Editorial

Wer schneller ist, publiziert

Treffen sich zwei Paper zum gleichen Thema in der Redaktion eines Journals...

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(2. Februar 2012) Artikel ohne Review abgelehnt! Erste Reaktion: Das kann doch nicht wahr sein! Dann Zorn, gefolgt von Frust! Natürlich. Wenn man überzeugt ist, gute Daten zu haben, und die Redakteure eines Journals die Arbeit vieler Monate mit vielen Worten, die im Kern „Nix Neues” bedeuten, ablehnen.

Gut, die Mitarbeiter von PLoS Genetics drückten sich in einer E-Mail an Inna Lermontova, Ingo Schubert und ihre Mit-Autoren am 17. April 2011 so aus: „While there is enthusiasm for the apparent quality and criticality of the work, there is also a consensus that the manuscript does not represent a sufficient strength of advance for a broad interest journal to do well during an extended peer review process. The key issue that came up during the internal review process is the current studies do not seem to provide a substantive insight beyond that which has emerged recently in other work on CENH3 and CENP-A like histones.“

Nun sind ja Review-Prozesse nicht völlig objektiv. Das wissen auch die Autoren des besagten Artikels, die mehrheitlich am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben arbeiten. Aber sie waren von der Qualität ihrer Arbeit überzeugt. Also sandten sie ihr Werk an The Plant Journal, wo es auch zügig akzeptiert und online am 21. Juli 2011 veröffentlicht wurde (Plant J 2011, 68(1):40-50).

„Unsauber“ ein Paper abgelehnt

Während ihr Artikel noch bei dieser Zeitschrift begutachtet wurde, kam PLoS Genetics mit einem Paper von Maruthachalam Ravi et al. zum gleichen Thema und mit denselben Schlussfolgerungen wie Ingo Schubert, Inna Lermontova und Co. heraus (PLoS Genet 2011, 7(6):e1002121). Als Seniorautor des Konkurrenzartikels firmiert Simon W.L. Chan von der University of California, Davis. Chan ist kein Unbekannter unter den Pflanzenforschern. Auf seiner Publikationsliste findet man eine Reihe Artikel à la Nature, Science, Cell. Diese Arbeit war im November 2010 eingereicht, am 21. April akzeptiert und am 9. Juni 2011 veröffentlicht worden. „Das ist ganz unsauber zugegangen”, empört sich Ingo Schubert. Er war sich sicher, dass unfaire Begünstigung im Spiel war, und darüber so sauer, dass er Laborjournal bat, sich den Sachverhalt doch einmal anzuschauen.

Das taten wir. Das Ravi/Chan-Paper wurde am 19. November 2010 eingereicht und nach dem Review am 21. April 2011 akzeptiert. Vier Tage zuvor, am 17. April, erhielten Schubert und Co-Autoren die Ablehnung samt Begründung. Nun hatten die IPK'ler ihr Paper bereits im März an PLoS gesandt. Zu diesem Zeitpunkt war das Ravi/Chan Paper noch in der Begutachtung. Schubert gegenüber argumentierten die PLoS-Redakteure, sie hätten den Artikel prinzipiell bereits früher akzeptiert: „... the decision to move towards publication ('acceptance in principle') for the Ravi et al. paper was made before Dr. Schubert's manuscript was evaluated in detail. We do strive to send letters out within a few days of editorial decisions, but that is not always possible.” Wozu aber setzt man ein Datum unter eine Publikation, wenn es offensichtlich nicht richtig ist? Ist die „accepted”-Datierung nur ein ungefähr gemeinter Hinweis? Und was soll das, wenn man sich im Falle einer Diskussion nicht darauf berufen kann?

Soweit zum Thema „Datierung”. Nun zum Inhalt. Auf eine Anfrage von Laborjournal bestätigten Gregory S. Barsh, Chefredakteur, und Andy Collings, Editorial Manager, beide PLoS Genetics: „... we judged that the data and the advance reported in that work would not do well during an outside review process“. Wieso eigentlich nicht? Die Redakteure hatten doch die Qualität von Schuberts Arbeit hervorgehoben. Wie also sieht es mit dem „Nix Neues”-Argument aus? Dazu müssen wir in die Materie einsteigen.

