Editorial

Avatar zu verkaufen

(16. Oktober 2014) Eine amerikanische Firma verpflanzt Tumore von Krebspatienten in Mäuse und macht den Patienten Hoffnung auf eine individuelle Therapie. Klingt interessant, ist aber ein schamloses Geschäftsmodell, meint Leonid Schneider.
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Krebserkrankungen werden oft zu spät entdeckt oder fallen unter eine Kategorie, für die es kaum effiziente Behandlungsansätze gibt. Schon deswegen ist es verständlich, dass viele Krebspatienten sich an jede Hoffnung auf alternative oder neuartige Therapien klammern.  Scharlatane nutzen schamlos die Verzweiflung der Erkrankten aus, um sich mit gänzlich wirkungslosen Heilsversprechungen zu bereichern. Leider neigen auch Ärzte und Wissenschaftler dazu, schwerkranken Krebspatienten falsche oder unpassende, aber teure Therapien anzudrehen, oft aus rein finanziellem Interesse.

Die Firma Champions Oncology aus Baltimore, USA, verkauft Krebserkrankten eine eigenartige Leistung: Die Tumore der Erkrankten sollen in Mäuse verpflanzt werden. Mit der Idee, dass verschiedene medizinische Behandlungsmethoden an diesen „Avataren“ getestet werden, bevor man mit der passenden Therapie das Leben des zahlenden Patienten retten kann. Diese sogenannte Xenotransplantation ist an sich nicht neuartig. Es gibt bereits viele Ansätze, bei denen frisch präparierte Patiententumore in den sogenannten patient-derived xenograft (PDX)- Mäusen „kultiviert“ werden.

Maus mit individualisiertem Tumor

Der Hintergedanke: jede Krebserkrankung ist einzigartig und kann nicht ausschließlich über einen Gendefekt oder die Abstammung aus Gewebe wie Blut, Darm oder Prostata definiert werden. Vielmehr hat man es bei jedem einzelnen Patienten mit einem individuellen Tumor zu tun. Die Zeiten, zu denen man Medikamente und Behandlungsmethoden auf einigen wenigen, jahrzehntealten Krebszelllinien in der Petrischale testete, sind lange vorbei. Heutzutage wird in der klinischen Forschung entweder mit Primärtumorgeweben oder mit Xenograften gearbeitet.

Bei letzteren injiziert man menschliche Krebszellen in Mäuse, die dann einen Tumor bilden, an dem die jeweilige Therapie getestet werden kann. Die PDX-Technologie kombiniert beide Ansätze: der primäre Patiententumor wird für ein individuelles Xenograft-Mausmodell verwendet.

Inzwischen existieren viele solche PDX-Mauslinien, die größten Anbieter sind die weltbekannten Maus-Züchter des Jackson Laboratory. Aber auch Pharmafirmen besitzen eigene PDX-Mausstämme, um ihre neuesten Krebsmedikamente und Therapien daran zu testen. Auch in Deutschland findet man über eine schnelle Google-Suche leicht PDX-Maus-Händler.

Was das Geschäftsmodell von Champions Oncology, gegründet von den zwei Baltimorer Onkologen David Sidransky und Manuel Hidalgo, einzigartig macht, ist also nicht die Technologie. Anders als das Jackson Laboratory und andere PDX-Hersteller, die ausschließlich für die Pharmaindustrie und forschende Kliniken tätig werden, produziert Champions Oncology die PDX-Mäuse nicht auf eigene Kosten aus Patientenmaterial, sondern lässt die Krebserkrankten die teure Herstellung finanzieren.

Mit dem letzten Geld etwas Hoffnung kaufen

Die Patienten kaufen sich dafür die Hoffnung, doch noch eine wirksame Therapie gegen ihre tödlichen Tumore zu finden. Die Firmen-„Kunden“ sind oft im Endstadium ihrer Krankheit, wie Alan Stoller, um den es in diesem Science-Artikel geht, und bereit, ihr letztes Geld für eine Therapiehoffnung auszugeben. Alan Stoller ist leider an seiner aggressiven Krebserkrankung gestorben, trotz den Versprechungen von Champions Oncology, an die er und seine Familie sich bis zuletzt klammerten. Denn die objektive Wahrheit ist: Die Firma aus Baltimore hat nun mal keine realistischen Hoffnungen auf Heilung anzubieten.

