Editorial

Wer darf publizieren?

Wer bestimmt, wann und welche Daten als Paper publiziert werden dürfe? Wem gehören Labordaten überhaupt?
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(14. Mai 2013) Das Photometer ist Eigentum der Universität. Die neuen Pipetten hingegen gehören dem Professor – er hatte sie aus der eigenen Tasche bezahlt. Den Laptop wiederum hat sich der Doktorand selbst angeschafft, weil er es leid war, auf dem langsamen Unirechner immer erst den Administrator herbeirufen zu müssen, um neue Software zu installieren. Nun schaut er sich die Tabellen an, die die Zahlen aus den Messreihen enthalten und stellt sich eine Frage: Wem gehören diese Daten eigentlich? Ihm selbst, weil er die Tabelle auf seinem eigenen Rechner erstellt und gespeichert hat? Der Universität, weil das Photometer benutzt wurde? Oder dem Professor, der die verwendeten Pipetten zur Verfügung gestellt hat? Und was ist mit der technischen Assistentin, die am Vortag die Messungen durchgeführt hatte?

Man mag nach dem tieferen Sinn dieses erdachten Szenarios fragen. Ist es nicht kleinkariert, nach einem Besitzer dieser Daten zu fragen? Alle möglichen Leute wirken an der Forschung im Institut mit – die TA, weil sie dafür Geld bekommt, der Doktorand, weil er promovieren möchte, und der Professor, weil Wissenschaft für ihn eine Berufung ist. Doch was ist, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten kommt? Was, wenn ein Beteiligter die Tabelle für eine Veröffentlichung nutzen will, sich ein anderer aus dem Institut aber gegen die Verwendung dieser Daten ausspricht? Und können wissenschaftliche Daten überhaupt einen Eigentümer haben, der über sie bestimmen darf?

Das Recht an der eigenen Forschung

Im Mai 2008 veröffentlichte das Journal Human Brain Mapping ein Paper mit dem Titel „Neuronal correlates of spontaneous fluctuations in fMRI signals in monkey visual cortex: Implications for functional connectivity at rest” (vol.  29(7):751-61; 2008). Die Autoren Amir Shmuel und David Leopold hatten sich mit der Spontanaktivität von Nervenzellen im visuellen Cortex beschäftigt und hierzu Daten ausgewertet. Die Ergebnisse entstammten dem Labor von Nikos Logothetis am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen; Shmuel und Leopold waren dort als Doktoranden beschäftigt. Der Knackpunkt: Logothetis war gegen die Verwendung der Daten im Rahmen dieser Veröffentlichung. War es nun rechtens, das Paper trotzdem zu publizieren? Darf man einem Wissenschaftler überhaupt untersagen, ihm vorliegende Daten auszuwerten und darüber zu berichten?

Urheberrecht

Rechtsanwalt Hans-Dieter Lippert wurde in seiner 30-jährigen Laufbahn als Medizinrechtler immer wieder von Ärzten, Wissenschaftlern und Studenten um Rat gefragt, wenn es zu Meinungsverschiedenheiten im Umgang mit Forschungsdaten kam. Lippert betont, dass es keine einfache und allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt, denn bei der Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Arbeit können verschiedene Gesetze einschlägig sein: Urheberrecht, Datenschutzaspekte, Patentrecht und arbeitsrechtliche Regelungen können eine Rolle spielen. Darüber hinaus sind individuelle Vereinbarungen an der Tagesordnung, die beim Einwerben von Drittmitteln geschlossen werden. Oft ist in der Praxis weniger relevant, wer Urheber oder Ersteller eines Dokuments ist oder in wessen Laborbuch eine Liste mit Messwerten notiert wurde; vielmehr geht es um die Frage, wem das Recht zur Verwertung zusteht.

