Editorial

Uralte Abwehr

Schon Nesseltiere nutzen Toll-ähnliche Rezeptoren als Mikroben-Detektor

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(9. November 2012) Auch der einfach gebaute Süßwasserpolyp Hydra besitzt bereits ein ausgeklügeltes Molekül-Arsenal, das fremde Invasoren in Schach hält. Die nur wenige Zentimeter großen Nesseltiere spüren Mikroorganismen genau wie Wirbeltiere über Toll-ähnliche Rezeptoren (TLR) auf, wie Kieler Zoologen um Thomas Bosch zeigten.

 

Bosch, der das Zoologische Institut der Uni Kiel leitet, beschäftigt sich schon sein ganzes Forscherleben lang mit einfachen Vielzellern. Neben der Evolution von Stammzellen untersucht der Entwicklungsbiologe seit zwölf Jahren auch die Entstehung des Immunsystems in Hydra. Was als Suche nach antimikrobiellen Peptiden begann, entpuppte sich als wahre Goldgrube – so zahlreich waren die aufgespürten Abwehrmoleküle. „Seit einigen Jahren lernen wir, dass diese Moleküle nicht einfache Killer sind“, sagt Bosch. Vielmehr sorgen sie neben der Bekämpfung schädlicher Keime auch dafür, dass die Zusammensetzung der auf allen Epithelien in großer Zahl vorkommenden gutartigen Bakterien richtig ausbalanciert sei. Zunehmend verfolgt Bosch daher mit seiner Arbeitsgruppe auch die Wirt-Mikroben-Interaktion.

 

Aktuell im Fokus ist der Toll-ähnliche Rezeptor (TLR). Dieser spielt in allen Wirbeltieren eine wichtige Rolle bei der Erkennung von Erregern durch das angeborene Immunsystem. Die Transmembranproteine erkennen Bestandteile von Viren, Bakterien oder Pilzen und aktivieren in der Zelle über eine Signalkette eine reihe von Genen, die letztlich eine spezifische Immunantwort einleiten. Der TLR ist über das gesamte Tierreich hochkonserviert. Allerdings nutzen ihn nicht alle Organismen als Keim-„Radar“. Bei Caenorhabditis elegans und Drosophila melanogaster steuern homologe Proteine etwa die Embryonalentwicklung. Mit dieser Funktion wurden die Eiweiße 1985 letztlich auch ursprünglich von der Tübinger Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard samt Kollegen entdeckt und auf den Namen  Toll-Proteine getauft. (Angeblich rief sie beim Anblick der entsprechenden Drosophila- Mutante aus: „Das war ja toll.“)

 

Die unterschiedlichen Aufgaben der Proteingruppe ließen bisher keinen Rückschluss auf ihre ursprüngliche Funktion zu. Da die Sequenzierung des Genoms durch ein internationales Team unter Boschs Beteiligung 2010 gezeigt hatte, dass die zu den ältesten Tieren zählenden Hydras zahlreiche Gene für TLR samt dem damit assoziierten Signalweg besitzen, entschloss sich der Kieler dessen Funktion in den Polypen genauer zu untersuchen. „Hydra und verwandte Korallen eignen sich generell sehr gut für evolutionäre Abstammungsanalysen“, sagt Bosch. „Die über 600 Millionen Jahre alten Tiere haben fast alle Gene behalten, die der Mensch heute auch hat. Die Taufliege und der Wurm C. elegans haben dagegen viele davon verloren, da sie schnell evolvieren und stattdessen anderen molekularen und biochemischen Mechanismen den Vorzug gegeben haben.“

 

Um der TLR-Funktion in Hydra näher zu kommen, stellten Bosch und seine Mitarbeiter zunächst Knockdown-Mutanten her. Diese exprimierten kein MyD88-Protein mehr – ein Adapter, der in der Zelle an den TLR andockt, sobald dieser durch Mikroorganismen aktiviert wird. MyD88 stößt nachfolgend die Reaktionskette an, die zur Aktivierung der Transkriptionsfaktoren NF-κB oder c-Jun im Kern führt und in die Expression immunregulatorischer Proteine mündet. „Wir haben uns für die Stilllegung des MyD88-Gens entschieden, da wir möglicherweise noch nicht alle TLR-Varianten identifiziert hatten“, erklärt Bosch dieses Vorgehen. „MyD88 liegt dagegen nur in einer einzigen Form vor, so dass wir nach der Ausschaltung dieses Gens einen eindeutigen Effekt erwarteten.“

 

Mit Hilfe von Mikroarrays und 16S rRNA Sequenzierung ermittelten die Kieler schließlich die Genexpression sowie das bakterielle Besiedlungsprofil von MyD88- -Mutanten im Vergleich mit Wildtyp-Hydra vulgaris. Außerdem infizierten sie die durchsichtigen Tentakelträger mit dem Erreger Pseudomonas aeruginosa und beobachteten den Infektionsverlauf, wie auch die Neubesiedelung mit gutartigen Keimen nach Antibiotikagabe – die sogenannte Rekommensalisierung. Alle Ergebnisse der in PNAS publizierten Studie (Publ. online before print, Oct. 29, 2012, doi:10.1073/pnas.1213110109) weisen eindeutig darauf hin, dass Hydra den TLR-Signalweg zur Abwehr von Erregern und Kontrolle der erwünschten Bakterienflora einsetzt. Erstautoren der Arbeit sind Sören Franzenburg und Sebastian Fraune.

 

Ein Großteil der per Mikroarray gefunden Transkripte ließ sich nicht durch einen Datenbankabgleich bekannten Proteinen zuordnen. „Wir stellen immer häufiger fest, dass Organismen neben konservierten Proteinen eine sehr große Zahl tierartspezifischer Moleküle besitzen“, sagt Bosch. „Deren Funktion muss mühsam über Knockout-Mutanten oder in Überexpressions-Studien ermittelt werden.“ Bosch plant den TLR-Signalweg in Hydra weiter im Detail aufzuklären. „In Hydra haben wir aufgrund der begrenzten Komplexität die Möglichkeit, alle erforderlichen Untersuchung in vivo durchzuführen“, stellt er die Vorzüge seines Modelorganismus heraus. In Zusammenarbeit mit Strukturbiologen soll der Rezeptor auch kristallographisch dargestellt werden.

 

Melanie Estrella

 

(Mehr über Thomas Bosch und seine Arbeiten an Hydra in Laborjournal 5/2009: 32-33)



Letzte Änderungen: 25.11.2012
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