Editorial

Grüner Ursprung

Ein Happs eines hungrigen Einzellers reichte für die Entstehung von Chloroplasten

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 (6. März 2012) Dass wir mit Ausnahme der grauen Winterzeit jede Menge Grün um uns haben, verdanken wir einer Verdauungsstörung: Ein Einzeller verschluckte vor rund 1,3 Milliarden Jahren ein Cyanobakterium, ohne es zu zersetzen. Aus dem gekaperten Bakterium entwickelten sich Plastiden – Organellen, die Algen und Landpflanzen die Photosynthese ermöglichen. Ein internationales Team um Dana Price und Debashish Bhattacharya der Rutgers Universität in New Brunswick zeigte anhand vergleichender Genomanalysen, dass die bereits in der Endosymbiontentheorie postulierte Übernahme wohl ein einmaliges Ereignis in der Evolution war. Somit leiten sich wahrscheinlich alle Pflanzen von einem Urahn ab.
 
Für ihre Untersuchungen sequenzierten die Wissenschaftler das Genom der einzelligen Süßwasseralge Cyanophora paradoxa. Sie gehört zu den Glaucophyten, einer primitiven Algengruppe, die für Botaniker lebende Fossilien darstellen. Denn diese Algen weisen noch Eigenschaften der einverleibten Cyanobakterien auf, wie eine Peptidoglykanschicht zwischen ihren Plastidenhüllmembranen. Im 70 Megabasenpaar großen Algengenom machten die Forscher rund 28.000 für Proteine kodierende Gene aus, für die sie anschließend Proteinstammbäume erstellten. Die Auswertung der Abstammungslinien sowie der Vergleich mit Gendaten von Rot- und Grünalgen belegen den gemeinsamen Ursprung der Plastiden in den drei Algengruppen (Price et al., Science 2012, 335(6070):843-7).

Einer der Mitwirkenden der Studie ist Jürgen Steiner vom Institut für Pflanzenphysiologie der Universität Halle-Wittenberg. Während in den Laboren in Amerika der Großteil der Sequenzierungen und bioinformatischen Auswertungen durchgeführt wurde, untersuchte der aus Wien stammende Molekularbiologe gemeinsam mit Wolfgang Löffelhardt von den Max F. Perutz Laboratories in Wien (MFPL) einzelne Gene genauer, die für Peptidoglykansynthese, Lichtsammelkomplexe und Kohlendioxid-Anreicherung eine Rolle spielen. Steiner nutzt C. paradoxa um mehr über den pflanzlichen Proteintransport zu erfahren: „Während der Evolution sind Gene für Plastidenproteine in den Zellkern verlagert worden, die nach ihrer Synthese wieder in die Plastiden transportiert werden müssen. In C. paradoxa können wir die Transportmaschinerie in ihrer ursprünglichsten Form betrachten.“

Neben den über Phagozytose aufgenommen Organellen – den Plastiden und Mitochondrien – haben Pflanzenzellen auch durch horizontalen Gentransfer Fremdgene übernommen. So fanden Price und Kollegen im Genom von C. paradoxa Chlamydien-ähnliche Gene. „Gene dieser intrazellulären Parasiten für Transporterproteine haben offenbar die Beziehung zwischen dem Cyanobakterium und der umgebenden Zelle erst möglich gemacht“, sagt Steiner. Neben der Aufklärung des Proteintransports erhoffen sich die Pflanzenforscher durch ihre aktuelle Untersuchung auch weitere Aufschlüsse über Lichtsammelkomplexe. Diese Proteinkomplexe in der Plastidenmembran absorbieren Licht und leiten Energie zum Reaktionszentrum weiter, wo die Lichtreaktion der Photosynthese stattfindet.

Die Arbeit der 30 Wissenschaftler aus sechs Ländern liefert einen wichtigen Beleg für die Endosymbiontentheorie, die der deutsche Botaniker Andreas Schimper 1883 aufstellte. Populär machte die Hypothese zur Entstehung der Eukaryoten durch die Aufnahme und Symbiose mit Prokaryoten jedoch erst die amerikanische Biologin Lynn Margulis. Sie griff Schimpers Idee in den 1960er Jahren auf und entwickelte sie weiter. Den Beweis ihrer Theorie durch Price und Co. erlebte Margulis nicht mehr – sie starb im November 2011 (Nachruf und Interview auf dem Laborjournal Blog).

 

Melanie Estrella
Bild: Miss X / photocase.com



Letzte Änderungen: 16.03.2012
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