Dass wissenschaftliche Arbeiten urheberrechtlichen Schutz genießen, dürfte sich spätestens herumgesprochen haben, seit der ein oder andere Minister über die (nicht immer ganz eigene) Doktorarbeit gestolpert war. Wer nämlich ein künstlerisches oder wissenschaftliches Werk erstellt, ist dessen Urheber. Ein Werk ist im Moment seiner Entstehung urheberrechtlich geschützt, ohne dass es einer Eintragung bedarf – im Gegensatz zu Marken oder Patenten, die registriert werden müssen, um einen Schutz zu genießen. Auch wenn sich die konkreten Urheberrechtsgesetze zwischen verschiedenen Staaten im Detail unterscheiden (etwa was Schutzfristen nach dem Ableben des Urhebers betrifft), gilt dieser Grundsatz im Prinzip weltweit (Details hierzu siehe http://www.wipo.int/treaties/en/ip/berne/). Auf das Paper von Shmuel und Leopold bezogen bedeutet das: die beiden Autoren sind Urheber des Werks und haben prinzipiell auch das Recht, über eine Veröffentlichung zu entscheiden. Dies sahen offenbar auch die Editoren bei HBM so und verteidigten ihre Entscheidung zur Veröffentlichung in einem Beitrag im eigenen Journal (Hum Brain Mapp 30(2):34754; 2009). Logothetis hatte nämlich bei der Interpretation der Forschungsdaten durch seine beiden ehemaligen Doktoranden eine andere Meinung vertreten und sieht auch den „Material und Methoden“-Teil als irreführend an. Tatsächlich hätten die Versuchstiere während der Messungen vor einem grauen flackernden Bildschirm gesessen, so dass visuelle Reize während der Experimente im Gehirn verarbeitet wurden. Es könne also nicht, wie im Paper behauptet, von einer Spontanaktivität im visuellen Cortex die Rede sein. Die Editoren dagegen berufen sich auf den Peer Review-Prozess, der erfolgreich durchlaufen worden war. Jedem Wissenschaftler stehe es ja zu, sich nach der Veröffentlichung kritisch mit den Daten auseinanderzusetzen und eigene Beiträge zum Thema zu verfassen und zu publizieren.

Nutzungsrecht

Lippert weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass für eine juristische Beurteilung des Sachverhalts relevant sei, ob die beiden Doktoranden während ihrer Arbeit an dem Paper in einem Dienstverhältnis standen oder nicht. § 43 des Urheberrechtsgesetzes regelt nämlich die Einräumung von Nutzungsrechten im Rahmen eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses. „Derjenige, der mich bezahlt, hat auch die Nutzungsrechte“, bringt es Lippert auf den Punkt. Wer also einen Arbeitsvertrag unterschreibt, der die Erstellung urheberrechtlicher Werke beinhaltet, muss auch die Verwertung durch den Arbeitgeber dulden.

„Der Autor bleibt natürlich Urheber“, so Lippert, denn die Urheberschaft an sich sei nicht übertragbar, „aber er selbst hat dann keine Nutzungsrechte an dem Werk.“ Falls ein wissenschaftlicher Mitarbeiter also im Rahmen seines Arbeitsvertrages einen Artikel anfertigt, dann darf er dieses Werk nicht einfach ohne die Einwilligung seines Arbeitgebers veröffentlichen.

Allerdings stehen Doktoranden nicht unbedingt in einem Arbeitsverhältnis. Oft werden sie über Stipendien finanziert oder die Promotion selbst wird überhaupt nicht vergütet. Auch gängig ist die Einstellung als Wissenschaftlicher Mitarbeiter auf einer halben Stelle, wobei die eigentlichen Tätigkeiten im Rahmen der Doktorarbeit nicht Teil des Arbeitsvertrags sind. Dann fallen die hierfür geleisteten Stunden nicht unter die Arbeitszeit, sondern sind gewissermaßen das Privatvergnügen des Mitarbeiters. Dann gelte § 43 nicht, betont Lippert. Allerdings können hier individuelle Vereinbarungen mit dem Doktoranden getroffen werden, was bei Stipendien oder Drittmittelgebern üblich ist.

Was das in HBM erschienene Paper von Shmuel und Leopold betrifft, wurde als Reaktion auf die Ausführungen der Editoren eine Stellungnahme von Herbert Jäckle, Direktor am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen, veröffentlicht. Darin argumentiert er, dass die Autoren des Papers eben einen solchen Vertrag mit der Max Planck-Gesellschaft unterzeichnet hätten, der den Vorgesetzten im Institut ein Mitspracherecht bei der Veröffentlichung erlaube.

