Editorial

Wertanlage

Was früher das Sparbuch oder der zur Geburt des Kindes gepflanzte Baum war, ist heute das Nabelschnurblut – frisch gezapft und ordnungsgemäß weggefroren soll es den natürlichen Besitzer später heilen oder ihm gar das Leben retten. Eine Utopie?

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(15. November 2012) Bei Biobanken denkt man wohl in erster Linie an weggefrorenes Material, das für wissenschaftliche Studien zur Verfügung stehen soll. Doch auch Biobanken zur Patientenversorgung sind möglich und dürften künftig immer mehr an Bedeutung gewinnen. Dass die Anforderungen an die Qualität hier besonders hoch sind, versteht sich von selbst. Das gilt vor allem dann, wenn Zellen über Jahre hinweg konserviert werden und dabei ihre Teilungsfähigkeit erhalten bleiben muss. Ein Beispiel hierfür ist die Einlagerung von Nabelschnurblut, wie es inzwischen von einigen Firmen angeboten wird. Die im Nabelschnurblut enthaltenen Stammzellen können später für therapeutische Zwecke eingesetzt werden. Besonders reizvoll dabei: Benötigt der Spender selbst irgendwann einmal diese Zellen, so sind keine Abstoßungsreaktionen zu erwarten. Auch ethische Bedenken wie bei der Stammzellgewinnung aus menschlichen Embryonen stellen sich hier nicht. Eines dieser Unternehmen, das Kunden die Lagerung von Nabelschnurblut anbietet, ist die eticur) GmbH in Martinsried bei München. Laborjournal sprach mit Geschäftsführer Felix Raslag über Sinn und Zweck einer solchen Stammzellenbank und über die Qualitätssicherung.

 

Laborjournal: Herr Raslag, besonders kritisch für die Qualitätssicherung sind die Transportwege. Wie ist der Ablauf vom ersten Kundenkontakt bis zum eingelagerten Nabelschnurblut?

Felix Raslag: Die Kunden beauftragen uns schriftlich mit der Sammlung und Testung des Nabelschnurblutes und der anschließenden Aufbewahrung des Stammzellpräparates. Ungefähr vier Wochen vor dem Entbindungstermin erhält die werdende Mutter die Entnahmebox per Kurier. In ihr sind alle für die Entnahme notwendigen Utensilien enthalten. Bei der Ankunft in der Entbindungseinrichtung wird die Box dem Arzt oder der Hebamme übergeben. Nach Abnabelung des Kindes wird das Nabelschnurblut entnommen. Der vom Klinikpersonal verständigte Kurier bringt das Nabelschnurblut innerhalb von 24 Stunden ins Labor der Stammzellbank des Universitätsklinikums Erlangen, wo es verarbeitet, getestet und eingefroren wird. Wir arbeiten mit dem zertifizierten Kurierunternehmen GO! Express&Logistics zusammen. Die Kurier-Hotline ist 24 Stunden an allen Tagen des Jahres erreichbar. Somit wird sichergestellt, dass die lebenden Zellen rechtzeitig im Labor ankommen.

 

Trotzdem können Sie nicht in jedem Einzelfall wissen, was mit dem Material unterwegs passiert ist. Wie stellen Sie sicher, dass die Probe eines Kunden auch wirklich verwertbar ist?

Felix Raslag: Bei uns wird ein winziger Teil des Zell-Präparates eingefroren und nach wenigen Tagen wieder aufgetaut. Danach werden die Zellen in eine Zellkultur gebracht. Wenn sie sich darin vermehren, sind sie zweifelsfrei vital. Auf diese Weise wird bei jedem einzelnen Präparat sichergestellt, dass die Zellen den gesamten Vorgang inklusive des Einfrierens unbeschadet überstehen.

 

Nun geht es hier aber nicht um einen Zeitraum von Tagen. Die Zellen müssen auch Jahre später noch teilungsfähig sein.

