Editorial

Von treuen Mäusen und Menschen

Aus der Reihe: Neulich in der Redaktion...

In welche Wissenschaftsseiten man heute auch reinklickt, fast überall steht was über Wühlmäuse. Genauer gesagt über deren Partnerwahlverhalten. Also schaut sich der LJ-Redakteur das mal genauer an - und lernt, dass es Präriewühlmäuse gibt (Microtus ochrogaster) und Wiesenwühlmäuse (Microtus pennsylvanicus). Die Ochrogaster-Männchen sind treu und wühlen ein Leben lang mit der gleichen Partnerin in der Prärie, während die Pennsylvanicus-Machos - nun ja - eher promiskuitiv durch die Wiesen streunen. Ein Verhalten, das im übrigen bei 95% aller Säugerarten die Regel sein soll, wie er weiter erfährt. Die Promiskuität wohlgemerkt, nicht das Durch-die-Wiesen-streunen.

Okay, Augen und Hirn fangen an quer zu lesen - und bleiben plötzlich bei "Vasopressin" hängen. Was hat das Peptidhormon jetzt damit zu tun? Also doch wieder richtig lesen: Aha, um die Vasopressin-Rezeptoren geht es eher. Denn da hatte man schon Anfang des Jahres herausgefunden, dass die treuen Präriewühlmaus-Männer deutlich mehr davon im ventralen Pallidum des Vorderhirns haben als die Wiesen-Don Juans.

Nun weiß man schon länger, dass Vasopressin neuronale Schaltkreise zum Laufen bringt, die dem Organismus ein gewisses Wohlgefühl vermitteln. Auf diese Weise aktiviert das Hormon indes die gleichen Belohnungsmechanismen im Gehirn wie die Einnahme gewisser Drogen. Ist die "Ehe" der Präriewühlmäuse daher eine Art Suchtverhalten?

Bei den Präriewühlmaus-Männern könnte das aufgrund ihrer vielen Vasopressin-Rezeptoren durchaus so sein. Bei den Weibchen dagegen scheint eher Oxytocin, ein anderes Peptidhormon also, denselben Job auf eine etwas andere Weise zu machen.

Nun gut, und das reicht für eine derartige Medienpräsenz? Wohl kaum. Also weiter lesen - und jetzt kommt's: US-Forscher realisierten nämlich die nahe liegende Idee, die DNA-Sequenz für den Vasopressin-Rezeptor in ein Virus zu packen und mit diesem das Gen im Überschuss direkt in das Gehirn der Wiesenwühlmaus-Männer zu bringen. Und siehe da, nach ein paar Tagen machte der resultierende Anstieg von Belohnungs-Rezeptoren die einstigen Halodris treu wie Gold. Nachdem sie zuerst ein bestimmtes Weibchen ihrer Art so richtig kennen lernen durften, kuschelten sie auch weiterhin ausnahmslos mit ihrer Holden - sogar als die Forscher sie hernach mit knallharten Treuetests in Versuchung führten.

Damit wäre wohl klar, warum gerade so viele Wühlmäuse durch die Nachrichtendienste wimmeln. Natürlich weitgehend mit den zu befürchtenden Schlagzeilen: "Swingers may be slaves to genes" titelt etwa die Los Angeles Times. "Treue-Gen macht aus Casanovas treue Ehemänner" lautet die Überschrift der Rheinischen Post. Und eine Agentur fragt suggerierend "Werden Männer bald treu wie eine Maus?". Selbst Nature kann sich nicht zurück halten und schreibt in seinen "Science Update"-Seiten als Untertitel: "Could gene therapy cure promiscuous behaviour?" Zumal, wie es in dem Artikel weiter unten heißt, sich promiskuitive und monogame Affen auf ähnliche Weise im Expressionsmuster des Vasopressin-Rezeptors unterscheiden.

"Na ja", denkt der LJ-Redakteur, "fehlt nur noch, dass jemand durchrechnet, welch wirtschaftlicher Schaden vermieden werden könne, wenn man sämtliche Homo sapiens-Männchen durch "Vasopressin-Rezeptor-Behandlung" von Untreue und Scheidung "heilt". Und seitenspringende Frauen auch, womöglich durch Gleiches mit dem Oxytocin-Rezeptor. Auf der anderen Seite: Scheidungen sind auch ein Geschäft. Man denke nur..."

"Nee, lieber nicht, lassen wir das", zäumt der LJ-Redakteur seine Gedanken. Und schaut sich lieber das Original-Paper an (Nature 429, S. 754). Mal sehen, wie weit sich die Autoren vorwagen. Diese schließen ihren Artikel: "We have shown that changes in the regional expression of a single gene can have a profound effect on the social behaviour of individuals within a species. Given a population of voles with variability in V1aR patterns and selection pressure for pair bond formation, one can see how monogamous social organization could have evolved rapidly in voles. However, in a larger context, a single gene does not act alone in the control of complex social behaviour; it must ultimately be placed within pre-existing biological pathways that then interact with socioecological factors, developmental pathways and stochastic events in the lives of organisms."

"Sauber, so isses", denkt der LJ-Redakteur. "Auf die Wissenschaftler ist eben Verlass (jedenfalls meistens) - die sehen's realistisch, die betonen die wirklich interessanten Aspekte." Und wieder einmal fragt er sich, wem er sich selbst eigentlich näher fühlt - den Forschern oder seinen Journalisten-Kollegen...

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 19.06.2004