Editorial

Fette Megastudie

Eine „große internationale Analyse" zum Einfluss von Genen auf den Fettstoffwechsel liefert ein Fazit, das nicht wirklich überrascht: Nichts Genaues weiß man nicht, alles hängt mit allem zusammen, und die Ergebnisse eröffnen neue Perspektiven. Ähem.

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(16. August 2010)  Es war eine wahre Fleißaufgabe, die ein internationales Wissenschaftlerkonsortium mit deutscher Beteiligung jüngst erledigt und in der letzten Nature-Ausgabe veröffentlicht hat.

Was haben die Forscher gemacht? Zunächst ein sogenanntes „Global Lipids Genetics Consortium" gegründet mit der Absicht, den Einfluss menschlicher Gene auf den Fettstoffwechsel zu beleuchten. Die bloße Menge der Beteiligten ist beeindruckend: Zwischen Erstautorin Tanya M. Teslovich und Seniorautor Sekar Kathiresan klemmen unter der Überschrift „Biological, clinical and population relevance of 95 loci for blood lipids" ungefähr 200 weitere Kollegen (Nature 466, 707–713, 05 August 2010; doi:10.1038/nature09270). Es sei die bisher umfassendste Analyse ihrer Art, wird berichtet.

 

Am Start auch 14 deutschsprachige Forscher

Deutsche Beteiligte: Andreas Ziegler und Inke R. König (Institut für Medizinische Biometrie und Statistik der Uni Lübeck); H.-Erich Wichmann, Iris Heid, Christian Gieger und Angela Döring (Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München); Thomas Meitinger (Institut für Humangenetik am Helmholtz Zentrum München); Christian Hengstenberg (Klinik und Poliklinik für Innere Medizin der Uni Regensburg); sowie Jeanette Erdmann und Heribert Schunkert (Medizinische Klinik II der Uni Lübeck).

 

Für die Schweiz am Start: Gérard Waeber und Peter Vollenweider (Department of Internal Medicine, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne).


Nicht zu vergessen die Österreicher Claudia Lamina und Florian Kronenberg (Division of Genetic Epidemiology, Department of Medical Genetics, Molecular and Clinical Pharmacology, Innsbruck Medical University).


Diese zweihundert-weiß-nicht-wieviele Wissenschaftler nahmen 46 genomweite Assoziationsstudien mit insgesamt über 100.000 Teilnehmern unter die Lupe und fanden 95 Gen-Loci, die den Fettstoffwechsel im menschlichen Körper beeinflussen:

Here we report 95 significantly associated loci […], with 59 showing genome-wide significant association with lipid traits for the first time. The newly reported associations include single nucleotide polymorphisms (SNPs) near known lipid regulators […] as well as in scores of loci not previously implicated in lipoprotein metabolism.

Zusammenhang mit Cholesterin und Triglyceriden

Die gefundenen Genvarianten stehen jeweils mit mindestens einer der wichtigsten Größen des Fettstoffwechsels in Zusammenhang (dem Gesamtcholesterin, dem LDL-Cholesterin, dem HDL-Cholesterin beziehungsweise den Triglyceriden). Die genannten Blutfette gelten als Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (coronary artery disease, CAD).

Das Helmholtz-Zentrum lehnte sich in einer Pressemitteilung vom 4. August prompt weit aus dem Fenster und tönte gleich im ersten Satz: „Langfristig eröffnen die Ergebnisse neue Perspektiven für die Prävention und Therapie von Herz-Kreislauf-Erkrankungen".

Naja, langfristig, sagen wir mal so in 10 bis 100 Jahren, wenn die Supercomputer gebaut sind, welche die Zigtrilliarden Genomdaten, die sich derzeit anhäufen, auszuwerten in der Lage sind. Aber heutzutage man muß ja fortwährend die erhaltenen Fördermittel rechtfertigen, sonst kriegt man keine neuen mehr. Bloßer Wissenszuwachs allein ist unanständig. Aber egal. Immerhin hätten die Wissenschaftler, so Helmholtz-Mann Thomas Meitinger weiter, „sogar Genvarianten gefunden, von denen wir wissen, dass sie einen molekularen Ansatzpunkt für cholesterinsenkende Medikamente bieten. Das heißt, diese Genvarianten erhöhen das Potential für neue Zielstrukturen und damit therapeutische Ansätze".

Wissenszuwachs allein ist unanständig

Vielleicht klappt's aber mit der Datenauswertung ja auch schneller. Trotzdem dauert es dann (dann!) erfahrungsgemäß weitere mindestens (!) 12 bis 15 Jahre, ehe eine mutmaßlich heilende oder sonstwie förderlich auf CAD wirkende Substanz all die vorklinischen und klinischen Phasen durchlaufen hat, zugelassen ist, und dann wirklich als Medikament in der Apotheke liegt.

 

Hm. Wie wäre es, wenn man am Helmholtz-Zentrum bis dahin noch ein klein wenig „normale" Grundlagenforschung betreiben würde, ohne dauernden Zwang, diese zu rechtfertigen? Macht doch auch mehr Spaß. Pures Wissen soll ja in früheren Zeiten mal etwas Erstrebenswertes gewesen sein. Heute hingegen geht's nur noch um „innovative therapeutic solutions with unmet medical needs".

 

Genug lamentiert. Ich will die Ergebnisse und erhaltenen Daten nicht schlechtreden. Mit denen können all die Lipid- und Kreislauf- und CAD-Forscher weltweit jetzt jahrelang weiterforschen. Insofern hat sich's gelohnt. Nur der betriebswirtschaftlich-rechtfertigende Jargon, den Naturwissenschaftler mittlerweile pflegen, nervt.


Noch schnell was Interessantes am Rande: Eine wichtige Datenquelle für die Untersuchung sei die Bevölkerungsstudie KORA („Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg") des Helmholtz Zentrums München gewesen. Die Wissenschaftler hätten unter anderem mehr als zweieinhalb Millionen DNA-Bausteine aus Bevölkerungsgruppen europäischer und nicht-europäischer Herkunft verglichen, Genvarianten von Patienten mit besonders hohen Blutfettwerten analysiert und einige ihrer Ergebnisse aus den Genomanalysen im Mausmodell bestätigt.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 04.03.2013