Editorial

Mildernde Umstände

(4.11.2014) Als frisch gebackener Professor muss man sich nicht nur um Forschung und deren Verwaltung kümmern, sondern auch um die menschliche Seite der Laborbewohner. Überraschungen inklusive. Ein fiktiver Bericht aus dem wahren Leben.
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Eva gab ihm Rätsel auf. Seit zwei Jahren war sie nun schon seine Doktorandin. Und bisher lief alles gut. Aber in letzter Zeit hat sie sich verändert, und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Wieder so eine Situation, die er hasste. Auf das Doktorvater-Sein hatte ihn niemand vorbereitet. Er hatte den Lehrstuhl vor drei Jahren ergattert, weil er damals diese aufregende Entdeckung gemacht hatte. Und nicht deshalb, weil er besonders begabt wäre, eine Arbeitsgruppe zu leiten und Mitarbeiter zu managen. Deshalb auch seine Unsicherheit, wann immer es Zoff in seinem Labor gibt. Und Zoff gibt es öfter als ihm lieb ist, er hatte da schon einiges erlebt in den paar Jahren als Chef. Tränen flossen, Türen knallten, böse Emails sausten hin und her. Er versuchte meist, sich soweit wie möglich herauszuhalten und sich auf seine Forschung zu konzentrieren, damit kannte er sich wenigstens aus.

Aber die Sache mit Eva lag anders, schließlich arbeitete sie seit zwei Jahren an seinem Lieblingsprojekt. Und bisher war auch alles gut, er ist zufrieden mit ihrer Arbeit, auch wenn natürlich nicht alles so geklappt hat, wie sie es sich zu Beginn des Projekts vorgestellt hatten. Aber in letzter Zeit kommt die sonst so zuverlässige und fleißige Eva regelmäßig erst am späten Vormittag ins Labor. Oft verschwindet sie auch plötzlich. „Wo ist Eva“ ist eine der am häufigsten gestellten Fragen in seinem Labor. Neulich rannte sie sogar einfach aus einem Seminar, ohne Erklärung. Nicht, dass er ihr hinterherspionieren wollte. Er hatte sich fest vorgenommen, damals, als er die Stelle angetreten hatte, ein besserer Chef zu sein als die Sklaventreiber und Kontrollfreaks, die er im Laufe seiner Karriere erdulden musste.

Aber trotzdem muss er ja dafür sorgen, dass aus den Projekten was wird, dass seine Mitarbeiter dran bleiben und motiviert sind. Und Sorgen macht er sich auch um Eva. Blass sieht sie aus. Ist sie etwa krank? Schon seit Wochen? Oder nur überarbeitet?

Auch die anderen Mitarbeiter aus seinem Labor berichten Seltsames: Neulich habe sie den Hiwi zur Sau gemacht, nur weil der für ein paar Minuten das Ethidiumbromid-gefärbte Gel auf ihrer Bench zwischengelagert hatte. Klar, macht man nicht, aber dass sie deshalb gleich so ausflippt? Auch nicht ihre Art, eigentlich.

Aber das Fass zum Überlaufen brachte ein Gespräch auf dem Gang. Er hatte seine Doktorandin doch nur daran erinnert, dass das lange geplante Experiment mit dem P-32-markierten Protein dringend gemacht werden muss, gleich diese Woche, denn die Kollegen aus Übersee brauchen die Daten schnellstmöglich für eine Publikation. Und Eva wird da auch drauf stehen, das ist doch wichtig.

Und Eva? Hat sich glatt geweigert. „Nein, das passt mir gerade gar nicht“, sagte sie und lief rot an. „Kann das nicht der Robert machen? Ich hab' ihn schon gefragt, er schiebt es morgen gleich ein“. Da ist dem Prof der Kragen geplatzt. Ausgerechnet Robert, der gutmütige Postdoc, der nahe am Nervenzusammenbruch ist und jeden Tag bis Mitternacht ranklotzt, weil seine Finanzierung in zwei Monaten ausläuft. Der soll jetzt auch noch für Madame Doktorandin die Arbeiten im Radioaktivraum machen, weil sich Madame Doktorandin dafür zu fein ist? „Nix da“, hat der Professor nur gesagt. „Deine Experimente für deine Diss machst du mal schön selbst. Wo kämen wir denn hin?“

Gut, er war vielleicht ein wenig laut und ein wenig grob. Aber er hat sich halt so geärgert. Dass sie deshalb gleich heulend zur Toilette rennt, das ist schon ein wenig überzogen, dachte der Prof, schüttelte den Kopf und verkroch sich in sein Büro.

Er hat Eva dann für ein Gespräch einbestellt. Vielleicht will sie einfach nicht mehr, ausgebrannt zur Halbzeit der Doktorarbeit, das soll vorkommen. Aber motivierte Studenten gibt’s genug, es geht nicht an, das sie hier anderen den Platz wegnimmt und alles hängen lässt – so überlegte der Prof. Aber schade ist es schon, er hatte große Hoffnungen in sie gesetzt. Wenn er nur wüsste, was plötzlich in sie gefahren ist.

Es klopft, Eva steckt erst den Kopf durch die Tür und schlüpft dann zaghaft hinein. Sie zittert ein wenig. Oh weh, denkt der Prof, jetzt wird sie kündigen. Ein Kloß formt sich in seinem Hals.

„Chef“, sagt sie leise. „Chef. Ich bin schwanger.“

 

Hans Zauner


Illustration: © Lisa F. Young / Fotolia



Letzte Änderungen: 05.11.2014