Editorial

"Kinder, heute reden wir über Evolution!"

(6. August 2014) Der AK Evolutionsbiologie des Vbio setzt sich zusammen mit der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) für Evolutionsbiologie an der Grundschule ein. Wieso kommt Evolution dort heute kaum vor? Religiöse Einflüsse sind nicht schuld, meint Brynja Adam-Radmanic.
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In deutschen Schulen steht die Evolutionsbiologie in der Regel erst in der 8. Klasse auf dem Lehrplan. Das ist ein ungünstiger Zeitpunkt für eine erste Berührung mit der Geschichte des Lebens auf der Erde. Ist doch der Sinn des durchschnittlichen Pubertierenden für das Staunen und Wissen-Wollen deutlich geringer ausgeprägt als der von Kindern in der Grundschulzeit, die sich noch sehr für Dinosaurier und Fossilien begeistern können.

Es wäre also sinnvoll, die Vermittlung zumindest eines ersten Eindrucks in die Grundschule zu verlegen. Warum also wurde das bisher nicht gemacht?

Wenn man sich anschaut, wer im Projekt "Evokids" zusammengefunden hat um sich dafür einzusetzen, endlich ein wenig Erdgeschichte und Evolution in die Curricula des Sachkunde-Unterrichts zu bringen, muss man den Eindruck bekommen, es wäre die Religion, die die Lehre von der Evolution an Grundschulen bisher verhindert hat.

Die Säkularisierer

Denn die gbs ist eine Stiftung, für die religiöse Weltbilder auch heute noch das Haupthindernis für den Erfolg von Humanismus und Aufklärung darstellt und die daher offensiv für ein rein naturalistisches Weltbild wirbt.

Und auch der AK Evolutionsbiologie des Vbio versteht sich explizit als Organ des Anti-Kreationismus, der die Evolutionstheorie gegen Angriffe von religiöser Seite verteidigt und etwa darüber aufklärt, warum es sich bei den Erklärungen der Anhänger von Intelligent Design um pseudowissenschaftliche Fehldeutungen evolutionsbiologischer Befunde handelt.

Fraglos ist die Arbeit des AK Evolutionbiologie wichtig, um kreationistische Umtriebe in Deutschland im Auge zu behalten und ein Gegengewicht zu schaffen zu evangelikal geprägten Informationsangeboten. Eine genauso wichtige Aufgabe erfüllt die gbs, wenn sie die oft weitreichenden Einflüsse der Kirchen immer wieder in Frage stellt.

Aber: Würden die beiden Organisationen hauptsächlich religiöse Einflüsse für das Fehlen der Evolution in Grundschulen verantwortlich sehen, wäre das irreführend.

Das Erbe Piagets

Zum einen fehlten bis vor kurzem ja nicht nur Schöpfungskonkurrenz-Themen vom Urknall über die Entstehung der Erde bis zur Entwicklung des Lebens, sondern eigentlich so gut wie alles Naturwissenschaftliche, was über das reine Kennen der heimischen Flora und Fauna hinausgeht. Und das schlicht und einfach, weil so gut wie alles davon bis vor kurzem für Kinder unter 12 Jahren als zu abstrakt galt.

Erst seit wenigen Jahren setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass der Entwicklungspsychologe Jean Piaget, von dem diese Einschätzung stammte, unrecht hatte. Seither wird in immer mehr Kindergärten und Grundschulen das eigenes Experimentieren mit chemischen und physikalischen Phänomenen gefördert. Viele Initiativen bieten inzwischen Erzieher- und Lehrer-Fortbildung in diesem Bereich an, wie das Haus der kleinen Forscher oder Science-Lab.

Es ist zwar richtig, dass die geschichtlichen Themen der Naturwissenschaft von dieser neuen Welle, Naturwissenschaft in die frühe Bildung zu bringen, bisher noch nicht erfasst wurden. Aber auch dafür gibt es prosaische Gründe. Dass sie es noch nicht in die neuen Bildungspläne geschafft haben, könnte zum einen daran liegen, dass diese Themen auch an den Unis traditionell viel mehr in der Astronomie und der Geologie zu Hause sind als in den Schulfächern Physik, Chemie und Biologie.

