Editorial

Nature hat Stress mit STAP-Zellen

Nature ist besorgt. Die Publikationen über STAP-Zellen von Haruko Obokata, Charles Vacanti und Teruhiko Wakayama machen Probleme. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich das Magazin mit zweifelhaften Sensations-Papern aus der Stammzell-Forschung blamiert, kommentiert Leonid Schneider.
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(26. Februar 2014) Zur Erinnerung: STAP-Zellen sind totipotente Stammzellen, die durch eine 30-minütige Säurebehandlung aus jedem Zelltyp entstehen sollen (siehe "Geniestreich oder Alchemie?"). Seit Erscheinen der beiden Nature-Artikel am 29. Januar haben jedoch mehrere Labore vergeblich versucht, Obokatas Experimente nachzumachen (siehe hier); darunter auch zehn Top-Stammzelllabore, die Nature selbst um experimentelle Validierung gebeten hatte.

Nicht-Reproduzierbarkeit alleine würde die Editoren des Prestige-Journals vielleicht noch nicht nervös machen. Aber es kommen weitere unschöne Aspekte hinzu:

  • Aufmerksame Leser endeckten Hinweise auf potentielle Bildmanipulationen in einer früheren Publikation von Obokata und Vacanti aus dem Jahr 2011. Dort ging es um STAP-Zellen, die durch Scherstress entstanden. Vacanti hält die offenkundigen Ungereimtheiten für einen „ehrlichen Fehler“. Ihm zufolge wäre es also verzeihlich, dass überarbeitete Wissenschaftler ein und dieselbe Aufnahme in mehreren Abbildungen der Publikation verwenden – nach Drehen und Spiegeln, wohlgemerkt. Man könnte hinter diesem Verhalten andererseits aber auch mutwillige Schlamperei, oder gar absichtlichen Betrug vermuten.
  • Weitere Anzeichen für potentielle Bildmanipulationen meldeten die Leser auf der Diskussions-Seite PubPeer auch für die beiden neuen Nature-Publikationen (siehe hier und hier). Es sieht insbesondere ganz so aus, als ob Mikroskop-Aufnahmen von ein und demselben Mausembryo mitsamt Plazenta als Bilder zweier unterschiedlicher Embryos dargestellt wurden – und zwar für zwei komplett unterschiedliche Aussagen. Inzwischen erklärte der Senior-Autor Teruhiko Wakayama, dass dies ebenfalls ein ehrlicher Verwechslungsfehler der überarbeiteten Obokata gewesen sei, der er damals die Bilder zur Verfügung gestellt hatte.
  • Ein anderer Leser entdeckte, dass die wichtigen Rohdaten der Sequenz-Analysen  nicht im Internet zur Verfügung standen. Das ist aber Voraussetzung für jede seriöse Publikation, auch bei Nature. Diese Daten wurden jedoch mittlerweile nachgereicht.

Untersuchung läuft

Das japanische RIKEN-Institut, an dem die Arbeiten entstanden, musste jedenfalls reagieren und eröffnete am 14. Februar eine Untersuchung. Zur Beruhigung erklärte die RIKEN-Sprecherin bereits am Anfang der Nachforschungen, dass RIKEN kein Problem mit den eigentlichen Forschungsergebnissen sehe und diese für solide und unangreifbar halte. Es entsteht so der Eindruck, dass die Untersuchung eine reine Formalie ist, weil es ja diese unschönen Anschuldigungen gibt. Die Erstautorin Haruko Obokata ist inzwischen nicht mehr zu erreichen, nicht für die Nature-News-Redaktion und nicht einmal für ihren Senior-Autor Wakayama. Und Charles Vacanti ist derweil mit Schadensbegrenzung beschäftigt und spricht vorerst nicht mehr von seinen Erfolgen mit menschlichen STAP-Zellen (obwohl das doch helfen würde, oder?). Stattdessen sinniert er über einen ausgedehnten Mexiko-Urlaub.

Welche Zellen sind STAP-tauglich?

Wakayama, der erfolgreichste Wissenschaftler unter den drei direkt Beteiligten, hält seinen guten Namen als Schutzschild hoch. Er behauptet, er hätte die publizierten Daten über die Plazentabildung aus totipotenten STAP-Zellen mit eigenen Händen im RIKEN-Labor produziert. Das Reproduzierbarkeitsproblem sieht er in erster Linie darin, dass sich Blutzellen leichter als andere Zelltypen zu STAP-Zellen wandeln könnten – obwohl dies in seinen Publikationen ganz anders steht.

Erstaunlicherweise gab Wakayama nun auch zu, dass die STAP-Herstellung seit seinem Umzug an die Yamanashi Universität nicht mehr klappt, egal mit welchen Zellen. Er hofft aber weiterhin, dass ihm oder jemand anderem die Reproduktion der Ergebnisse eines Tages doch gelingen werde. Und bis dahin sollen wir blind an die STAP-Zellen glauben, weil die Methode ja in Nature publiziert wurde?

