Editorial

50 Jahre genetischer Code

1961 war ein ereignisreiches Jahr: Die Berliner Mauer wurde gebaut, Barack Obama geboren und der World Wild Fund for Nature (WWF) gegründet. Außerdem entdeckten zwei Forscher, ein Deutscher und ein Amerikaner, das Prinzip des genetischen Codes. Der Durchbruch gelang mit der Entschlüsselung des ersten „Wortes“: Phenylalanin.

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(20. September 2011) Aus heutiger Sicht ist der genetische Code relativ simpel und deshalb auch Bestandteil jedes Biologieunterrichts. DNA wird in RNA umgeschrieben und RNA wiederum in Proteine. Dabei codieren jeweils drei RNA-Basen in Folge eine bestimmte Aminosäure und deren Aneinanderreihung ergibt letztendlich ein Protein. Doch woher weiß man, dass genau drei Basen eine Aminosäure festlegen? Und wie fand man heraus welche Tripletts welchen Aminosäuren entsprechen? Diese Fragen zu beantworten war nicht so simpel.

1961 war über DNA schon einiges bekannt oder zumindest postuliert: Anfang der 1940er Jahre stellten George Beadle und Edward Tatum die Ein-Gen-ein-Enzym-Hypothese auf. Demnach wurde jedes Enzym – erst später wurde die Hypothese auf Polypeptide ausgeweitet – auf Grundlage eines Gens zusammengesetzt. Die Experimente von Frederick Griffith (1928) und Oswald Avery (1944) konnten beweisen, dass DNA Träger der Erbinformation ist: Die Zugabe von isolierter DNA eines Pneumokokkenstammes zu den Zellen eines zweiten, führte dazu, dass dieser Stamm Merkmale ausbildete, die eigentlich nur der erste aufwies. Proteine dagegen führten nicht zu einer Übertragung der Eigenschaften. James Watson und Francis Crick klärten dann 1953 die DNA-Struktur auf. Zu Beginn der 1960er Jahre konnten der Amerikaner Marshall Nirenberg und der Deutsche J. Heinrich Matthaei schließlich zeigen, dass RNA als Zwischenschritt auf dem Weg von der DNA zum Protein eine Rolle spielt. Mit der darauf folgenden endgültigen „Entschlüsselung“ des genetischen Codes schrieben die beiden Forscher Wissenschaftsgeschichte.

Der Biochemiker J. Heinrich Matthaei wollte 1960 unbedingt die Biosynthese von Proteinen erforschen. Nach seiner Promotion an der Universität Bonn ging er als Postdoc in die USA , wo er in den National Institutes of Health (NIH) schließlich im Labor des Biochemikers und Genetikers Marshall Nirenberg landete. Zu diesem Zeitpunkt hatte Nirenberg bereits einen Assay etabliert, mit dem er Proteine herstellen konnte: Eine zellfreie Suspension aus aufgebrochenen E. colis lieferte die nötigen „Bauelemente“ für die Proteinsynthese. Ob nun DNA oder RNA als Matrize fungierte, war damals völlig unklar. „At that time, the only clues that RNA might function as a template for protein synthesis were a report by Hershey et al.” (Nirenberg, Trends Biochem Sci 2004, 29(1):46-54). Matthaei verwendete Nirenbergs Assay, erhöhte dessen Sensitivität und konnte damit schließlich nachweisen, dass RNA und nicht DNA direkt für die Proteinsynthese notwendig ist. Durch Zugabe von RNase zum zellfreien Extrakt stoppte die Eiweißproduktion sofort. Gab man dagegen DNase zum System, kam die Synthese erst nach einiger Zeit zum Erliegen. Nirenberg schrieb weiter „I jumped for joy because this was the first definitive demonstration in vitro that mRNA existed and was required for protein synthesis”.

Doch wie kam der Code zustande? In einem nächsten Experiment gab Matthaei im Labor synthetisierte Poly-U-RNA, die allein aus der Base Uracil bestand, zum System. Heraus kam ein Protein, das lediglich aus einer einzelnen Aminosäure zusammengesetzt war: Polyphenylalanin (Nirenberg et al., Proc Natl Acad Sci USA 1961, 47:1588–1602). Uracil musste dementsprechend Phenylalanin codieren. Den Nachweis, dass genau drei RNA-Basen die Zuordnung einer Aminosäure bedingen und welche das jeweils für die 20 Aminosäuren waren, konnten Nirenberg, Matthaei und viele andere mit Hilfe von Matrizen unterschiedlicher Länge und statistischen Berechnungen, in den folgenden 5 Jahren führen
(Matthaei et al., Proc Natl Acad Sci USA 1962, 48(4): 666-77 / Nirenberg et al., Cold Spring Harb Symp Quant Biol 1963, 28: 549-57).

Das Knacken dieses genetischen Codes ermöglichte auch die Feststellung, dass dieser universelle Gültigkeit besitzt: Jedes Lebewesen, bis auf ganz wenige Ausnahmen – wie zum Beispiel Mycoplasmen (Knight et al., Nat Rev Genet 2:49-58) – codiert die 20 Aminosäuren auf dieselbe Weise.

Der jeweilige Beitrag der beiden Forscher Nirenberg und Matthaei zur Entschlüsselung des Codes ist umstritten und wird in der Literatur je nach Quelle etwas unterschiedlich beschrieben. Letztendlich erhielt Nirenberg 1968 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für die Dechiffrierung. Er selbst schreibt in seinem Rückblick: „I obtained some poly(U) and instructed Heinrich [Matthaei] to make 20 different solutions, each with 19 cold amino acids and one radioactive amino acid, to detect poly(U)-dependent incorporation of a single radioactive amino acid into protein“ und macht damit deutlich, wer die Idee zu dem Poly-U-Experiment hatte.

Der Chemiker Marc-Denis Weitze aus München hat einige Artikel zu diesem Thema verfasst und rechnet die Decodierung von 1961 dagegen Matthaei zu. „Diese Entdeckung brachte schließlich Nirenberg den Nobelpreis ein – und es ist bedauerlich, dass Matthaeis Beitrag nicht entsprechend gewürdigt wurde.“ Sicherlich haben beide Wissenschaftler einen entscheidenden Anteil dazu beigetragen den genetischen Code zu entziffern. Große Hoffnungen wurden auf dieses Ereignis gebaut. Man erwartete in naher Zukunft alle Gene und deren jeweilige Produkte mit Hilfe des Codes lesen zu können und dadurch den Menschen, biologisch gesehen, von Grund auf zu verstehen. – Diese Vorstellung jedoch erwies sich wiederum als zu simpel.


Stefanie Haas
Bild: Danny Hooks/Fotolia.com



Letzte Änderungen: 04.03.2013