Ärztebunds eine Resolution, in der folgendes klargestellt wurde:

"Homeopathy is witchcraft. If people wish to pay for homoeopathy that's their choice but it shouldn't be paid for on the NHS until there is evidence that it works."

In Zeiten wachsender Geldknappheit sei es unverantwortlich, so die britischen Mediziner weiter, den Gesundheitsetat mit Ausgaben für Quacksalberei zu belasten (siehe zum Beispiel www.telegraph.co.uk/health/alternativemedicine/7728281/Homeopathy-is-witchcraft-say-doctors.html).

Dem ist lediglich hinzuzufügen: Auch der deutsche Wissenschaftsetat sollte nicht weiter damit belastet werden, parawissenschaftliche Theorien zu erforschen, für deren Richtigkeit seit mehr als 150 Jahren nicht der geringste Beweis erbracht werden konnte.


Winfried Köppelle





Letzte Änderungen: 04.03.2013