Editorial

Der Letzte lässt das Licht an

Der Anwesenheitskult treibt in manchen Laboren bizarre Blüten. Leonid Schneider erzählt von Chefs, die Wert auf Laborbeleuchtung bis spät in die Nacht legen, und von Doktoranden, die permanenten Fleiß vortäuschen. Ein schonungsloser Erfahrungsbericht (Teil 1).
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(18. Dezember 2013) Im ersten Jahr meiner Doktorarbeit habe ich täglich um die 13 Stunden gearbeitet, auch am Wochenende. Ich hatte so gut wie keinen Urlaub. Genützt hat es mir rein gar nichts, die meiste Zeit verschwendete ich mit meinem schlecht geplanten Projekt und mit Labor-Hilfsdiensten, die mit meiner Doktorarbeit nichts zu tun hatten.

Damals wusste ich es ja nicht besser. Außerdem schwang die Angst mit, entlassen zu werden. Nachdem mein ursprüngliches Projekt totlief, beschloss ich weniger zu arbeiten; das heißt, ich ging spätestens um 20 Uhr oder gar früher heim, auch wenn mich mein Vorgesetzter deshalb schief anschaute. Denn manche meiner Kollegen blieben meist bis tief in die Nacht im Labor. Beim Heimgehen ließen sie das Licht an. Wenn der Chef mit seinem Hund spazieren ging, schaute er nämlich angeblich immer zum Institutsgebäude herüber, ob die Faulenzer noch arbeiteten.

Im Rückblick waren diese Rituale unglaublich albern, aber die Arbeitszeiten und deren Kontrolle in meinem damaligen Labor waren sicher keine Ausnahme. Es scheint sogar eher die Regel zu sein, dass Biologen eine 12-Stunden-Schicht und mehr schieben müssen. Samstags und sonntags arbeitet man natürlich ebenfalls. In meinem Postdoc-Labor im Ausland waren am Wochenende fast alle im Labor, als ob nichts wäre. Denn: das unbezahlte und exzessive Überstundenschieben ist die Pflicht eines jeden Doktoranden und Postdocs. Was auch immer die Chefs dazu bewegt, den Mitarbeitern solche Arbeitszeiten aufzudrängen (und dazu mehr im zweiten Teil), am Ende geht es nicht darum, was man alles gemacht hat. Es geht vielmehr darum, was man hätte noch machen können, hätte man nicht das Wochenende freigenommen. Aber leistet denn ein Wissenschaftler wirklich mehr, wenn er täglich mindestens zwölf Stunden im Labor steht?

Viel Arbeitszeit geht beispielsweise für Besprechungen drauf. Die rücksichtsvolleren Chefs setzen sie so an, dass Versuche nicht gestört werden. Wenn man aber zu viel bespricht, wird das Besprechen irgendwann unproduktiv und sinnlos. Während meiner Promotion waren solche Meetings ein Selbstzweck. Sie konnten jederzeit und auf unbestimmte Dauer stattfinden. Mal statt des Mittagessens, mal tief in die Nacht, mal am Wochenende. Da wir ja unsere Versuche trotzdem machen mussten, blieben wir eben noch länger im Labor.

Meiner Erfahrung nach arbeiten allerdings die wenigsten wirklich so viel wie sie den Vorgesetzten weismachen. Jeder Chef sagt, man solle sich auch zwischen der Pipettierarbeit, also während der Inkubationszeiten, für sein Projekt einsetzen. Zum Beispiel ein Paper lesen. Ich war auch einmal in einem Labor, in dem tatsächlich in den Toilettenkabinen Ausdrucke aktueller Papers und Reviews aushingen. Denn selbst bei sehr langen Arbeitszeiten sollte bloß keine Minute vergeudet werden.

Aber die kleinen Leute wehren sich passiv. Manche meiner Doktorandenkollegen wussten die Zeit des Präsentseins durch Tratschen totzuschlagen. Sobald der Alarm kam, dass der Boss in Richtung der Labore unterwegs wäre, griffen wir alle zu Pipetten. Raucher wussten genau, wo man sich auf dem Balkon verstecken konnte. Ich habe tatsächlich ab und zu versucht, dem Chef bei seiner Labor-Inspektion sofort meine neuesten Daten zu zeigen, damit er wüsste, wie viel ich gearbeitet hatte. Aber solange der Chef nicht hinschaut, surfen und chatten in den meisten Laboren die Doktoranden und Postdocs im Internet, tratschen, rauchen oder telefonieren (auf Institutskosten). Zur Not schnappt man sich ein Paper und schaut konzentriert hinein, wenn man am Schreibtisch und nicht im Labor erwischt wird. Man hat keine Freizeit und kaum Privatleben mehr, aber es sieht wirklich so aus, als ob man sich für seine Arbeit gänzlich aufopfern würde.

Manche anderen arbeiten tatsächlich sehr viel. Meist verlassen sie sich auf die von ihren Chefs gepredigte Kausalität zwischen dem vielen Arbeiten und den zahlreichen und guten Publikationen. Ich kannte allerdings Leute, die jahrelang schufteten, alle Anweisungen ausführten – und dennoch kam kaum etwas heraus. Manche fielen gar trotzdem in Ungnade und wurden entlassen. Wissenschaftlich hat sich deren Arbeitseinsatz auch nicht gelohnt, publiziert wurde jedenfalls kaum.

Andere haben die Arbeit regelrecht gemieden, wussten aber ihre Kollegen und Kollaborationspartner für sich einzuspannen, und kamen so zu ausgezeichneten Publikationen. Denn viel arbeiten heißt überhaupt nicht automatisch viel publizieren. Eigentlich heißt es nicht mal, viele Daten produzieren zu können. Menschen sind keine Roboter. Präzision und Konzentration sinken mit zunehmender Müdigkeit. So gehen manche Sachen schief, weil man trotz bester Absichten müde und unkonzentriert war. Und schon sind aufwendige Versuche komplett futsch. Dann heißt es alles zu wiederholen, noch mehr Arbeit, die nächsten Tage noch länger im Labor bleiben. Mir passierte dies am Anfang meiner Doktorarbeit öfter. Es wurde von dir erwartet, Fehler durch Mehrarbeit auszugleichen, sonst, du weißt ja, deine Stellenfinanzierung…

Ich kann aus Erfahrung sagen: ein Wissenschaftler kann auch in einer halbwegs normalen Arbeitszeit viel erreichen. Man muss auch nicht am Wochenende arbeiten, solange nichts Dringendes ansteht. Wenn man die Versuchsabläufe, Literaturstudien und die Pausen gut aufeinander abstimmt, die Besprechungen auf das notwendige Minimum begrenzt und sich nicht stressen oder ablenken lässt, kann man jedenfalls gute und produktive Forschung betreiben.

 


Leonid Schneider

Illustration: iStockPhoto


Im zweiten Teil dieses Artikels wird sich Leonid Schneider genauer anschauen, warum Chefs solche Zustände zulassen und oft sogar fördern – und was sie besser machen könnten.



Letzte Änderungen: 14.02.2014