Schöpfungshöhe

Logothetis ärgert sich im Zusammenhang mit der umstrittenen Publikation, dass zudem Daten zweier Mitarbeiter verwendet wurden, die die Experimente durchgeführt hatten und maßgeblich an dem Projekt beteiligt gewesen waren: Mark Augath und Axel Oeltermann. Oeltermann habe viele technische Probleme gelöst und die Experimente erst möglich gemacht, so Logothetis. Doch die beiden Wissenschaftler hatten anscheinend ebenfalls Bedenken, was die Interpretation ihrer Daten betrifft, und wollten sich nicht als Koautoren an der Veröffentlichung beteiligen.

Ist es denn überhaupt rechtens, dass man Daten in einer wissenschaftlichen Arbeit verwendet, ohne die Zustimmung derer zu haben, die diese Daten erhoben haben? Da jedem Urheber auch das Recht zusteht, sein Werk nicht zu veröffentlichen, müssen sich alle beteiligten Autoren damit einverstanden erklären, dass ihr Text unter die Leute gebracht wird. Doch wenn es lediglich um eine Sammlung wissenschaftlicher Daten geht, greift nicht unbedingt das Urheberrecht, denn dazu muss ein Werk mit einer gewissen Schöpfungshöhe vorliegen. Wissenschaftliche Erkenntnisse, Theorien, Forschungs- und Untersuchungsergebnisse, Diagnosen und Ideen hätten für sich genommen noch nicht die notwendige Gestaltungshöhe für einen urheberrechtlichen Schutz, so Lippert, denn diese müssten erst „schöpferisch verarbeitet werden“. Wenn, wie im Eingangsbeispiel, eine technische Assistentin also etwa ein Photometer nach genauen Vorgaben bedient und eine Tabelle mit den gemessenen Daten erstellt, so ist damit noch kein urheberrechtlich geschütztes Werk entstanden. „Das sind technische Hilfsleistungen“, erklärt Lippert.

In der Realität mag die Grenze zwischen technischen Hilfsleistungen und komplexen Analyse- und Auswertungsmethoden, die einen schöpferischen Prozess erfordern, fließend sein und daher vom Einzelfall abhängig. Doch angenommen, ein Wissenschaftler greift für eine Publikation auf Datensammlungen von Fachkollegen zurück, die nicht unter den Urheberrechtsschutz fallen. Darf er diese Ergebnisse ohne Erlaubnis publizieren? Lippert verweist darauf, dass es zunächst einmal einen Eigentümer der „verkörperten Daten“ gibt. Dies könnte das Laborbuch oder die Festplatte des Rechners sein.

„Der bloße Besitz der Daten berechtigt zu nicht viel“, schränkt Lippert aber gleich ein und verweist auch hier auf Arbeitsverträge und Vereinbarungen, wie sie häufig mit wissenschaftlichen Mitarbeitern geschlossen werden. Erst daraus ergibt sich, wer berechtigt ist, die Daten für eine Veröffentlichung zu nutzen oder auch nur für eigene Zwecke zu kopieren. So ist es möglich, dass sich ein Institut oder Sponsor vorbehält, einer Veröffentlichung der im jeweils vereinbarten Projekt gewonnenen Daten widersprechen zu können. Auch wenn ein Institut teure Geräte angeschafft und Laboratorien eingerichtet hat, die von einem Doktoranden für die Datengewinnung genutzt werden, kann der Träger des Instituts Eigentümer dieser Daten sein und ein Interesse an den Verwertungsrechten haben. „Dann dürfen Sie das nicht einfach so veröffentlichen“, betont Lippert, denn die Daten gehören dann dem Arbeitgeber oder der Universität.

Doch während Urheberrechtsverletzungen strafrechtlich verfolgt werden können, muss ein Mitarbeiter, der lediglich eine Datensammlung unterhalb schöpferischer Werkshöhe ohne Zustimmung nutzt, solche Folgen nicht befürchten. „Allerdings sind zivil- und arbeitsrechtliche Schritte möglich“, betont Lippert. Es können Schadensersatzansprüche gegen den Wissenschaftler geltend gemacht werden, wenn er eine solche Vereinbarung bricht, als Mitarbeiter kann ihm eine Abmahnung oder gar Kündigung drohen.