Doch nicht trivial

Mag sein, dass das STAP-Protokoll doch nicht so trivial ist, wie Obokata und Vacanti anfangs jedem erzählten, der ihnen ein Mikrofon hinhielt. Ihr Labor arbeitet inzwischen angeblich mit Volldampf daran, ein genaues Protokoll auszuarbeiten. Da fragt man sich aber schon: Wie haben Vacanti, Obokata, Wakayama und deren Mitarbeiter bis jetzt gearbeitet? Nach gut Glück? Coca-Cola-Geheimrezept? Mondphasen?

Es gibt also offenbar derzeit nur zwei Labore auf der Welt, in denen laut eigener Aussage STAP-Zellen entstehen: im Obokata-Labor bei RIKEN und im Vacanti-Labor in Boston; aber nicht einmal im Labor des Ko-Autors Wakayama in Yamanashi glückt die Methode. Wie geht man mit dieser Situation um?

Ich kann jedenfalls sehr wohl nachvollziehen, dass der aktuelle Nature News-Beitrag alle Optionen offen lässt. Die Skepsis ist dort so wohldosiert, dass Nature sowohl auf eine Ehrenrettung wie auch auf eine Retraction der beiden Artikel vorbereitet wäre.

Natures Liaison mit der Stammzellforschung

Für Nature ist eine derart knifflige Situation nicht neu. Man hat dem Magazin in der Vergangenheit schon einiges (vermutlich nicht ganz unbegründet) vorgeworfen: plumpes Begünstigen von bestimmten Autoren, aber auch Publizieren oft wenig zuverlässiger, aber sensationeller Daten. Forschung an pluripotenten Zellen eignet sich besonders für Sensations-Veröffentlichungen und Nature spezialisiert sich gezielt auf die Stammzellforschung, anders etwa als der direkte Konkurrent Science.

Erst neulich berichtete die Zeitschrift, dass der genetische Unterschied zwischen Menschen und Schimpansen bereits in den embryonalen Stammzellen offensichtlich sei (hier). Angesichts unserer extrem nahen biologischen Verwandtschaft ist dies schon erstaunlich. Es ist jedoch unklar, ob dieser Unterschied funktionelle Konsequenzen hätte, und ob man solche Diskrepanzen auch zu ES-Zellen von Nagern und anderen Spezies findet.

Schändliches Erratum

Frühere Nature-Veröffentlichungen entfachten jedenfalls heftige Kontroversen. Da war zum Beispiel die Publikation über flüchtige, nicht wieder auffindbare pluripotente Stammzellen im Knochenmark – mit einem Erratum gerettet, welches nur als Schande bezeichnet werden kann. Mit dieser Korrektur gilt die Publikation offiziell immer noch als solide, obwohl die Befunde nicht reproduzierbar waren und sogar widerlegt wurden. Die angeblich pluripotenten Knochenmark-Zellen waren für niemanden verfügbar und Abbildungen zeigen Anzeichen für Manipulation.

Ein anderes Nature-Paper über angebliche Transdifferenzierung von Knochenmarkzellen zu Herzzellen wurde später in der Zeitschrift selbst widerlegt. Die zweifelhafte Arbeit war aber dennoch die Basis für zahlreiche teure Großprojekte und erfolglose klinische Versuche an Patienten (siehe hier). So wurde an der Uniklinik Düsseldorf aus angeblicher Patientenrettung ein handfester Skandal mit Disziplinarverfahren. Auch die Publikationen von Piero Anversa und Catherine Verfaillie gelten weiterhin als beste Forschung und werden fröhlich zitiert. Offenbar folgen auch manche Wissenschaftler und Förderinstitutionen einem faktenunabhängigen, eher religiösen Ansatz: „Sprung in den Glauben“.

Weiterhin erschienen bei Nature (und auch Cell) mehrere Publikationen über pluripotente Stammzellen in Hoden, sowohl bei der Maus als auch beim Menschen. Erst als es dem erwachsenen Mann an die Hoden ging (hier) wurde die Diskussion so aggressiv, dass Nature eine Gegenpublikation veröffentliche.

Wie dem auch sei, geforscht wird an diesem Thema inzwischen kaum noch, und pluripotente Stammzellen werden aus Hoden, ob humanen oder murinen, inzwischen eher nicht mehr gewonnen. Vielleicht waren die Zellen am Ende doch nicht so pluripotent...

Aussitzen, bis es ganz schlimm kommt

So wird Nature wohl auch diesmal, um Einfluss und Ansehen besorgt und von der Konkurrenz beäugt, eine Retraction um jeden Preis vermeiden wollen. Im Aussitzen hat man dort Erfahrung. Sollte es aber doch schlimm kommen, wenn also tatsächlich Bild-Manipulationen die Daten unhaltbar machen würden, STAP-Ergebnisse weiterhin nicht reproduzierbar wären, die RIKEN-Untersuchung doch nicht wie vorherbestimmt liefe oder gar einer der Autoren die Reißleine ziehen würde: dann war Nature mit dem letzten Beitrag vorbereitet. Nature war dann nämlich ein argloses, grundehrliches Opfer und kann weiterhin mit unserem vollen Vertrauen rechnen.

 

Leonid Schneider

 

Abb.: iStock Photo (inset: Pressemitteilung RIKEN)

 

Frühere  Beiträge von Leonid Schneider zum Thema STAP-Zellen:

 

"Geniestreich oder Alchemie"

"Entdeckung mit Vorgeschichte"



Letzte Änderungen: 25.04.2014