Editorial

„Plagiate wird es immer geben"

In Regensburg tagen die Plagiatsexperten – doch nur eine Handvoll Studenten interessiert's. Und die haben teils wunderliche Ansichten.

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Plagiate allenorten: Links das Original, rechts eine schlampige Kopie.

(15. Dezember 2011)  20.300 Studenten und 312 Professoren zählt die Universität Regensburg. Volle Bude also beim Plagiats-Symposium „Fremde Federn" im eher kleinen Lindner-Hörsaal des Wirtschafts- und Rechtsgebäudes? Von wegen. Das auf den Nägeln brennende Dauerthema „Plagiat" lockte am letzten Freitagvormittag gerade mal zwei Promille der Studentenschaft an (sowie ein dutzend Professoren). Nebenbei offenbarten einige der anwesenden knapp 40 Nachwuchsakademiker eine geradezu haarsträubende Unkenntnis über wissenschaftlich sauberes Arbeiten. Sowie die feste Meinung, dass man nicht dafür verantwortlich sei, was man tue. Doch fangen wir vorne an.

Regensburger Studentenschaft glänzt durch Abwesenheit

Der Lindner-Hörsaal (H13) im Gebäude der Regensburger Rechts- und Wirtschaftswissenschaften hat 150 Sitzplätze. Zwei Drittel davon blieben an diesem Freitagvormittag leer. Dabei waren die Vorträge präzise und allgemeinverständlich, oftmals sogar mitreißend (zumindest diejenigen, bei denen der Reporter anwesend war). Drei Juristen und ein Geschichtswissenschaftler waren angetreten, zwischen 15 und 60 Minuten lang aus ihrem jeweiligen Fachgebiet zu erzählen:

- Stephan Rixen, Vorsitzender der Bayreuther Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft", sprach zur Sicherung der Standards guter rechtswissenschaftlicher Praxis;
- Christoph Meinel, Regensburger Geschichtswissenschaftler und Ombudsman, zur Frage „Wissenschaftliches Fehlverhalten: Kavalierdelikt oder Systembruch?";
- Bernhard von Becker, Justiziar und Lektoratsleiter beim Verlag C.H.Beck in München, zum Umgang mit Plagiaten in Verlagen; und
- Henning Ernst Müller, Strafrechtler an der Uni Regensburg, zur Frage, ob Abschreiben eine Straftat sei.

Bei den letzten beiden Vorträgen war der Laborjournal-Reporter vor Ort.

Lektoratsleiter von Becker startete seinen Vortrag mit der Feststellung, Plagiate habe es immer gegeben und werde es immer geben: „Die Frage ist: Wie geht man damit um, wenn eines bekannt wird?" Beim Münchener C.H. Beck-Verlag geht man anscheinend sehr verschwiegen damit um. Von Becker empfahl mehrfach, Plagiatsfälle in jedem Fall „unter dem Deckel" zu halten und damit keinesfalls an die Öffentlichkeit zu gehen. Das bringe nur Unannehmlichkeiten. Außerdem berge es die Gefahr, „Autoren zu verärgern".

Keinesfalls an die Öffentlichkeit gehen?

Mit solchen Aussagen erzeugte von Becker kräftigen Protest sowohl beim im Hörsaal anwesenden Ex-Mitarbeiter der GuttenPlag- und VroniPlag-Plattformen, Martin Heidingsfelder, als auch beim Regensburger Journalisten Stefan Aigner. Aigner wies auf die wichtige Funktion der Presse als Korrektiv und Kontrollorgan hin, Heidingsfelder auf die „einmalige und historische Chance für die Wissenschaft, im Wissenschaftsbetrieb mal richtig aufzuräumen und Standards einzuführen, um künftig die Zahl von Plagiaten einzudämmen".


Auch der Laborjournal-Reporter muss dem Verlagsjustiziar widersprechen: Aus Verlagssicht mag es vernünftig sein, Plagiatsfälle „im kleinen Kreis" zu behandeln und damit „schlechte Presse" zu vermeiden. Andererseits ist das Thema „Plagiate und der Umgang damit" ja allein deswegen zum Thema geworden, weil die Fälle zu Guttenberg, Koch-Mehrin oder Chatzimarkakis ausgiebig und kontrovers in der Öffentlichkeit behandelt wurden. Es ist doch so: Wäre der notorische Schummler Guttenberg nicht öffentlich demaskiert worden, so würde er sich garantiert noch heute mit dem Doktortitel schmücken – zumal sich die zuständigen Stellen der Uni Bayreuth lange zierten, sich ernsthaft mit dem Ex-Minister und seiner inkriminierten Arbeit zu beschäftigen.

Abschreiben aus Wikipedia ist kein Plagiat

Interessant war ferner die Feststellung des C.H. Beck-Mannes, dass das Abschreiben urheberrechtlich nicht geschützter Inhalte kein Plagiat sei – zumindest im urheberrechtlichen Sinne. Sprich: Wer Wikipedia-Passagen ohne Quellenangabe übernimmt, plagiiert nicht (dass es wissenschaftlich natürlich nicht tolerabel sei, aus Wikipedia abzuschreiben, verstehe sich von selbst, fügte von Becker an. Immerhin).

