Editorial

Endspurt

(25.11.2014) Selten entspricht das Budget eines Labors den tatsächlichen Bedürfnissen. Während die einen am Jahresende darben, wissen andere nicht wohin mit der Kohle. Zwei beinahe (!?) aus dem Leben gegriffene Beispiele.
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Nennen wir sie einfach mal Labor A und Labor B. Labor A ist Mitte November pleite, der Kauf einiger Großgeräte im Sommer hat das Budget arg strapaziert. Nicht nur das, das ganze Institut hat auch kaum noch Bares in der Kasse. Ab Januar sind die Konten wieder voll, aber bis dahin sind noch ein paar Wochen zu überbrücken.

Der Professor von Labor A reagiert deshalb zunehmend gereizt auf Sätze, die mit „Wir brauchen aber dringend...“ anfangen, denn außer „Wir haben aber kein Geld!!“ fällt ihm dazu nichts ein.

Am Morgen nach der Fachschafts-Party hat der Diplomand dann auch noch den gesamten Vorrat an Polymerase- und Restriktionsenzymen in den Müll geworfen. Benebelt vom Restalkohol, hat er die wertvollen Enzym-Schachteln mit seinen alten Boxen voller missglückter Versuche verwechselt, die er zum Jahresende feierlich entsorgen wollte. PCRs sind jetzt also auch gestrichen.

In Regalen und Kühlräumen von Labor A herrscht sowieso schon gähnende Leere, ein paar traurige Flüssigkeits-Reste schwimmen in verschmierten Schraubflaschen, und nur noch ein einzelnes rosa Eppi in einer staubigen Pappschachtel erinnert an den Sommer, als sich Kits und sündteure Fertig-Gele bis unter die Decke gestapelt hatten. Nicht nur der Chef fragt sich angesichts des traurigen Anblicks, wo denn der in Publikationen messbare Gegenwert für all das verbrauchte Zeug geblieben ist.

Die Glühbirnen in den Mikroskopen: durchgebrannt. Der Pipettierrobotor: defekt. Die Stickstoffflaschen: leer.

In einem Akt der Verzweiflung wirft sich der Doktorand auf den Boden und stochert mit einem Besenstiel unter den Schränken – da hinten blitzt etwas, ist das vielleicht noch ein heruntergefallenes Polymerase-Eppi von letzter Woche?

Eine brenzlige Situation...

Seine Kollegen versuchen derweil, die Zeit sinnvoll zu nutzen und ein paar Artikel auszudrucken. „Bitte Papier einlegen“, sagt der Drucker, aber Papier ist nicht mehr zu finden. Nirgends. Immerhin hat sich das Nachbarlabor der brenzligen Toiletten-Situation erbarmt und einige Rollen vierlagigen Zellstoff spendiert. Wenn keiner damit Unsinn macht, sollte es bis Weihnachten reichen.

Draußen wird es jeden Tag kälter und dunkler und eine tiefe Depression legt sich über das Labor. Die Sekretärin kratzt mit einem Spatel die letzten Brösel Kaffeepulver auf einen improvisierten Filter, gebastelt aus dem Nachbarlabor-Klopapier. Wenig später fällt die Heizung aus, eine Sparmaßnahme der Institutsleitung. Bibbernd und in Decken gehüllt sitzen die Bewohner von Labor A auf kleinen runden Stühlchen und warten, bis es endlich Weihnachten wird.

Zur gleichen Zeit in Labor B: Der Chef steht unter Strom. Es ist noch Geld in der Kasse, viel Geld, und das muss weg, weg, weg. Denn wenn die Instituts-Bürokraten spitzkriegen, dass Ende Dezember noch ein Batzen Euros übrig ist, gibt's nächstes Jahr weniger. Sparsamkeit ist in dieser ernsten Lage keine Zier.

Also springt der Chef mit Block und Bleistift von Mitarbeiter zu Mitarbeiter. Was brauchst du denn noch? Wolltest du nicht schon immer mal XYZ machen [= diese sündteure neue Methode kennenlernen, für die wir keine rechte Verwendung haben]?

„Haben wir genügend PCR-Maschinen? Ich hab' schon mal drei bestellt, reicht das?“, ruft er im Vorbeihasten der TA zu.

„Äh..Chef... eigentlich machen wir gar nicht mehr soviel PCR, wir haben mehr als genug...“

„Was, wieso das denn? Wieso sagt mir das wieder keiner? Na egal. Einen neuen Satz Pipetten bekommt ihr auch alle. Und die Diplomandin muss umziehen, auf ihre Bench kommt ein neuer Roboter hin.“

„Aber wieso... wofür ..?“

„Ich muss weiter, keine Zeit, keine Zeit, ein Großgeräte-Vertreter aus Mailand wartet in meinem Büro.“

Unter der Last zusammengebrochen

Die Pakete stapeln sich auf dem Flur, aber die TA kommt mit dem Auspacken nicht mehr nach. „Wer hat denn das bestellt?“ wundert sie sich, als sie die vollautomatischen Pipetten mit vergoldeten Griffen aus der Schachtel schüttelt (eine einmalige Jahresschluss-Sonderedition eines bekannten Herstellers). Ein geschickter Budgettrick war es jedenfalls, die italienische Bar-Kaffemaschine (3000 Euro) als „CBE-Synthesis-Device“ zu verbuchen (CBE steht dabei für „Caffeine Based Enrichment“, aber das haben sie nicht dazugeschrieben).

An Arbeit ist nicht mehr zu denken. Denn wie soll man Experimente machen, wenn jeder Quadratzentimeter blockiert ist von Schachteln halb-ausgepackter Geräte, von Styroporchip-Bergen und Knisterfolie? Die TA hat Krämpfe in den Händen vom Ausfüllen der Bestellscheine, der Hausmeister und einer der Postdocs haben sich beide mit Hexenschuss krank gemeldet, nachdem sie die 200-Kilo-Kaffeemaschine auf den Tisch gelupft hatten, und der Hiwi hat eine schwere Bronchitis, seitdem er zwei Stunden im Kühlraum eingesperrt war (die Regale waren unter der Last der Einkäufe zusammengebrochen und haben den Ausgang blockiert).

Schlimmer noch steht es nur um den Chef, der in eine psychologische Krise gerutscht ist. Im Seminar wirkt er fahrig und unkonzentriert, „Kaufen, kaufen, kaufen“ murmelt er immerzu. „Wir müssen es ausgeben. Weg mit dem Scheiß-Geld“.

Aber schließlich legt sich Weihnachtsfrieden auch über Labor B. Bei der Jahresabschlussfeier gibt es ein nettes Feuerchen aus Verpackungspapier, stilvoll entfacht mit hochreinem, unvergälltem Ethanol. Danach dürfen die Neu-Anschaffungen anfangen, Staub anzusetzen.

In beiden Arbeitsgruppen herrscht ab Januar wieder fiskalischer Normalzustand. Und wer weiß, nächstes Jahr sind die Rollen vielleicht vertauscht.

 

Hans Zauner

Illustration: © jr_casas - Fotolia.com



Letzte Änderungen: 26.01.2015