Felix Raslag: Die Haltbarkeit von kryokonservierten Stammzellen aus Nabelschnurblut ist bereits über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren bewiesen. Aufgrund von Erkenntnissen aus der Langzeitlagerung von anderen Zellen, beispielsweise Spermien, geht man davon aus, dass auch Stammzellen aus Nabelschnurblut mindestens für die Dauer eines Menschenlebens aufbewahrt werden können.

 

Gibt es denn bereits konkrete Anwendungsmöglichkeiten für Nabelschnurblut oder handelt es sich bloß um eine Wette auf den medizinischen Fortschritt?

Felix Raslag: Allogene Nabelschnurblut-Stammzellen, also von fremden Spendern, werden bereits in großem Umfang bei Leukämie zum Wiederaufbau des blutbildenden Systems im Knochenmark eingesetzt. Autologe Nabelschnurblutstammzellen, also eigene Zellen, kommen bei verschiedenen Störungen in der Blutbildung, Schädigungen der Blutbildung nach Krebstherapien, Stoffwechselstörungen, wie das Hurler-Syndrom, oder schweren Autoimmunerkrankungen, wie Lupus erythematodes, zur Anwendung. Auch in der regenerativen Medizin werden Stammzellen schon verwendet. So zum Beispiel bei Hirnschäden nach Sauerstoffunterversorgung während der Geburt oder im Frühstadium von Diabetes Typ 1. Darüber hinaus können in Zellkulturen bereits einfache Zielzellen in gewünschter Form und Größe erzeugt werden, wie beispielsweise Knochen oder Knorpelzellen.

 

Es gibt Kritiker, die vor allzu großen Hoffnungen warnen und nur geringe Chancen sehen, dass eingelagertes Nabelschnurblut wirklich für den therapeutischen Einsatz in Frage kommt. Insbesondere bei genetischen Dispositionen macht es doch wenig Sinn, dem Patienten seine eigenen Zellen zu verabreichen.

Felix Raslag: Im Falle einer Leukämie im Kindesalter befürchtet man tatsächlich, dass im Nabelschnurblutpräparat eventuell schon Leukämievorläuferzellen vorhanden sein könnten. Bei der Behandlung von Leukämie zieht man daher wie gesagt allogene, also gespendete Blutstammzellen den eigenen vor. Darüber hinaus senkt eine milde Abstoßungsreaktion durch das Immunsystem des Spenders als Nebeneffekt die Rückfallquote. Wenn es jedoch keinen passenden Spender gibt oder eine Fremdspende nicht funktioniert, können durchaus auch die eigenen Nabelschnurblutstammzellen verwendet werden - wie es bereits erfolgreich gemacht wurde. Bei anderen Tumorerkrankungen mit Schädigung des blutbildenden Systems durch Chemotherapie ist es jedoch von großem Vorteil, wenn autologe Blutstammzellen aus dem Nabelschnurblut eingesetzt werden können. In der regenerativen Medizin werden ohnehin eigene Nabelschnurblut-Stammzellen benötigt.

 

Wie oft kommt es vor, dass Ihre eigenen Kunden das eingelagerte Nabelschnurblut benötigen? Was waren das für Erkrankungen, und war die Therapie erfolgreich?

