Editorial

Die Rache des Zombie-Papers

(26. Juni 2014) Eine lausige, zuvor schon zurückgezogene Studie zur angeblichen Toxizität von GM-Mais erschien nun in einem anderen Journal erneut – quasi unverändert. Beginnt die Diskussion um das Skandal-Paper jetzt von vorne?
editorial_bild

Endlich! Séralinis Genfood-Sensation wandert in die Tonne! titelte der Blogger Martin Ballaschk im November letzten Jahres. Da hatte er sich zu früh gefreut. Denn wenige Monate nachdem die Zeitschrift Food and Chemical Toxicology einen Artikel von Gilles-Éric Séralini et al. gegen den Willen der Autoren zurückgezogen hatte, erweist sich das Aufreger-Paper als untoter Wiedergänger. Unter dem Titel „Republished study: Long term toxicity of a Roundup herbicide and a Roundup-tolerant genetically modified maize“ erschien der Artikel in nur geringfügig veränderter Form nun in Environmental Sciences Europe (ESEU), einem Open Access - Journal aus dem Hause Springer.

Da fasst man sich ans Hirn. Food and Chemical Toxicology hat die Arbeit ja nicht aus Jux zurückgezogen, sondern wegen schwerwiegender methodischer Probleme. Brisant und emotional aufgeladen ist die Affäre vor allem deshalb, weil Séralinis Arbeit als Indiz für die angebliche Gefährlichkeit gentechnisch veränderter Nahrungsmittel herumgereicht wurde und wird. ESEU setzt sich mit der Wieder-Veröffentlichung mit voller Absicht in ein Wespennest. Wieso nur? Der Sinn des ungewöhnlichen Vorgangs sei es, eine rationale Diskussion über die Arbeit zuzulassen, erklärt ESEU-Editor Winfried Schröder (Professor für Landschaftsökologie an der Universität Vechta) in einem Vorspann zum Artikel.

Obskures Blättchen

Aber der tatsächliche Effekt der Aktion ist, dass eine weithin diskreditierte Studie wissenschaftlich anmutende Reputation zurück bekommt – auch wenn das in Deutschland verwurzelte Journal  Environmental Sciences Europe recht obskur ist. ESEU wurde 1989 unter dem Titel „Umweltwissenschaften und Schadstoff-Forschung“ gegründet und hat laut Marcel Kuntz (CNRS, Universität Grenoble) und Kevin Folta (University of Florida) schon zuvor teils wenig rigorose Arbeiten diverser Anti-Gentechnik-Aktivisten veröffentlicht (siehe hier). Die Artikel in ESEU werden zudem kaum zitiert, nach Schätzung des Blogs Retraction Watch käme das Blättchen auf einen Impact Factor von etwa 0,55, wenn es denn bei Thomson Reuters gelistet wäre.

Aber zurück zum Paper selbst: Worum ging es nochmal in der Skandal-Studie? Und bringt die jetzt veröffentlichte, revidierte Version vielleicht doch neue Erkenntnisse? Séralini, Professor an der Universität Caen und Mitgründer der Gentechnik-kritischen Organisation CRIIGEN, beschreibt darin Versuche an Ratten, die mit gentechnisch verändertem Mais der Sorte NK603 gefüttert wurden. NK603-Mais ist tolerant gegen Monsantos „Roundup“-Herbizid, das den Wirkstoff Glyphosat enthält.

Tumor-anfällige Ratten

Laut Séralini et al. starben in der mit NK603-Mais gefütterten Gruppe mehr Ratten vorzeitig (also nicht altersbedingt) als in den sehr kleinen Kontrollgruppen. Mit Gusto brachte Séralini Bilder der an Tumoren verendeten Ratten in der Arbeit unter.

Das Problem: Die Daten sind laut überwiegender Experten-Meinung äußerst schwach. Laborratten des verwendeten Stammes (Sprague-Dawley) neigen grundsätzlich vermehrt zu Tumorbildung und für statistisch tragfähige Schlussfolgerungen war die Studie zu klein angelegt. Noch dazu zeigen die Daten keine Dosis-Wirkungs-Beziehung, wie man es von einer Toxizitäts-Studie erwarten dürfte.

Das Editorial Board von Food and Chemical Toxicology kam nach langem Hin und Her  zum Schluss, dass die Arbeit aufgrund ihrer methodischen Schwächen und der nicht haltbaren Schlussfolgerungen zurückgezogen werden müsse – allerdings mit kniffliger Begründung, denn Fehlverhalten konnte man Séralini nicht nachweisen (siehe z.B. diesen Beitrag bei Retraction Watch).

Hat das ein Statistiker gesehen?

Experten-Stimmen, die das britische „Science Media Centre“ gesammelt hat, sind jedenfalls nach wie vor keineswegs überzeugt, dass die jetzt in ESEU vorgelegte, nur leicht revidierte Arbeit einen Platz in der wissenschaftlichen Literatur verdient hätte.

Beispielsweise sagt David Spiegelhalter, Professor für „Public Understanding of Risk“ an der Universität Cambridge: „Der Artikel hat offenbar immer noch keinen ordentlichen Review durch einen Statistiker durchlaufen. Die behaupteten Effekte zeigen keine Dosis-Wirkungs-Beziehung. Die Schlussfolgerungen beruhen daher alleine auf einem Vergleich mit 10 Kontrolltieren beiderlei Geschlechts. Das ist unzureichend.“ (Übersetzung Laborjournal, englisches Original-Zitat und Stimmen anderer Experten hier).

Das Zombie-Paper erweckt wahrscheinlich eine eigentlich abschließend geführte Diskussion zu neuem Leben. ESEU gab Séralini auch noch Raum für einen begleitenden Kommentar, in dem er kräftig gegen seine Kritiker austeilt. Die nächste Runde im Kampf um die Meinungshoheit ist eröffnet.

 

 

Hans Zauner


Abb.: © Lonely - Fotolia.com

Weitere Quellen:

Bericht bei Nature News 

Bericht im Magazin Forbes

Blog-Post von Kevin Folta




Letzte Änderungen: 14.08.2014