Editorial

Vetternwirtschaft oder Dual Career?

(21. August 2014) „Dual Career“: Hinter diesem vornehmen Anglizismus vermuten manche schlicht Vetternwirtschaft. Wie auch immer: Wissenschaftlerpaare haben es schwer. Die Forschung sollte aber nicht auf sie verzichten.
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Report Mainz und Der Spiegel haben die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ins Visier genommen. Um die zahlreichen, oft Jahre zurückliegenden Vorwürfe rund um Geldverschwendung und Kungelei soll es hier nicht gehen (nur soviel: die MPG hat ausführlich geantwortet). Aber zumindest ein Nebenaspekt der Reportage verdient schon einen zweiten Blick: Wie gehen Forschungseinrichtungen mit dem sogenannten „Zweikörperproblem“ um, also mit Wissenschaftlerpaaren, die am selben Ort eine Anstellung suchen?

Konkret berichten Spiegel und Report Mainz unter anderem über einen Institutsdirektor (und ehemaligen Präsidenten der MPG), dessen Ehefrau an der gleichen Dienststelle beschäftigt wurde. Die Autoren der Reportage wittern Vetternwirtschaft.

Familienfreundliche Regelung oder Vetternwirtschaft?

Der Hinweis der MPG, dass es im Sinne der Familienfreundlichkeit durchaus gewollt sei, Partnern zu qualifizierten Jobs vor Ort zu verhelfen (solange sich Verwandte nicht direkt unterstellt sind), wird im Fernsehbeitrag süffisant kommentiert. Das ärgert nicht nur den Physiker und Blogger Markus Pössel (selbst Angestellter am MPI für Astronomie in Heidelberg). Eine „Frechheit“ sei es, diese Einstellungspolitik mit Vetternwirtschaft gleichzusetzen. Die Autoren versuchen an besagter Stelle der ARD-Reportage tatsächlich, aus einer im Prinzip zeitgemäßen Dual Career - Regelung einen großen Aufreger zu machen.

Die MPG nennt in ihrer Antwort eine interessante Zahl: In den vergangenen zwölf Jahren hätten 162 Wissenschaftliche Mitglieder ihre Tätigkeit in der Max-Planck-Gesellschaft aufgenommen. In 29 Fällen konnten der MPG zufolge auch „berufliche Optionen für deren Partner am Wohnort geschaffen werden“.

Ob und wie solche Dual Career - Maßnahmen an Universitäten und Forschungsinstituten zum Einsatz kommen (sollen), ist aber dennoch eine Diskussion wert – unabhängig von den konkreten Fällen, die vielleicht etwas übereifrige Reporter ausgegraben haben.

Keine Chance bei "normalen" Bewerbungswegen

Kein Zweifel, Wissenschaftler-Paare, erst recht solche mit Kindern, haben es unendlich schwer, wenn beide ihre Karriere vorantreiben wollen. Schon alleinstehende, grenzenlos flexible  Wissenschaftler finden jenseits der Postdoc-Phase oft kaum offene Stellen. Regelmäßig ist mit einem Karriereschritt ein Umzug verbunden, das bringt die hohe Spezialisierung mit sich.

Wenn also – erfundenes Beispiel – die Frau eine Expertin für die klinische Anwendung der EPR-Spektroskopie zur Untersuchung pathogener Mikroorganismen ist und der Mann eine Autorität für die molekulare Phylogenie mittelamerikanischer Schmetterlinge: Wie zum Himmel sollen die beiden auf normalen Bewerbungs-Wegen jemals eine berufliche Zukunft am selben Ort zimmern?

Dual Career - Programme wie das der MPG wollen Paaren und Familien aus dieser Zwickmühle heraushelfen – durch Beratung, aber eben auch durch speziell für diese Fälle geschaffene Möglichkeiten, Stellen flexibel zu besetzen oder neu einzurichten.

