Editorial

Ein komplexes Produkt der Evolution

Die Bakterien-Flagelle treibt nicht nur Prokaryoten an, sie war auch eine Triebfeder der Intelligent Design-Bewegung. Das Bohei um die „irreduzible Komplexität“ der Flagelle ist aber eine Luftnummer. Dämmert das langsam auch manchen Evolutionskritikern?
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(8. Januar 2014) Der amerikanische Biochemiker Michael Behe hatte mit der  Idee der „irreduziblen Komplexität“ schon 1996 die Kreationismus-Debatte aufgemischt. Seine Überlegung: Nimmt man ein beliebiges Element einer „irreduzibel komplexen“ Struktur weg, so ist der ganze Apparat funktionslos. Eine derartige Struktur könne deshalb nicht graduell evolviert sein, behaupteten Behe und seine Gefolgschaft. Denn das würde voraussetzen, dass die zur Funktionalität nötigen Komponenten quasi gleichzeitig entstanden, was dem „Schritt-für-Schritt“-Prinzip der Evolution widerspreche. Das Paradebeispiel der Intelligent Design (ID)-Anhänger war und ist die bakterielle Flagelle, eine Motor-getriebene „Schiffsschraube“.

Behes Argument fand auch in Deutschland Anhänger, unter anderem bei Reinhard Junker und Siegfried Scherer, den Autoren eines „evolutionskritischen Lehrbuches“. Scherer beschäftigt sich in diesem Werk ausführlich mit der Flagelle – auch in der 2013 erschienenen siebten Auflage. Martin Neukamm und Andreas Beyer (beide in der AG Evolutionsbiologie engagiert) sowie Heinz-Hermann Peitz (Organisator des „Forum Grenzfragen“) nahmen Scherers Text nun zum Anlass, die Argumente beider Seiten noch einmal detailliert auf ihre Tragfähigkeit abzuklopfen („Zur Evolution des Bakterienmotors – Die Entstehung bakterieller Flagellen ist erklärbar“).

Das Argument für den Designer

Die ID-Jünger um Behe glaubten ja, einen echten Trumpf gegen die evolutionäre Sichtweise im Ärmel zu haben. Eine Schritt-für-Schritt-Evolution der Bakterien-Flagelle erschien ihnen nämlich höchst unwahrscheinlich. Denn wozu ist beispielsweise ein raffinierter Propeller gut, wenn sich der Motor nicht dreht – und andersherum? Die natürliche Selektion kann ja nicht in die Zukunft schauen, nutzlose Strukturen gehen verloren. Aus ID-Sicht scheint es deshalb nur zwei Wege zu geben, die zu einer funktionierenden Flagelle führen: Entweder man muss quasi gleichzeitige, vorteilhafte Mutationen in großer Zahl annehmen, damit eine funktionierende Antriebsmaschine mit all ihren essentiellen Bauteilen sozusagen „spontan“ entsteht. Oder ein Intelligenter Designer hatte die Maschine entworfen. Aus stochastischen Erwägungen heraus kann man die erste Möglichkeit verwerfen, ergo kommt der Designer ins Spiel (Und hier offenbart sich die ideologische Stoßrichtung: Die amerikanischen ID-Kreationisten wollen die religiöse Vorstellung eines Schöpfers in den US-Schulunterricht schmuggeln, ohne das verräterische Wort „Gott“ in den Mund zu nehmen).

Das damals so pompös vorgetragene Argument der „irreduziblen Komplexität“ stand allerdings von Anfang an auf tönernen Füßen. Behe und seine Anhänger übersahen nämlich einen faszinierenden Aspekt der Evolution.

Proteine sind wie Lego-Steine

„Die Evolution“ kann multi-funktionale Module an- und umbauen, denn Proteine und ihre Domänen sind ähnlich flexibel wie ein Lego-Bausatz. Ein Legostein, der jetzt Teil eines Propellers ist, kann zuvor ein ebenso wichtiges, aber starres Verbindungsstück in einer ganz anderen Maschine gewesen sein. Und Proteine müssen im Laufe einer evolutionären Veränderung ihre alte Funktion auch nicht schlagartig verlieren, sondern können mehrere Funktionen gleichzeitig haben. Das Argument der „irreduziblen Komplexität“ beruht also auf falschen - und auch recht phantasielosen - Annahmen über den Evolutionsprozess, wie Neukamm, Beyer und Peitz ausführlich zeigen.

Eine große Rolle in der Auseinandersetzung spielt ein Modell des amerikanischen Biologen Nicholas Matzke aus dem Jahr 2006; sowohl Evolutionskritiker Scherer als auch Neukamm und seine Ko-Autoren beziehen sich auf diese Arbeit. Matzkes Modell zufolge führt ein plausibler evolutionärer Pfad zur Flagelle, wenn man frühere Funktionen der Komponenten mit einbezieht und bedenkt, dass Proteinkomplexe Doppelfunktionen haben können.

Die Flagelle hat drei wesentliche Komponenten:

(1)    die Geißel, die den Propeller bildet,

(2)    einen Basalkörper, der den rotierenden Motor beherbergt,

(3)    und einen „Haken“, der die beiden anderen Teile verbindet.