Jenseits des Urheberrechts

Nicht nur Urheberrecht und individuelle Vereinbarungen sind zu beachten, wenn Forschungsergebnisse veröffentlicht werden. Wird im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts ein neues technisches Verfahren etabliert, das als Patent angemeldet werden könnte, so hat auch hier der Arbeitgeber ein Vorrecht. Grundlage ist das „Gesetz über Arbeitnehmererfindungen“. „Der Mitarbeiter, der das Verfahren entwickelt hat, bleibt Erfinder“, legt Lippert die Analogie zum Urheberrecht dar. Allerdings dürfe er das Verfahren ohne Erlaubnis des Arbeitgebers nicht selbst zum Patent anmelden. „Ihm steht aber eine Beteiligung am Gewinn zu“, ergänzt der Jurist.

Ein weiterer Aspekt jenseits des Urheberrechts betrifft vor allem die medizinische Forschung. Sobald mit menschlichem Material gearbeitet wird, spielen nämlich auch die Rechte und Interessen des Spenders eine Rolle, denn der ist zunächst einmal Eigentümer der Probe. Um diese für Forschungszwecke nutzen zu können, benötigt man nicht nur die Erlaubnis des Spenders, sondern man muss auch allen Anforderungen des Datenschutzes genügen wie auch die Beteiligten über das Forschungsprojekt und die Verwendung ihrer Daten aufklären und ihre Zustimmung einholen. Lippert rät zu einem gewissenhaften Umgang mit den Daten und Materialien von Probanden und Patienten. „Ansonsten dürfen Sie Ihre Arbeit nicht publizieren“, stellt er klar.  

Kaum Gerichtsurteile

Dass Meinungsverschiedenheiten zum Umgang mit Forschungsdaten so ausgiebig in der Öffentlichkeit diskutiert werden, wie im Fall von Shmuel und Leopold, ist eher die Ausnahme. Vor Gericht landen die wenigsten Streitigkeiten, weiß Lippert. „Mir sind keine obergerichtlichen Urteile hierzu bekannt“, stellt er fest und vermisst richterliche Entscheidungen, die zu Fragen rund um die Verwendung wissenschaftlicher Daten Rechtssicherheit schaffen könnten. So auch im Fall des Pathologen Manfred Stolte, der 2008 in den Ruhestand ging, und dem sein ehemaliger Arbeitgeber seither den umfassenden Zugriff auf Dokumente und Probenmaterial verweigert (siehe Laborjournal 9/2011: 38-42). Im letzten Jahr zog Stolte vor Gericht, doch auch hier fiel kein Urteil, sondern es wurde ein Vergleich zwischen den Konfliktparteien erwirkt (mehr dazu in der nächsten Ausgabe von Laborjournal). Lippert glaubt, dass die Beteiligten in vielen Fällen gar nicht den langen Atem haben, ihr Anliegen einer gerichtlichen Prüfung zu unterziehen. Hinzu komme gerade bei jungen Wissenschaftlern die Abwägung, welche Folgen eine juristische Auseinandersetzung für die eigene Karriere haben könnte. „Man möchte ja nicht in der ganzen Republik als der Doktorand bekannt sein, der sich mit einem renommierten Professor angelegt hat“.

Kommunikation

Lippert hat 2009 unter dem Titel „Wem gehören Daten, die im Rahmen von Forschungsprojekten gewonnen werden?“ einen Beitrag in der Festschrift „Medizin und Haftung“ verfasst, der sich ausführlich mit der deutschen Gesetzeslage befasst und die Aspekte rund um Urheber- und Arbeitsrecht sowie den Datenschutz beleuchtet (Springer Berlin Heidelberg, ISBN: 978-3-642-00611-1). Betroffenen rät er, sich an einen Tisch zu setzen und nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen. Ratsam ist es in jedem Fall, die Arbeitsverträge oder sonstigen Vereinbarungen mit dem Institut oder Drittmittelgebern genau durchzulesen, bevor man seine Unterschrift darunter setzt.

Mario Rembold

(Der Artikel erschien bereits in der aktuellen Laborjournal-Druckausgabe 5/2013 auf den Seiten 30-31. Foto: iStockphoto/a2bb5s)



Letzte Änderungen: 31.05.2013