Felix Raslag: eticur bietet diesen Service seit 2005 an. Sie dürfen nicht vergessen, es handelt sich um Neugeborene, die in der Regel gesund sind. Die ältesten Kinder, deren Stammzellen bei eticur aufbewahrt werden, sind heute also sieben Jahre alt. Erkrankungen im Kleinkindesalter, die mit diesen Zellen behandelt werden können – so zum Beispiel die frühkindlichen Hirnschäden – sind relativ selten. Wenn sie aber auftreten, sind die Nabelschnurblutzellen von großem Wert. Die meisten Erkrankungen, die in Zukunft hochwahrscheinlich im Rahmen der regenerativen Stammzell-Medizin behandelt werden können, betreffen ein höheres Alter. Zum Beispiel Diabetes, Alzheimer, Parkinson. Deshalb ist die Zahl der autologen Einsätze weltweit noch gering. eticur hat derzeit den ersten Fall eines Neugeborenen, das an einem Hirntumor leidet. Glücklicherweise haben die Eltern die Nabelschnurblut-Stammzellen aufbewahren lassen. Die Ärzte planen, das Kind mit Chemotherapie zu behandeln und anschließend die Stammzellen zur Rekonstitution des blutbildenden Systems zu verwenden. Darüber hinaus werden Nabelschnurblut-Stammzellspenden zunehmend für allogene Einsätze verwendet. Mehrere solche Präparate, die eticur in Kooperation mit der Stammzellbank des Universitätsklinikums Erlangen bereitgestellt hat, kamen bereits erfolgreich zur Anwendung.

 

Wie klären Sie Ihre Kunden auf, damit sie sich ein realistisches Bild machen können?

Felix Raslag: In all unseren Informationsmaterialien, den Broschüren und der Website, wird ganz deutlich darauf hingewiesen, was heute alles schon möglich ist und worauf man für die Zukunft hoffen kann. Im direkten Kundenkontakt machen wir auch klar, dass vor allem das Baby oder eventuell ein Geschwisterkind in Zukunft von der Stammzelleinlagerung profitieren kann, während die Hoffnung, dass die HLA-Merkmale des Babys zu einem Eltern- oder Großelternteil passen und hier eine Transplantation möglich ist, relativ gering ist. Die private Aufbewahrung von Nabelschnurblut-Stammzellen ist eine Investition in die Zukunft, eine Chance, an zukünftigen Entwicklungen in der Medizin zu partizipieren. Derzeit ist die Entnahme von Nabelschnurblut die beste Möglichkeit, um ethisch unbedenklich eine große Menge von noch "jungfräulichen" Stammzellen zu sichern. Auf jeden Fall sind Nabelschnurblut-Stammzellen zu kostbar, um sie wegzuwerfen. Daher bitten wir alle Schwangeren, eine öffentliche Spende in Betracht zu ziehen, falls sie es nicht für das eigene Kind aufbewahren möchten.

 

Eben erwähnten Sie bereits das Universitätsklinikum Erlangen. Was hat es mit dieser Kooperation auf sich und gibt es in diesem Zusammenhang auch wissenschaftliche Projekte, an denen eticur mitwirkt?

Felix Raslag: Die Kooperation mit der Stammzellbank in Erlangen garantiert unseren Kunden höchste Standards bei der Testung, Verarbeitung und Aufbewahrung der Nabelschnurblut-Stammzellen ihres Kindes. In unseren Augen können das Qualitätsmanagement und das Know-how des Universitätsklinikums, das bereits seit den 1950er Jahren eine stetig steigende Anzahl von Blutprodukten auf höchstem Niveau testet und verarbeitet, schwerlich übertroffen werden.

Darüber hinaus stellt die Aufbewahrung in der Einrichtung, deren Gründung bereits auf das Jahr 1824 zurückgeht, sicher, dass die Stammzellen im Falle einer Krankheit auch noch in 40, 60 oder 80 Jahren bei Bedarf verfügbar sind. eticur kooperiert mit den Experten der Stammzellbank auf verschiedenen Gebieten, beispielsweise bei der Verbesserung von Testung und Verarbeitung oder bezüglich der Gewinnung von mesenchymalen Stammzellen aus Nabelschnur-Gewebe. Für diese Projekte werden aber ausschließlich gespendete und nicht verwertbare Präparate, bei denen die Eltern die entsprechende Zustimmung gegeben haben, eingesetzt.

 

 

Mario Rembold


Fotos: GeorgSV/Fotolia+Hannes Eichinger/Fotolia

           eticur) GmbH



Letzte Änderungen: 25.11.2012
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