Editorial

Die PNAS-Fossilien

(25. September 2014) Für Mitglieder der US-Akademie der Wissenschaften, die die Unwägbarkeiten des Peer Review umgehen wollen, gibt es eine Geheimtür mit der Aufschrift „PNAS“. Leonid Schneider über alte Privilegien und obskure Thesen.
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Das 1914 gegründete Journal “The Proceedings of the National Academy of Sciences, USA”, allseits bekannt als PNAS, akzeptierte Manuskripte lange Zeit ausschließlich über zwei Wege: Zum einen erschienen Artikel, die Mitglieder der US-amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften (NAS) selbst beigesteuert (contributed) hatten. Zum anderen die Arbeiten von Nicht-Mitgliedern, die ein NAS-Member als "würdig" empfohlen (communicated) hatte. Eine für alle Wissenschaftler zugängliche Publikationsschiene über ein Editorial Office, wie bei „normalen“ Journals üblich, führte PNAS erst 1995 ein, unter Chef-Editor Nicholas Cozzarelli. Der communicated track wurde 2010 unter Randy Shekman Geschichte, da sich NAS-Mitglieder zu sehr ärgerten über all die lästigen Anfragen, fremde Papers durchzuschleusen.

Publizieren im Herrenclub

Die Sonderschiene der contributed papers der NAS-Mitglieder ist aber alles andere als abgeschafft und fällt regelmäßig mit problematischen bis bizarren Fällen auf. Damals, 1914, war es wohl verbreitete Meinung, dass Genies und Hochtalentierte (und dazu zählten nach damaliger Auffassung grundsätzlich die NAS-Mitglieder) über den Regeln für Normalsterbliche stünden und ihre Freiheit bräuchten. Heutzutage aber hört sich das PNAS-System wie ein “Herrenclub” an, wie der Biochemiker Steve Caplan in seinem Blog anmerkt.

Die Regeln dieses Clubs: Vier mal pro Jahr hat jeder ehrenwerte NAS-Fellow das Recht, ein Paper „beizutragen“, anstatt es auf dem Weg für weniger privilegierte Autoren an das Redaktionsbüro zu schicken. Der Unterschied: ein Manuskript auf dem contributed track wird sozusagen publikationsreif geliefert, zusammen mit den Gutachten der Fachkollegen also. Für Manuskripte auf dieser Schiene sucht das einreichende NAS-Mitglied nämlich höchstpersönlich „unabhängige“ Gutachter aus – für das eigene Paper, wohlgemerkt.

Die schmeichelhafte Einladung eines NAS-Mitglieds wird wohl fast jeder Wissenschaftler dankbar annehmen. Und sollten die Referee-Berichte doch einmal negativ ausfallen, steht es dem Autor frei, nach eigenem Ermessen weitere Gutachten einzuholen. Der PNAS-Editor bekommt das Manuskript erst zusammen mit den (passenden) Berichten. Bis vor kurzem konnten NAS-Mitglieder im Rahmen eines Vorgangs mit dem Titel "Prearranged Editor" sogar ganz offiziell einen befreundeten NAS-Kollegen als Herausgeber bestellen, der gleichzeitig der einzige Referee war.


Steile Thesen über Homo floresiensis

Der contributed track ist ein sprichwörtliches lebendes Fossil. Neulich aber entbrannte ein Streit um ein tatsächliches Fossilien-Paper, das auf diesem Weg publiziert wurde. Es geht um die im Jahr 2005 entdeckten Überreste des Hominiden Homo floresiensis, bekannt als der Hobbit-Mensch, der noch vor ca. 12.000 Jahren auf der indonesischen Insel Flores lebte. In der Paläontologie ist es oft so: Wer die seltensten und wichtigsten Fossilien (und Hominiden sind immer solche) findet oder behält, hat auch die Publikations- und Interpretationsmacht. Die Kollegen können ja kaum zu Vergleichszwecken mal eben ihre eigenen Hominiden-Fossilien ausbuddeln. Beim Hobbit-Mensch ging der (inzwischen verstorbene) indonesische Paläontologe Teuku Jacob so weit, die Fossilien zu stehlen und für seine Analysen schwer zu beschädigen – um anschließend zu behaupten, H. floresiensis wäre gar keine eigene Hominiden-Art, sondern eine degenerierte Form des H. Sapiens.