Die Komponenten haben eine je eigene evolutionäre Vergangenheit, Matzkes Modell zufolge. So beruht beispielsweise das zentrale Element des Basalkörpers auf einem Typ3-Exportapparat, den man sich wiederum als Kombination aus einer passiven Pore und einer rotierenden ATP-ase vorstellen kann. All diese möglichen Vorläufer-Strukturen haben Funktionen, die mit "Antrieb" erst mal nichts zu tun haben. Nutzlos sind sie deshalb aber nicht.

Auch die Vorläuferstruktur der Geißel selbst muss nicht funktionslos gewesen sein, nur weil sie ohne Anbindung an einen Motor nicht rotiert. Solche unbewegten Anhängsel („Pili“) dienen etwa dazu, Biofilme zu bilden.

Ohne hier auf weitere Einzelheiten einzugehen – die Schlussfolgerung aus Matzkes Arbeit ist eindeutig. Es ist weder nötig noch naheliegend, ein quasi gleichzeitiges (und damit womöglich geplantes) Umstrukturieren unwahrscheinlich vieler Proteine zu postulieren.

Tod auf Raten

Wie reagiert nun die ID-Anhängerschaft auf dieses Modell? „Kritikern wie Scherer ist es immer möglich, Details in Matzkes Modell zu problematisieren und weitere Konkretisierungen sowie funktionale Zwischenformen zu fordern. Damit aber stirbt ihr Argument den sprichwörtlichen 'Tod auf Raten'“, schreiben Neukamm und seine Ko-Autoren (S. 10).

In der Tat rudert Siegfried Scherer zurück. In vergangenen Auflagen des „kritischen Lehrbuchs“ hatte er noch mit abenteuerlichen Wahrscheinlichkeitsrechnungen bezüglich der angeblich nötigen „gleichzeitigen“ Mutationen argumentiert. Davon findet sich in der neuen Auflage des Werks nichts mehr – vielleicht auch unter dem Eindruck der Erkenntnis, dass diese gleichzeitigen Mutationen nicht ins Spiel gebracht werden müssen, um die Evolution der Flagelle zu erklären.

Zwar liefert sich der Evolutionskritiker Scherer noch „Rückzugsgefechte“ (so Neukamm et al.) bezüglich spezifischer Punkte in Matzkes Modell. Biologen hätten die Evolution der Flagelle noch nicht wirklich erklärt, so Scherers Schlussfolgerung. Das ist wohl wahr. Aber müssen sie das, um die ID-These zu widerlegen? Ein Appell an das Nicht-Wissen taugt jedenfalls nicht als Begründung für Alternativhypothesen, wie Neukamm und seine Mit-Autoren hervorheben.

Möglich und plausibel

Denn Evolutionsbiologen behaupten ja gar nicht, im Detail jeden einzelnen Schritt in der Evolution der Flagelle zu kennen – sowieso ein unrealistisches Unterfangen. Modelle wie das von Matzke zeigen aber einen möglichen, man darf sogar sagen, einen plausiblen Weg.

Aber hatten ID-Anhänger nicht behauptet, dass es ganz und gar unmöglich sei, eine irreduzibel komplexe Struktur anders zu erklären als durch die planende Hand eines Designers? Dieses Argument war schon aus allgemeinen Erwägungen heraus nie überzeugend. In Anbetracht des konkreten Evolutionsmodells der Flagelle – immerhin das Paradebeispiel der ID-Bewegung – ist ein Lieblings-Argument vieler Kreationisten endgültig unhaltbar geworden. Es scheint, als ob sich diese Einsicht langsam auch bei dem einen oder anderen Evolutionskritiker durchsetzt.

 


Hans Zauner



Zu diesem Beitrag erreichte uns folgender Leserbrief:


Sehr geehrte Damen und Herren,
es scheint diesem Artikel nach grundsätzlich verwerflich, wenn man beim Ziehen von Schlussfolgerungen aus wissenschaftlichen Fakten unterschiedliche weltanschauliche Ansätze vertritt? Wer kann das aber grundsätzlich ohne? Und wann war es je anders? Atheisten sind nicht per se die besseren Wissenschaftler auch wenn ihr Ansatz vor allem aus methodischen Gründen gelegentlich Vorteile haben mag. So ist selbst die Methodenwahl nie frei von nichtwissenschaftlichen Vorentscheidungen. Kurz: ich halte die im Artikel spürbare Häme gegenüber den sogenannten ID'lern oder Kreationisten für unnötig und überzogen. Es ist auch mitnichten ein Argument gegen Intelligenz, wenn mit Hilfe von mutlifunktionalen Bausteinen komplexe und vor allem funktional stimmige Konstruktionen erklärt werden können. Wer aus vielseitig einsetzbaren Legobausteinen unterschiedliche aber funktionelle Dinge baut, beweist damit sicher nicht die Ziellosigkeit und Zufälligkeit seiner Konstruktionsergebnisse sondern eher noch größere Intelligenz! Insofern halte ich die angeblich so zwingende Argumentation von Herrn Zauner für zu schwach. Der ganze Artikel wirkt auf mich wie eine persönliche Abrechnung mit den Gegnern, die gar nicht so ernst genommen werden müssten, wenn sie völlig unrecht hätten. Wissenschaft lebt davon, dass unterschiedliche Denkansätze gewagt werden. Wer auf diese Weise versucht seine Gegner zu schwächen, ist deshalb nicht klüger als diese sondern eher "unsportlicher" - schade!

Mit freundlichem Gruß,


Winfried Borlinghaus



Letzte Änderungen: 24.02.2014