Es geht um die Verteilung von Chromosomen und Chromatiden

Im Kern geht es bei diesen Arbeiten um die Frage, wie in einer Pflanzenzelle die Chromosomen während der Meiose, beziehungsweise die Schwesterchromatiden bei der Mitose, verteilt werden. Entscheidend für die beiden zellbiologischen Vorgänge ist, dass sich an den Zentromeren die Kinetochore ausbilden, die Ansatzstellen für die Fasern des Spindelapparats, die die Chromosomen beziehungsweise Chromatiden voneinander trennen.

Was bestimmt eigentlich, wo am Chromosom sich Zentromere bilden? Die DNA-Sequenz jedenfalls ist es nicht. Vielmehr hat sich gezeigt, dass epigenetische Faktoren, vor allem in Gestalt eines speziellen Histons, dafür sorgen, dass sich die Kinetochorproteine an einem bestimmten Punkt eines Chromosoms anlagern. Es handelt sich um eine Histon H3-Variante, die man bei Pflanzen als CENH3, bei Säugetieren CENP-A nennt. Dieses spezielle Histon ersetzt das gewöhnliche H3 in den Nucleosomen am Zentromer und definiert es damit. Die Arbeiten zur Funktion dieser sehr variablen Histone bei der Mitose wurden in erster Linie an Bäckerhefe und Drosophila gemacht.

Die „Konkurrenz“ forscht mit

Auch Pflanzenforscher machten in den letzten Jahren Fortschritte. Ravi und Chan hatten im März 2010 in Nature beschrieben, dass cenh3-Nullmutanten von Arabidopsis thaliana embryonal letal sind. Dieser Phänotyp konnte durch Einführung von GFP-markiertem CENH3 komplementiert werden. Allerdings waren die Pflanzen steril, wenn diesem Konstrukt der Aminoterminus von CENH3 durch die homologe Sequenz des gewöhnlichen Histon H3 ersetzt wurde. Die Autoren nahmen an, dass diese speziellen Mutanten einen Defekt in der Meiose haben. Mehr sagten sie dazu nicht, denn ihr Artikel handelte eigentlich von der Herstellung haploider Pflanzen. Doch haben sie der Ursache der beobachteten Sterilität weiter nachgespürt und konzentrierten sich dabei auf das hypervariable Amino-Ende des Proteins. Also fügten sie der cenh3-Nullmutante verschiedene GFP-markierte Konstrukte zu, die mal das originäre CENH3-Gen, mal nur dessen C-Terminus, beziehungsweise dessen C-Terminus plus wahlweise die Amino-Enden des gewöhnlichen Histon H3 und des homologen Mais-CENH3 enthielten.

Resultat: die am Aminoterminus manipulierten Konstrukte konnten die Mutation nicht vollständig komplementieren. Die Pflanzen waren zwar lebensfähig, aber unfruchtbar, wenn das GFP an den veränderten N-Terminus (von Mais-CENH3 beziehungsweise Arabidopsis Histon H3) gekoppelt war. Zellbiologisch dokumentierten die Autoren, dass die Chromosomen in meiotischen Zellen der weitgehend sterilen Pflanzen sich nicht korrekt anordneten und dass die Kinetochoren an den Chromosomen nicht effizient von den Spindelfasern gezogen wurden. Weiterhin unersuchten sie die Dynamik der CENH3-Proteine und stellten fest, dass die mutierten Varianten, die korrekt an die Zentromere der Mitosechromosomen andockten, ebenso in prä-meiotischen Chromosomen vorhanden waren, aber während der Meiose nicht zu entdecken waren – sie waren größtenteils verloren gegangen.

Außerdem verfolgten sie die Ereignisse in den normalen, haploiden Mikrosporen, die die Pflanzen mit niedriger Frequenz (19 Prozent) bildeten. Diese müssen nach der Meiose nochmals eine Mitose durchmachen – und dies gelang auch immer. An den Zentromeren fand man mutierte CENH3-Proteine mit der gleichen Frequenz wie Wildtyp-Proteine bei Wildtyppflanzen. Woraus die Forscher die Existenz zweier Pathways, die Kinetochore zu beladen, folgerten.

Zwei Methoden, ein Ergebnis

Nun zu den Arbeiten aus Gatersleben. Da sie keine T-DNA-Insertionsmutanten finden konnten (klar, die sind ja homozygot letal) stellten die Forscher RNAi-knock-down-Mutanten her. Ein großer Teil des Artikels ist der Beschreibung dieser Pflanzen gewidmet. Sie exprimierten CENH3 noch in geringem Maß. In somatischen Zellen der Wurzelspitzen wurden die Proteine korrekt an den Zentromeren angelagert. Doch die Pflanzen blieben klein – sie bildeten weniger Zellen als Wildtyppflanzen. Obendrein waren sie partiell steril und hatten auffällig merkwürdige Meiosen.