In der Praxis läuft es dabei oft so, dass eine Fakultät oder ein Institut eine Person unbedingt haben will und im Verlauf der Bewerbungsverhandlungen eine Stelle für den Partner verspricht. Denn natürlich sind die Dual Career - Optionen nicht das Ergebnis uneigennütziger Familienfreundlichkeit. Vielmehr haben Fakultäten und Institute bei der internationalen Jagd nach den begehrtesten Forschern und Forscherinnen heute keine Chance mehr, wenn sie die Familie der Bewerber ignorieren. Eine Fernbeziehung mit Pendelflügen zwischen Boston und einer deutschen Provinzstadt kann einen Interessenten aus Übersee schon abschrecken – vor allem, wenn der heißbegehrte Kandidat gleichwertige Alternativen hat.

Der Job für den Partner als Teil der Verhandlungsmasse

Insofern ist die „Stelle für den Partner“ oft ein Bestandteil der Verhandlungsmasse in Berufungsgesprächen, um den genauso zäh und trickreich gepokert wird wie um Laborgeräte und Mitarbeiterstellen.

Wer sich als Dekan oder Institutsleiter auf Dual Career-Wege einlässt, befindet sich aber oft auf einem schmalen Grat. Denn üblicherweise gilt das Prinzip der „Bestenauslese“. Es widerspricht diesem Prinzip eigentlich, eine Stelle gezielt für eine Person zu reservieren, vielleicht auf Kosten besser qualifizierter externer Kandidaten. Auch auf persönlicher Ebene mag das forcierte „Unterbringen“ des Partners manchmal einen faden Beigeschmack haben. Den eigenen Job in erster Linie der Position und dem Einfluss des werten Gemahls (oder der Gemahlin) zu verdanken, entspricht nicht unbedingt dem Ideal einer gleichberechtigten Partnerschaft.

Auf der anderen Seite der Waagschale steht aber die drängende Aufgabe, die wissenschaftliche Karriere endlich ein wenig familienfreundlicher zu gestalten. Denn was ist die Alternative zu solchen gezielten Hilfen? Man müsste vielen Forscherpaaren knallhart sagen: Beide könnt ihr nicht in der Wissenschaft bleiben. Und das kann's auch nicht sein. Oft sind beide Partner gleich gut qualifiziert und motiviert – gleich und gleich gesellt sich ja gern. Ein doppelter Verlust also, wenn eine Stellenbesetzung an der familiären Komponente scheitert.

Das Mehrkörperproblem: Unlösbare Gleichungen

Aber selbst wenn die Nachwuchsforscherfamilie die erste Hürde genommen hat, wenn also beide vorerst am gleichen Ort gelandet sind, so ist das Zweikörperproblem damit meist nicht endgültig gelöst. Spätestens wenn das eventuell befristet beschäftigte Jungforscherpaar Kinder bekommt, wird die Gleichung nochmals komplizierter – vielen erscheint sie spätestens dann unlösbar.

Und nach fünf, sechs Jahren geht das Spiel vielleicht von vorne los, sobald der nächste Karriereschritt ansteht. Die Vision der akademischen „Dual Career“ bis zum Rentenalter erscheint geradezu utopisch, wenn man weiß, wie gering die Aussichten sind, auch nur eine einzige  permanente Stelle zu ergattern.

Vetternwirtschaft extrem

Aber um diesen Beitrag nicht allzu pessimistisch zu beenden, sei es zum Schluss ausdrücklich gesagt: Es gibt sie natürlich, die inspirierenden Beispiele erfolgreicher Wissenschaftler-Paare.

Marie und Pierre Curie schaufelten gemeinsam enorme Mengen Pechblende und isolierten daraus  radioaktive Substanzen. Gemeinsam erhielten sie den Nobelpreis für Physik. Klar, die Geschichte ist bekannt. Kaum bekannt dürfte sein, dass die Tochter der beiden, Iréne Joliot-Curie, in die Fußstapfen ihrer Eltern trat – in mehrfacher Hinsicht: Sie wurde Chemikerin und Physikerin, heiratete einen Physiker und forschte mit ihm gemeinsam an künstlicher Radioaktivität. Dass Iréne und Frédéric Joliot-Curie 1935 ebenfalls gemeinsam den Nobelpreis erhielten, war da nur konsequent.

Gleich zwei aufeinanderfolgende Generationen höchst erfolgreicher "Dual Careers“. Vetternwirtschaft extrem. Spiegel und Report Mainz sollten das dringend recherchieren.

 

Hans Zauner


Abb: iStock Photo



Letzte Änderungen: 01.09.2014