Editorial

Laborgeschichten (7) - Schwund im Labor

Nach längerer Abwesenheit im Labor rechnet man ja damit, dass manches nicht mehr an seinem Platz ist. Aber dass es gleich so schlimm kommen muss...

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(28.3.2011) Doktorandin G. kommt nach einigen Monaten Schreibpause wieder ins Labor, um für den nächsten Tag ein Experiment vorzubereiten. Das Vorhaben beginnt mit einer großen Suche im Labor: Ihre Pipetten sind auf anderen Arbeitsplätzen und in fremden Schubladen verteilt. Neben der Waage hat jemand eine Dauerpipette für jeden eingerichtet – leider war es ihre. Das heißt erst einmal Pipetten putzen und eichen.

 

G. hat schon fast keine Lust mehr, aber sie muss ja nur vorbereiten heute. Nächste Aufgabe: Chemikalien zusammensuchen. Zwar gibt es diesen gut geordneten Chemikalienraum, doch hat jeder seine Stammchemikalien am Platz, im Kühlfach, oder wo es sonst praktisch scheint, gebunkert. Normalerweise weiß man auch, wo was zu finden ist, nur ist erstens G.s eigene Sammlung inzwischen geplündert und zweitens sind die der anderen nicht mehr in dem selben Zustand wie vor Monaten. Nach „wo sind meine Pipetten?“ kommt nun eine Laborrunde mit „wo sind meine Chemikalien?“. Zu allem Überfluss sind einige der nachbestellten Chemikalien in anderen Flaschen gekommen, deshalb dauert es noch länger, bis G. alles zusammengekratzt hat. Nach knapp drei Stunden sind die ersten Hürden geschafft.

Jetzt muss G. nur noch alles einwiegen und ihre Assays für den nächsten Tag vorbereiten, sich in die Liste für den Plate Reader im Nachbarlabor eintragen, das Programm mit den Messmethoden checken und warten bis zum nächsten Tag. Am Plate Reader ist die Messmethode okay, alle Parameter richtig eingestellt. Alles wie immer, nur steht für 13 Uhr am nächsten Tag der Hiwi in der Liste. „Toll“, denkt sich G. und sucht den Hiwi, um ihn zu bequatschen: „Bitte lass mich vor, sonst komm ich hier nie raus, ich habe sieben halbstündige Messungen zu machen und muss die den ganzen Vormittag vorbereiten.“ Doch der Hiwi will am nächsten Tag auch noch bei Tageslicht aus dem Labor kommen und kann auch nicht früher mit seinem Experiment anfangen, weil er so lange zum Pipettieren braucht. Also bekommt G. ihren Messtermin für den nächsten Tag um 15 Uhr, macht dem Hiwi klar, dass er auf jeden Fall pünktlich fertig sein muss, damit sie um Punkt 15 Uhr mit ihren Messungen anfangen kann, weil sonst ihr ganzes Experiment nicht zu gebrauchen sein wird. Der Hiwi verspricht und G. geht mit gemischter Vorfreude nach hause – hoffentlich klappt das.

Am nächsten Tag läuft alles super. Haarkleine Vorbereitung zahlt sich aus, denkt sich G.. Dank des Hiwis durfte sie zwei Stunden länger schlafen und hat nun einen schönen Laborvormittag ohne Pannen – alles perfekt für die Veröffentlichung. Sogar der Kaffee mit den Kollegen passt genau in die Inkubationspausen. Dem pünktlichen Messbeginn um 15 Uhr steht nichts im Wege.

Am Nachmittag ist es endlich so weit: Alle Platten einsammeln und Treppe hoch zum Plate Reader – hoffentlich ist der Hiwi fertig? Alles super, das Gerät ist frei! Computer an. G.s Anspannnung löst sich, jetzt kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Doch das Messprogramm sieht so anders aus. G. wird nervös, noch vier Minuten bis zum ersten Messzeitpunkt. Sie fängt an ihre Methoden zu suchen. Fehlanzeige. Ihr Ordner, den sie am Vortag eingerichtet hatte, ist noch da. Nur damit alleine kann sie nichts anfangen.


Um Punkt 15 Uhr schneit der Hiwi rein – Messbeginn. „Ich dachte mir doch, dass ich Dich hier finde“, sagt er gut gelaunt. „Die Werkstatt hat heute morgen den Computer ausgetauscht, es gibt ein neues Messprogramm.“ G. würde dem Hiwi am liebsten an den Hals springen: „Und warum sagst Du mir das erst jetzt?“ – „Aber es funktioniert doch genauso, wie das Alte, sieht nur anders aus.“ „Von wegen sieht nur anders aus“ denkt sich G. zwei Minuten nach Messbeginn.

Das Experiment kann G. jetzt wohl vergessen. Immerhin ist sie froh, dass sie sich nicht eingebildet hatte, dass am Vortag noch alles normal war. Doch wo sind ihre Methoden? Es gibt zwar einen Methodenordner, doch da ist nur das drin, was standardmäßig mit dem Plate Reader mitgeschickt wird. Alle selbst programmierten Messmethoden sind verschwunden. Also setzt sich G. hin und schreibt eine neue Methode. Zwanzig Minuten nach dem ersten Messzeitpunkt ist sie fertig – und kann ihr Experiment ganz einfach vergessen. Ein paar Testmessungen sind noch drin, doch für's Paper ist das alles nicht mehr zu gebrauchen.

Der alte Computer findet sich übrigens unversehrt in der Werkstatt wieder, beklebt mit einem gelben Zettel: „Zum Entsorgen“. Schnell hoch ins Labor das Ding, wieder anschließen und siehe da: der Methoden-Ordner ist noch da, mit allen selbst programmierten Methoden. Doch G. bereitet den ganzen Zirkus nicht nochmal für den nächsten Tag vor, sondern gönnt sich einen laborfreien Abend.

 

 

Valérie Labonté



Letzte Änderungen: 04.03.2013