Die Forscher transformierten die knock-down-Pflanzen mit EYFP-CENH3 (EYFP = enhanced yellow fluorescent protein)-Konstrukten und dokumentierten – und zwar erstmals in einem vollständigen Organismus –, dass in heranreifenden Pollen die Meiose und damit die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt wurde, wenn die Pflanze nur wenig endogenes CENH3-Protein bildete und gleichzeitig der Aminoterminus des neu eingeführten CENH3 entweder ganz fehlte oder verändert war. Transgene Pflanzen mit hohem endogenen CENH3-Spiegel waren mehr oder weniger normal. Antikörpernachweise mit anti-GFP und anti-CENH3 zeigten, dass in den Wurzelspitzen beide Proteine an den Zentromeren während sämtlicher Stadien der Mitose und der Interphase vorhanden waren, während der Meiose aber nur das endogene CENH3 .

Beide Arbeitsgruppen kamen mit völlig verschiedenen Methoden zu dem Schluss, dass CENH3 bei Mitose und Meiose unterschiedliche Rollen spielt und dass sein N-Terminus unbedingt nötig ist, damit die Meiose korrekt ablaufen kann.

Zwei Artikel in einer Ausgabe nebeneinander bringen?

Man hätte natürlich beide Artikel nebeneinander publizieren können. Das jedenfalls hätte Schubert gerne so gehabt. Er schrieb an PLoS, die wissenschaftliche Fairness hätte geboten, beide Artikel gemeinsam in die gleiche Ausgabe zu nehmen, statt sie noch nicht einmal den Reviewern zur Prüfung weiter zu reichen. Das aber, so PLoS, sei „never an option” gewesen. Schubert erhielt auf seine Beschwerde hin die Antwort: „We do not agree with your contention that the manuscripts are identical. In our view, the overlap between the two manuscripts is based primarily on the last section of your work in which it is shown that the N-terminus of CENH3 is important for meiotic but not mitotic loading onto the centromere. However, we feel, respectfully, that the Chan paper goes farther in both additional experiments and biologic conclusions that can be drawn.”

In der Tat, beim Vergleich der beiden Artikel fällt auf, dass der Artikel der Gruppe am IPK sich zunächst sehr auf die Beschreibung der Mutanten konzentriert, bevor der eigentlich interessante Sachverhalt – der Einfluss von CENH3 auf die Meiose – zur Sprache kommt. Und die Untersuchung dieses Aspektes ist, mit Verlaub, etwas dünn. Dagegen versuchten die US-Amerikaner sogar, den zellbiologischen Mechanismus für das unterschiedliche Verhalten des gleichen Moleküls in Meiose und Mitose aufzuklären. Das ist, findet die Autorin dieser Zeilen, aber nur ansatzweise gelungen (Stichwort: Dynamik von CENH3). Darüber hinaus erscheint der Artikel der US-Forscher gefälliger und leichter lesbar geschrieben (was aber ja kein Argument für/wider eine Publikation sein sollte) und sie diskutieren auf der Basis vorhandener Literatur die möglichen zellbiologischen Ursachen für den beobachteten Effekt ausführlicher als Schubert und seine Kollegen.

Dennoch kann die Autorin folgender Kritik der PLoS-Redakteure, man sehe keinen „... substantive insight beyond that which has emerged recently in other work on CENH3 and CENP-A like histones” nicht zustimmen. Dass der Schubert-Artikel noch nicht einmal „Review-fähig” war, kann die Autorin auch nicht nachvollziehen. Zu dem Zeitpunkt, als die Forscher in Gatersleben ihre Arbeit einreichten, hatte nämlich noch niemand publiziert, dass CENH3 in der Meiose eine andere Rolle spielt als in der Mitose. Dass Ravi, Chan und Kollegen ihren Artikel ausgerechnet bei der gleichen Zeitschrift bereits eingereicht hatten, konnten sie nicht wissen. Das war Pech! Und der Fairness halber hätte man diesen Sachverhalt auch dem Autorenteam in Gatersleben klipp und klar mitteilen sollen. Ob die PLoS-Editoren die Amerikaner nun – aus welchen Gründen auch immer – bevorzugt behandelt haben, lässt sich weder beweisen noch ausschließen.

 

 

Karin Hollricher
Bild: stefan m. / photocase.com



Letzte Änderungen: 16.02.2012
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