Die Schatten der deutschen Geschichte

Im Falle der Evolutionsbiologie gibt es aber auch einen hemmenden Einfluss der deutschen Geschichte. Der Missbrauch und die ideologische Verzerrung des Fachs durch die Nazis machte einen neutralen Zugang dazu nach 1945 lange unmöglich, wovon sich die Evolutionsbiologie auch an den Unis ja bis heute noch nicht erholt hat.

Während die Evolutionsbiologie in anderen Ländern ein blühendes Fachgebiet innerhalb der Biologie ist, ist sie an deutschen Universitäten in Forschung und Lehre so unterrepräsentiert, dass immer noch hunderte Biologen jedes Jahr ihre Ausbildung abschließen, ohne jemals auch nur eine Vorlesung mit diesem Titel gehört zu haben.

In den letzten zehn Jahren hat deshalb etwa die Volkswagenstiftung mit ihrer Förderinitiative "Evolutionsbiologie" rund 20 Mio. Euro in Projekte gesteckt, die helfen sollten, das Forschungsgebiet überhaupt wieder in der deutschen Wissenschaftslandschaft zu verankern. Dieser Tage zieht die Stiftung in einem Abschluss-Symposium Bilanz und meldet an Erfolgen u.a. die Einrichtung von vier universitären Ausbildungskonzepten an deutschen Hochschulen.

"Wer nur einen Hammer hat, für den sieht jedes Problem wie ein Nagel aus."

Dass Evolution in deutschen Schulen bisher erst so spät gelehrt wird, ist durchaus ein Missstand. Aber bestimmt keiner, den man primär mit dem Einfluss von Glaubensgemeinschaften in Zusammenhang bringen könnte. Zumindest gibt es Gründe, die schwerer wiegen.

Trotzdem steht in Presseberichten über das "Evokids"-Projekt die Dichotomie Schöpfung-Evolution im Vordergrund. Der inzwischen 91-jährige Kinderbuchautor Max Kruse, der das Projekt unterstützt und sogar letztes Jahr passend dazu einen neuen Urmel-Band vorlegte, sagte in einem Interview mit der Welt, er sehe das Buch als einen Beitrag zur Aufklärung. Denn "mit Sorge, ja, mit Entsetzen [muss ich] feststellen, wie Fanatismus und Irrationalismen die Segnungen der Aufklärung, die leider noch lange nicht zu Ende ist, Tag für Tag zunichtemachen." (Quelle hier)

Und auch in einem Beitrag der Süddeutschen Zeitung, "Wenn Schöpfung, dann auch Evolution",  wird Evolution als wichtiger Baustein eines modernen, aufgeklärten Weltbildes dargestellt, das gegenüber religiösen Weltbildern benachteiligt ist, die in der Grundschule gelehrt werden.

Weil das zumindest das Vorurteil nährt, die Religion sei irgendwie schuld an der Verzögerung bei der Vermittlung von Evolution in der Schule, ist leiser Zweifel angebracht, ob die Initiatoren des AK Evolutionsbiologie und der gbs ausreichend vermitteln und selbst im Hinterkopf behalten, dass das Problem fehlenden Evolutionsunterrichts vor allem nicht-religiöse Ursachen hat.

Es ist ja in der Auseinandersetzung mit Lehrern und den Gestaltern der Sachkunde-Curricula durchaus ein Unterschied, ob mögliche Widerstände gegen Evolutionsthemen in der Grundschule auf religiösem Empfinden beruhen oder "nur" auf einem veralteten Pädagogik-Verständnis, das viele Themen noch als zu abstrakt einschätzt. Oder ob das Evolutionsthema sogar deswegen von manchen Pädagogen als problematisch empfunden wird, weil es an den unrühmlichen Sozialdarwinismus erinnert.

 

Brynja Adam-Radmanic

 

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Letzte Änderungen: 01.09.2014