Editorial

Berührungsloses Schunkeln

(11. August 2014) Die Flagellen der koloniebildenden Alge Volvox bewegen sich in harmonischem Gleichklang. Wie stimmen die Anhängsel ihre Bewegungen aufeinander ab?
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Es gibt Fragen, die lassen Biologen über Jahrzehnte nicht los. Es ist vielleicht mal ein paar Jahre still, aber früher oder später geht eine neue Forscher-Generation das Thema erneut an, mit frischen Ansätzen und ausgereifterer Technik.

Die koordinierte Bewegung der Zilien und Flagellen eukaryotischer Zellen ist so ein Dauerbrenner. Denn schon frühe Beobachter entdeckten beim Blick durch das Lichtmikroskop eine faszinierende Eigenschaft dieser beweglichen Anhängsel, die beispielsweise die Oberfläche der Kolonie-bildenden Alge Volvox bedecken: Harmonisch wie Weizen im Wind bewegen sich die Zilienfelder.

Die aufeinander abgestimmten Bewegungen der Geißeln ermöglicht nicht nur der vielzelligen Volvox eine gerichtete Fortbewegung. Für den Transport des Mucus auf Säugerepithelien ist die gleichgerichtete Zilienbewegung ebenso wichtig wie in der Embryonalentwicklung, während der Zilien Signalmoleküle verteilen und Botenstoff-Gradienten erzeugen.

Molekularbiologisch stecken Dynein-Motoren hinter den Bewegungen der Zilien und der (eukaryotischen) Flagellen, die beide aus Microtubuli aufgebaut sind. Aber wie entsteht das eindrucksvolle Muster der harmonischen Bewegung eines ganzen Zilien-Feldes? Welcher Art ist der Taktgeber für das rhythmische Schlagen? Elektrisch? Chemisch? Molekularbiologische Signalketten? In all diese Richtungen wurde über Jahrzehnte gedacht, aber schon Experimente aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts deuteten auf einen einfacheren Mechanismus hin.

Lord Rothschild beobachtete damals die Bewegungen von Spermien und stellte erstaunt fest, dass sich die Flagellen der männlichen Keimzellen im Gleichklang bewegen, sobald sie einander sehr nahe kommen. Seine Idee: Könnte alleine die Hydrodynamik, also die über die flüssige Umgebung übertragenen Kräfte, die Synchronisierung der Geißeln erklären?

In den letzten 60 Jahren erschienen diverse weitere Experimente zu dieser Frage, aber so rigoros wie kürzlich Douglas Brumley und Kollegen hat zuvor noch niemand die Hypothese getestet (siehe diese Arbeit im Journal eLife (2014;3:e02750) und den begleitenden Kommentar).

Die britischen Forscher isolierten je zwei Volvox -Zellen samt Flagellum und fixierten diese einzeln an der Spitze einer Mikropipette. Sie variierten systematisch den Abstand zwischen den Flagellen und zeichneten die Bewegungen und Schlagfrequenzen auf.

Das Ergebnis des Versuchs: Sind die Flagellen weit voneinander entfernt, so schlagen sie unkoordiniert in ihrem eigenen Rhythmus. Aber sobald sie sich im Abstand von etwa 10 µm voneinander befinden, wiegen sie sich im harmonischen Gleichklang. In diesem Experiment  besteht die einzige Kommunikationsmöglichkeit über hydrodynamische Kräfte. Molekularbiologische oder chemische Signale lässt der Versuchsaufbau nicht zu, und die Flagellen können sich auch nicht direkt berühren.

Der Vergleich der Daten mit einem mathematischen Modell bestätigt dann auch, dass in der Tat hydrodynamische Kopplung das Phänomen erklärt.

Ein erstaunliches Beispiel für physikalische Selbstorganisation in einem biologischen System. Nicht alle Antworten stecken also in Genen und Signalketten. Interessant wird es allerdings, wenn man die Frage untersucht, wie so ein Zilienfeld insgesamt gesteuert wird, wenn beispielsweise ein Pantoffeltierchen die Richtung wechselt. Hier geht es dann doch nicht ohne übergeordnete Steuermechanismen.

 

Hans Zauner

Abb: Brumley et al, eLife 2014;3:e02750, creative commons



Letzte Änderungen: 01.09.2014