Editorial

Nicht außer-irdisch, aber außer-gewöhnlich

Forscher der FU Berlin und internationale Kollegen brachten E. coli dazu eine alternative Base in die DNA einzubauen: 5-Chlor-Uracil statt Thymin. – DNA, wie sie sonst nirgendwo auf der Erde vorkommt.

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(19. Juli 2011) Für Evolution im Kleinformat braucht es im Grunde nicht viel: zum Beispiel genügen zwei Bioreaktoren, Medium, ein paar E. colis, ein wenig Thymin und ein bisschen 5-Chlor-Uracil. Philippe Marlière, Heurisko Inc., Delaware (USA), Rupert Mutzel, FU Berlin, und ihre Kollegen aus Frankreich und Belgien hatten die  Idee, E. coli-Mutanten herzustellen, die statt Thymin das Basenanalogon 5-Chlor-Uracil in ihre DNA einbauten. Das Experiment war im Prinzip einfach, aber clever aufgebaut und brachte schließlich Bakterien hervor, die einzigartige DNA in sich tragen (Marlière et al., Angew. Chem. 2011, doi: 10.1002/ange.201100535, vorab online publiziert).

 

Warum Thymin austauschen? Thymin und Uracil sind strukturell verwandt. Methyliert man Uracil am Kohlenstoffatom Nummer 5, erhält man Thymin, hängt man stattdessen ein Chloratom an diese Stelle, hat man 5-Chlor-Uracil. Zudem kommt Thymin nur in der DNA vor, nicht in der RNA. Man kann sich also auf das eine Problem konzentrieren.

Marlière, Mutzel und Co. nahmen für ihr Experiment eine E. coli-Mutante, die keine funktionierende Thymidilat-Synthase hatte – das Enzym also, das normalerweise aus Uracil Thymin macht. Das heißt, ohne zugegebenes Thymin im Medium konnten die Bakterien nicht wachsen. Doch wie konnte man sie dazu bringen, stattdessen auf angebotenes 5-Chlor-Uracil umzusteigen?

Evolutionären Druck im Experiment nachstellen

Die Forscher richteten dazu im Reaktor eine kontinuierliche Kultur ein, die ständig mit frischem Medium verdünnt wurde, während die „alte“ Zellsuspension abgesaugt wurde. Dazu kam eine spezielle Diät für die Bakterien: Alle zehn Minuten enthielt das zugegebene Medium entweder Thymin oder 5-Chlor-Uracil. Ging es den Zellen schlecht – lag die Zelldichte unter einem Schwellenwert – bekamen Sie Thymin, um ihnen wieder auf die Beine zu helfen. War die Zelldichte über einen bestimmten Wert angestiegen, gab es 5-Chlor-Uracil, um das Wachstum zu bremsen.

Die einfachste Möglichkeit sich diesem evolutionären Druck – Verdünnung und Thyminmangel – zu entziehen, bestand für die Bakterien darin, Biofilme zu bilden: Sich am Rand des Gefäßes festzusetzen und vorerst nicht weiter zu wachsen. Das zu verhindern war eine große Herausforderung für die Forscher. Abhilfe schafften sie mit einem Trick: die Kultur wurde automatisch alle fünf Generationen zwischen zwei Reaktoren hin- und hergeschüttet, sodass der gerade nicht gebrauchte Reaktor sterillisiert werden konnte. Nur so war es möglich die Bakterien theoretisch unendlich lange freischwimmend in kontinuierlicher Kultur wachsen zu lassen – und mit der Zeit Mutanten zu erhalten, die mit 5-Chlor-Uracil zurechtkamen.

Die Forscher zogen zwei Kulturen heran, eine mit zweistündiger Generationszeit, eine mit vierstündiger. Nach 23 Tagen verschärften sie die Bedingungen. Statt Thymin gab es von da an halb Thymin, halb 5-Chlor-Uracil, wenn die Zellzahl sank, oder weniger konzentriertes 5-Chlor-Uracil, um das Wachstum zu verlangsamen. Die Bakterien, die 5-Chlor-Uracil in ihre DNA einbauen konnten hatten von nun an einen Selektionsvorteil – nur sie konnten sich in der Kultur halten. Nach insgesamt fünf Monaten war es so weit: Die Zellzahl in der Kultur fiel nicht mehr unter den Grenzwert, die Bakterien begnügten sich allein mit 5-Chlor-Uracil.

Nebenbei einen Stoffwechselweg entdeckt

Eine HPLC-Analyse der Basenzusammensetzung der Colis zeigte aber erst einmal Unerwartetes: 90 Prozent 5-Chlor-Uracil, 10 Prozent Thymin – und das, obwohl sie nur auf 5-Chlor-Uracil gewachsen waren. Wie konnte das sein? Man weiß zwar seit langem, dass die tRNA-Methyltransferase TrmA Uracil an Position 5 posttranslational methyliert – also Thymin macht. Nur, dass dieses Thymin auch in die DNA gelangt, das ist neu. Nachdem die TrmA ausgeschaltet war, wuchsen die Bakterien immer noch, aber die Thyminkonzentration in der DNA sank fast bis zur Nachweisgrenze auf 1,5 Prozent.

Alles in allem hatten im E. coli-Genom über 1.500 Basensubstitutionen stattgefunden. Ob die Mutationen adaptiv sind oder durch einen mutagenen Effekt von 5-Chlor-Uracil entstanden, weiß man noch nicht. Nach einer lag-Phase konnten die Bakterien jedenfalls wieder auf Thymin wachsen – ganz ohne 5-Chlor-Uracil.

Bakterien, die ihre DNA ausschließlich mit 5-Chlor-Uracil bauen, wären interessant für die Biotechnologie. Sie könnten beispielsweise als relativ sichere Wirte für die industrielle Enzymproduktion herhalten. Denn 5-Chlor-Uracil findet sich nirgends in der Umwelt. Würden solche Bakterien freigesetzt, könnten sie nicht weiterwachsen, da der obligate Baustein für die DNA-Synthese schlicht nicht verfügbar wäre. Auch horizontaler Gentransfer zwischen gentechnisch veränderten Stämmen und Wildstämmen scheint unmöglich, da die DNAs nicht kompatibel sind. – Gefahren durch Freisetzung, wie mit herkömmlichen gentechnisch veränderten Organismen, wären weit geringer.

Die E. colis von Marlière, Mutzel und Co. sind zwar nicht außer-irdisch, aber doch sehr außer-gewöhnlich.


Valérie Labonté
Bild: das_banni / photocase.com



Letzte Änderungen: 04.03.2013