Der klinische Forschungsansatz der PDX-Mäuse ist recht neu. Verlässliche Durchbrüche bei der Krebstherapie sind zwar prinzipiell möglich, aber noch weit entfernt. Viel zu weit, um den heute Krebskranken nützlich zu sein. Die PDX-Maus ist auch kein richtiger Avatar des jeweiligen Krebskranken, nicht nur weil es eine andere Spezies ist. Denn auch die Xenograft-Tumore sind bei weitem nicht den Ursprungstumoren gleichwertig.

Unter die Haut

Zunächst einmal lässt sich nicht jedes Tumorgewebe in Kultur bringen und als Xenograft transplantieren. Champions Oncology scheitert daran nach eigenem Bekunden bei knapp einem Drittel der „Kunden“. Aber selbst bei kultivierungsfähigen Tumoren werden die meisten Xenografte subkutan injiziert. Die früheren Brust- und Blasentumore wachsen also nun direkt unter der Haut der Mäuse. Wichtig ist zudem, dass die Mausstämme, die für PDX verwendet werden, kein funktionierendes Abwehrsystem haben. Wenn diese Mäuse nicht immundefizient wären, würde deren Immunsystem sämtliche injizierten Tumorzellen sofort vernichten, alleine schon weil sie aus einer anderen Spezies, also dem Menschen, stammten.

Ein Patiententumor hatte sich aber jahre- oder gar jahrzehntelang gegen das „Wirt“-Immunsystem behauptet. In dessen Abwesenheit, wie beispielsweise in einem Xenograft-Modell, verändert sich schlagartig die Krebs-Zellteilungsrate und die Beschaffenheit des Tumors. Der Firmengründer Hidalgo gibt auch zu, dass dies ein wichtiger Mangel wäre, und verspricht den zukünftigen Einsatz von Tieren mit humanisierten Immunsystem. Nun ist  dieser Ansatz der „Vermenschlichung“, indem man immundefizienten Tieren entweder menschliche Gene oder menschliche Blutstammzellen zur Repopulation transferiert, ebenfalls noch im relativen Frühstadium und weit vom klinischen Einsatz entfernt.

Die PDX-Mäuse, selbst wenn sie das humanisierte Immunsystem bekämen, wären dann immer noch das jeweils modernste Testsystem für die Grundlagenforschung. Mit der lebensrettenden klinischen Anwendung, dazu noch direkt einsetzbar für den betroffenen Tumorgewebe-Spender, hat das Ganze eigentlich wenig zu tun. Die PDX-Mausmodelle sind einfach ein weiteres Werkzeug, um Biologie von Krebszellen besser verstehen zu können, damit zukünftige Krebspatienten davon profitieren können. Patienten im Endstadium mit dieser klinisch unreifen Methode Hoffnung zu machen, und gleichzeitig Geld abzukassieren, ist höchst unverantwortlich.

2500 Dollar pro Test am Avatar

Champions Oncology berechnet zunächst mal eben 2000 Dollar für die PDX-Maus-Herstellung, und bis dahin verstirbt ein Großteil der schwerkranken zahlenden „Kunden“ laut Firmenangaben. Wenn man aber nach vier Monaten der PDX-Etablierung noch am Leben ist, können die Krebskranken sich dann mit 2500 Dollar pro Medikamenten- und Behandlungstest beteiligen. Und es gibt viele mögliche Therapieansätze.

Wem das Geld zu schnell ausgeht, kann sich dann wohl selbst die Schuld geben, kurz vor der (angeblichen) Rettung finanziell versagt zu haben. Dafür hat Champions Oncology neue PDX-Mausmodelle erhalten, die die Firma dann noch mal gewinnbringend an die forschende Pharmaindustrie und Kliniken verkaufen kann – bezahlt wurden die PDX-Mäuse aber mit der kräftigen finanziellen Unterstützung verzweifelter Patienten.

Klingt zynisch und schamlos, und ist auch so.

 

Leonid Schneider


Illustration: © Vera Kuttelvaserova - Fotolia.com



Letzte Änderungen: 05.11.2014