Inzwischen ist die ganze Fachwelt weitgehend einig, dass H. floresiensis eine eigene Menschenspezies war, die durch das bekannte Phänomen der Inselverzwergung nur etwas über einen Meter hoch stand und einen kleinen Schädel hatte. Die ganze Fachwelt? Nein, denn eine kleine Gruppe um das greise NAS-Mitglied Kenneth Hsü sieht es anders. Hsü ist ein Hydrologe, von relevanter Expertise ist in der Paläontologie-Fachliteratur nichts bekannt. Stattdessen ist er als Autor wirrer Bücher und Schriften aufgefallen, in denen er die Evolution durch natürliche Auslese grundsätzlich ablehnt.

All dies hat PNAS nicht davon abgehalten, drei Publikationen als contributed paper durchzuwinken, die Hsü zusammen mit seinen Gefährten Maciej Henneberg und Robert Eckhardt verfasst hatte. Nach Mikrozephalie und pathologischem Zwergwachstum bescheinigten die Autoren den fossilen „Patienten“ zuletzt das Down-Syndrom. Eine Behauptung, die in der Fachwelt einen Sturm der Entrüstung auslöste, angesichts der offensichtlichen Schwächen dieser These. Es bleibt abzuwarten, ob die drei bald bei PNAS mit weiteren grund- und haltlosen Theorien zum H. floresiensis aufwarten. Vielleicht war der Hobbit-Mensch ja auch ein gefallener Engel oder gleich ein Außerirdischer?

Retraction bei Cell, Wiederbelebung bei PNAS

Von knöchernen Überresten zurück zu den Fossilien der wissenschaftlichen Literatur. Neulich wurde bei PNAS sogar eine solche Fossilie wiedererweckt, in Form eines Manuskripts auf dem contributed track. Die Autoren Xiang-Dong Fu und Michael Rosenfeld wollten das unfreiwillige Aussterben einer majestätischen Kreatur, nämlich ihres Cell-Papers, nicht tatenlos hinnehmen. Dieses wurde aufgrund verdächtiger Unstimmigkeiten zurückgezogen, kurz nach Erscheinen im Jahr 2008.

Normalerweise ist derart suspekte Ware schlecht zu vermitteln, zumindest an ernsthafte Journals. Zum Glück ist Dr. med. Michael G. Rosenfeld nicht nur ein höchst erfolg- und einflussreicher Forscher, sondern auch ein ehrenwertes Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Zwei Jahre später erschien das ausgestorbene, aber nun erfolgreich geklonte Cell-Paper bei PNAS, contributed by Michael G. Rosenfeld und mit sehr geringfügigen Veränderungen. Den zuständigen PNAS-Editoren und Referees fiel nach einer etwas knapp angesetzten Begutachtung von etwa einer Woche wohl nichts Eigenartiges auf.

Es hört sich beinahe zynisch an: Gleichzeitig werden anderswo, auch bei PNAS, handwerklich und fachlich solide Manuskripte regelmäßig mit dem Verweis auf unzureichenden Neuigkeitswert und fehlenden Impact abgelehnt. Sofort nach dem Erscheinen des Klon-Papers schlugen Fachkollegen um Bas van Steensel in einem Rundbrief Alarm. PNAS musste daraufhin (nach zwei Korrekturen!) eine sogenannte „Expression of Concern“ veröffentlichen. Eine abermalige Retraction des Fu/Rosenfeld-Papers ist wohl zu erwarten.

Weitere Beispiele ließen sich leicht finden. Die Vorteile für die glücklichen Autoren liegen auf der Hand: kaum Begutachtung, dafür aber eine schnelle und karrierefördernde Publikation in einem respektablen Journal mit hohem Impact Factor. Für Forscher ohne einflussreiche NAS-Freunde ist diese Publikationsschiene aber höchst unfair. Wenn darüber hinaus noch Manuskripte von zweifelhafter Qualität durchgewinkt werden, leidet auch die Wissenschaft und ihre Glaubwürdigkeit. PNAS ist schon lange kein Hausmitteilungsblatt der US-Nationalakademie mehr. Schon deshalb gehört das fossile Publikationsprivileg der NAS-Mitglieder endlich abgeschafft. Blöd nur, dass ausgerechnet die NAS-Mitglieder über die Redaktionsrichtlinien der Proceedings entscheiden.

 

Leonid Schneider

 

Foto: © Hans Seidl - Fotolia.com



Letzte Änderungen: 05.11.2014