Editorial

Laborgeschichten (2) - Listenbrecher

Jeder, der auch nur kurz in einem Life Science-Labor gearbeitet hat, kennt Belegungs-Listen. Wer etwa ins Isotopen-Labor will, muss seine „Lab Times” im Voraus buchen – und sich in die entsprechende Liste eintragen. Doch immer wieder gibt es „Listenbrecher”.

editorial_bild

(1. September 2010) Besonders streng geht es natürlich mit Geräten zu, die nicht jedes Institut hat – aber alle nutzen wollen. Beispielsweise das eine konfokale Mikroskop der gesamten Fakultät. Dieses steht in der Neurobiologie, und die hütet es wie einen Schatz. Möchte etwa jemand aus der Entwicklungsbiologie mal ein Stündchen Präparate anschauen, muss er in der Liste nach den Zeiten spähen, die die Neuros übrig gelassen haben – denn die haben Vorrang an „ihrem” Mikroskop. Also vielleicht ab Mitternacht…?

 

Anderes Beispiel: Zentrifugen. Die stehen zwar in der Regel zu mehreren in einem Institut, aber auch da gibt es oft Gedränge. Und manchmal sogar Zoff, weil der eine oder die andere den präparativen Zig-Stundenlauf nicht punktgenau planen kann oder will.

 

Doktorand K. kann ein Lied davon singen. Pflichtbewusst hatte er sich schon vor einer Woche für heute 13 Uhr in die Zentrifugenliste eingetragen. Plangemäß kommt er Zehn nach Eins mit seinem bestückten Rotor um die Ecke – und die Zentrifuge läuft. „Na ja, wahrscheinlich läuft sie gleich aus”, denkt er noch – als er erstarrt. Die Programmierung zeigt noch weitere acht Stunden fröhliches Rotieren. Ungläubig schaut er auf Uhr und Liste – nein, eingetragen ist nur er und im Datum hat er sich auch nicht getäuscht.

 

K.’s Halsschlagadern pumpen sich gerade zu Stromkabel-Durchmesser auf, als er auf dem Beistelltisch einen leeren Röhrchen-Ständer erspäht. „Müller” steht in schwarzen Edding-Buchstaben darauf. „Na klar”, denkt er sich. „Das kann nur Kollegin D. sein, die eingebildete Schnepfe. Seit sie ein EMBO Journal-Paper hat, meint sie glatt, sie wär’ was Besseres. Und offenbar genauso, dass sie mit ihrem ach so wichtigen Projekt überall Vorfahrt hat.”

 

K.’s Halsschlagadern würden inzwischen gute Gartenschläuche abgeben – als plötzlich Doktorandin D. aus dem Müller-Labor leibhaftig neben ihm steht. Ein leises „Oh, äh… Hallo.” Umso lauter K.’s Antwort: „Hast Du nicht gesehen, dass ich hier eingetragen bin?” „Äh, nein… na ja … als ich kam, war die Zentrifuge frei.” „Und dann hast Du einfach mal einen 20-Stunden-Lauf gestartet, ohne auf die Liste zu schauen, ob vielleicht bald jemand kommen würde?” Keine Antwort. Nur D.’s Ohren haben inzwischen merklich Farbe angenommen.

 

„Und was machen wir jetzt?”, fragt K. „Na ja”, lächelt D. irgendwie dämlich, „jetzt läuft sie doch gerade so schön.” „Und weißt Du, was sie noch schöner kann?”, fragt K. mit einem satanischen Grinsen. D. schaut ihn mit großen Augen und eingefrorenem Lächeln an. „Stoppen”, bellt er geradezu heraus und drückt gnadenlos-triumphierend den ominösen roten Knopf. Was seinen Halsschlagadern umgehend unglaublich gut tut…

 

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 04.03.2013