Editorial

Expedition Tumorgenom

Sinkende Kosten für Hochdurchsatzsequenzierungen ermöglichen personalisierte Krebstherapien auf der Basis molekularer Marker. Doch was bringen sie den Patienten wirklich? 
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(20. Juni 2013) Laborjournal sprach mit Christof von Kalle, Sprecher des Direktoriums des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg und Leiter der Abteilung Translationale Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg. Von Kalle und sein Team wollen Funktion und genetische Modifikation von Stammzellen charakterisieren, um so herauszufinden, welche Bedeutung sie bei Entstehung und Behandlung von Krebserkrankungen haben. Außerdem entwickelt die Gruppe Gentherapien zur Behandlung von Krebs und schweren Erbkrankheiten. Die Wissenschaftler identifizierten per Hochdurchsatz-Sequenzierung Regionen bevorzugter Integration von Gentherapievektoren im Zielzellgenom und klärten damit gleich noch genetische Ursachen einiger Nebenwirkungen auf. 

Laborjournal: Welchen Stellenwert hat die personalisierte Therapie heute bei der Krebsbehandlung?

Christof von Kalle: Bei Krebserkrankungen des blutbildenden Systems sind genetische Untersuchungen bereits angewandte Praxis. Die personalisierte Krebstherapie befindet sich jedoch oft noch in der Phase der akademischen Erprobung. Deshalb wird bisher auch nicht jeder Krebspatient genetisch untersucht. Die Kartografierung der Veränderungen in Tumoren ist noch in vollem Gange. Wenn sich Patienten heute an Studien beteiligen wollen in der Hoffnung, für sich selbst und andere neues Wissen zu generieren, ist das eine gute Voraussetzung. Ein Allheilmittel, das zum garantierten Erfolg führt, sind diese experimentellen Behandlungsansätze nicht. Wir versuchen, bis 2015 bei der Mehrzahl der Krebspatienten, für die das medizinisch sinnvoll ist, Normalgewebe und Tumorgewebe umfassend genetisch zu untersuchen und zu vergleichen.

Welche Erfolge kann die personalisierte Krebsbehandlung vorweisen?

Christof von Kalle: Ein großer Durchbruch war Glivec, ein Tyrosinkinasehemmer zur Behandlung der Chronisch Myeloischen Leukämie. Die Tumorentstehung wird dabei von einer einzigen Mutation getrieben. Das Medikament steigert Überlebenszeit und Lebensqualität der Patienten deutlich. Das Maligne Melanom lässt sich nun mit Vemurafenib behandeln, das die veränderte, aktivierte Proteinkinase B-raf hemmt. Der metastasierende Hautkrebs kommt dadurch für 6 bis 18 Monate zum Stillstand. Die entsprechende BRAF-Mutation kommt auch bei anderen Krebsarten zur Ausprägung, so dass das Medikament auch hier eingesetzt werden könnte. Beim Mammakarzinom und beim Darmkrebs hat man durch die Verkettung von maßgeschneiderter und Chemotherapie ein deutlich besseres Gesamtüberleben der Patienten erreicht. Für Chemotherapeutika, für die der Abbauweg bekannt ist, können wir durch die Analyse des Genotyps Unverträglichkeiten vorhersagen.

Wo stößt die personalisierte Krebsbehandlung heute an ihre Grenzen?

Christof von Kalle: Leider führt die personalisierte Krebstherapie noch zu selten zu positiven und messbaren Ergebnissen für die Patienten. Wir finden aber bei vielen Erkrankungen zusätzliche Angriffspunkte. Ein weiteres Problem ist das Auftreten von Resistenzen gegen die eingesetzten Wirkstoffe. Wahrscheinlich braucht es Kombinationen mehrerer Medikamente oder die Kombination mit einer Immuntherapie, um Tumore wirkungsvoll in Schach halten zu können. Hier stellt sich die Frage, wie wir klinische Studien mit Kombinationen von Medikamenten verschiedener Hersteller durchführen. Aufgrund des hohen Dokumentationsaufwandes sind solche Studien für viele akademische Einrichtungen ohne die Unterstützung der pharmazeutischen Industrie bisher kaum realisierbar. Zudem lassen sich die Tumorarten anhand genetischer Daten in viele Untergruppen unterteilen, für die jeweils eine andere Behandlung nötig sein kann. Es kann daher lange dauern, bis Serien ausreichender Größe zusammenkommen, um die Wirksamkeit einer Therapie im Sinne herkömmlicher klinischer Studien diskutieren zu können.

Wie wird sich die personalisierte Krebstherapie in Zukunft entwickeln?

Christof von Kalle: Um neue, nebenwirkungsarme Therapien zu entwickeln, sind wir am Internationalen Krebsgenom-Konsortium beteiligt, das 50 Tumorarten molekular charakterisiert. Dazu werden gesundes und Tumorgewebe von jeweils 200 bis 500 Patienten auf Veränderungen im Genom, Transkriptom und Epigenom untersucht. Von Heidelberger Seite sind Wissenschaftler des DKFZ, der Uni und des EMBL an der Analyse des frühen Prostatakarzinoms, des Malignen Lymphoms und kindlicher Hirntumore beteiligt. Das Konsortium will Atlanten der am häufigsten auftretenden Tumormutationen erstellen und diese für medizinische Fachkreise zugänglich machen.

Die heute schon effektive Chemotherapie wird ihren Stellenwert in Kombination mit zielgerichteten, personalisierten Therapien behalten. Durch eine intensive Diagnostik können wir Tumorerkrankungen anhand der festgestellten genetischen und epigenetischen Veränderungen einordnen und gezielter angehen. Mittelfristig wollen wir untersuchen, wann solche Veränderungen entstehen und ob wir diese für die Frühdiagnostik von Krebserkrankungen verwenden können.

Interview: Bettina Dupont

(Foto: Christof von Kalle)



Letzte Änderungen: 02.10.2013