Interessant auch die Aussage von Beckers, dass es viel, viel mehr Plagiate gebe als gemeinhin vermutet. Die allermeisten davon würden – ganz im Sinne des Verlagsjustiziars – „hinter verschlossenen Türen" und meist einvernehmlich abgewickelt.

Strafrechtlich meist aussichtslos

Der vierte Vortrag dieses Freitagvormittags kam vom Strafrechtler Henning Ernst Müller. Und hatte zum Ergebnis, dass Plagiate in fast allen Fällen keine Straftat seien. Weder das unbefugte Führen eines Titels (StGB §132) noch der „Betrugsparagraf" 263 oder der §156 (falsche Versicherung an Eides Statt) würden bei wissenschaftlichen(!) Plagiaten greifen. Es gebe bisher in Deutschland im übrigen keinen einzigen Präzedenzfall, in dem der Verursacher eines wissenschaftlichen Plagiats strafrechtlich belangt worden sei. Beim „besonders krassen Fall zu Guttenberg" wäre dies durchaus möglich gewesen, doch sei das Verfahren eingestellt worden.

Und wie sieht's im Urheberrecht aus? Ebenfalls schlecht, zumindest wenn man sich Sanktionen wünscht. Denn im Urheberrecht gehe es laut Müller grundsätzlich um Verwertung geistiger Inhalte, und mit „Verwertung" sei eine ökonomische Verwertung gemeint. Da es bei wissenschaftlichen Plagiaten jedoch nur höchst selten um wirtschaftliche Belange gehe, komme man auch übers Urheberrecht nur sehr schwer an die „Übeltäter" heran. Im übrigen wurzele, so Müller, das seit 1965 geltende deutsche Urheberrechtsgesetz (UrhG) ohnehin im früheren „Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst" (LUG), und bei dessen (Um)gestaltung habe der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er diesbezügliche Verstösse nicht strafrechtlich ahnden wolle.


Als Fazit stellte Müller fest, dass wissenschaftliche Plagiate kaum strafrechtlich zu belangen seien. Doch ist dies wirklich ein Problem? Müller verneinte, denn „die Guttenberg-Affäre werde künftig womöglich weit mehr Plagiate verhindern, als es eine Strafrechtsreform vollbringen könnte."

Große Unsicherheit und mangelndes Verantwortungsbewusstsein

Die sich anschließende Diskussion sorgte für Stirnrunzeln nicht nur beim Laborjournal-Reporter. Da erzählte zum Beispiel ein im Auditorium anwesender Doktorvater voller Mitgefühl, seine Studentin habe ihm die Rohfassung ihrer Arbeit vorgelegt – und diese sei komplett im Konjunktiv geschrieben gewesen. Sie sei sich eben sooo unsicher, habe ihm die junge Dame ihr Leid geklagt – was, wenn sie unabsichtlich ein Plagiat begehe? Nein, lieber distanziere sie sich schon vorab vom Inhalt ihres Geschreibsels. Es könne ja sein, dass sie hinterher dafür verantwortlich gemacht werde. Sicher ist sicher.

Teilnahmsvolles Nicken im Raum, Kritik hingegen äußert zunächst niemand. Als der Laborjournal-Reporter in der abschließenden Diskussion das böse Wort „Kindergarten" in den Mund zu nehmen wagt, wird er von einigen jüngeren Anwesenden beinahe gesteinigt – und der erwähnte Betreuer nennt die vom Reporter vertretene Sicht der Dinge prompt „typisch männlich".

Aha. Es ist also „typisch männlich", wenn man von erwachsenen Akademikern, der zukünftigen (und gut bezahlten) Elite Deutschlands, erwartet, dass sie wissen, was sie tun, und für etwaige Fehler hinterher auch einstehen? Der Umkehrschluss ist auch interessant: Ist es also „typisch weiblich", wenn man kneift und vor seinen Taten wegläuft, wenn's mal schiefgeht? Ist es typisch weiblich, wenn man zu faul/dumm/naiv/wurstig war, mal einen Blick in die Promotionsordnung zu werfen und bei Unklarheiten den Doktorvater zu fragen?

Unwissen schützt vor Strafe nicht

Wollen wir mal hoffen, dass dem nicht so ist. Dass die Ansicht, man sei für sein Tun keineswegs verantwortlich, eine geschlechtsneutrale Minderheitenmeinung darstellt – auch wenn plagiarische Verstöße, wie wir gehört haben, strafrechtlich nicht zu fassen sind. Immerhin einige der Anwesenden stimmten zumindest in Grundzügen dem Laborjournal-Reporter zu. Ein Hoffnungsschimmer.

Was aber ist mit den abwesenden 20.260 Regensburger Studenten? Wissen die besser über korrektes wissenschaftliches Zitieren, über die Standards der guten wissenschaftlichen Praxis und über die Fallstricke des Abschreibens und die Konsequenzen Bescheid?

 

Hoffentlich ja, vermutlich aber nicht. Eine Fortsetzung dieser gelungenen Veranstaltung sei der Uni Regensburg daher dringend angeraten.


Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 03.01.2012
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