Editorial

Resistenz-Mix macht Pflanzen schwach

(4.1.2015) Pflanzen haben kein adaptives Immunsystem. Dennoch können sie autoimmun-ähnliche Symptome zeigen, wenn inkompatible Gene aufeinandertreffen.
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Wenn das adaptive Immunsystem des Menschen körpereigene Moleküle angreift, sprechen wir von einer Autoimmunerkrankung. Autoimmunität gibt es aber auch in Pflanzen, hier definiert als überschießende Abwehrreaktion in Abwesenheit von tatsächlichen Pathogenen, oder als unangemessen starke Reaktion auf Umweltstress. Man erkennt diesen Prozess an lokal absterbenden Zellen. Solche nekrotischen Reaktionen sind lange bekannt. Man beobachtete sie beispielsweise in den Nachkommen natürlicher und züchterischer Kreuzungen von Weizen, Tomate und Reis. Daher nannte man sie Hybridnekrose oder auch Hybridschwäche.

Die Ursache sind genetische Faktoren, die nicht miteinander kompatibel sind. Diese Inkompatibilität – „negative Epistasis“ in der Fachterminologie – zeigt sich nicht nur in Blattnekrosen, sondern auch in schlechtem Wachstum und mitunter in Letalität. Einzelne Fälle genetischer Inkompatibilität konnten bereits auf Gene zurückgeführt werden. Bei Drosophila beispielsweise sind sich rasch verändernde Gene beteiligt. In Pflanzen hingegen fand man Assoziationen zur Resistenzreaktion.

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Systematische Suche

Mit Einzelfall-Analysen haben sich Forscher aus der Gruppe von Detlef Weigel vom Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie und Kollegen aus verschiedenen Ländern nicht zufrieden gegeben. Sie gingen die Suche nach der Ursache von genetischer Inkompatibilität systematisch an. Will heißen: sie kreuzten 80 Arabidopsis-Varietäten miteinander. Unter Tausenden von Nachkommen fanden sie 141 F1-Pflanzen mit den für die Hybridschwäche typischen Vergilbungen der Blätter. Sieben davon unterzogen sie genetischen und molekularbiologischen Analysen (Cell 2014, Vol. 159, S. 1341-1351).

Der anscheinend für die Kompatibilität zweier Genome besonders kritische Locus DANGEROUS MIX 2 (DM2) enthält einen Cluster hoch variabler Resistenzgene. Aber auch andere DM-Loci befinden sich in Regionen, in denen viele Resistenzgene liegen.

Kirsten Bomblies beschäftigt sich schon länger mit dem Thema. Vor einigen Jahren schied sie aus der Weigel-Gruppe aus und hat seither eine Arbeitsgruppe in Harvard. Dort nahm sie das Gen ACCELERATED DEATH 6 (ACD6) genauer unter die Lupe. Sie und ihre Mitarbeiter fanden verschiedene ACD6-Varianten, deren Kombination in mehr oder weniger stark ausgeprägter Nekrose und reduziertem Wachstum resultiert (PLOS Genetics 10(7) doi:10.1371/journal.pgen.1004459).

Einzeln nützlich, in der Kombination problematisch

Wieso sind Resistenzloci mitunter genetisch inkompatibel, jeder einzelne für sich aber für die Pflanze nützlich? Darüber können die Forscher nur spekulieren. Fakt ist, dass Kombinationen verschiedener Resistenzgenvarianten die Fitness der Pflanzen beeinträchtigen können, wenn sie das Wachstum negativ beeinträchtigen und die Hürde zum Start einer Resistenzreaktion niedriger machen. Ein denkbares Szenario geht so: Der ewige Konflikt zwischen Wirt und Schädling führt dazu, dass Pflanzen sich zwar immer wieder an neue Pathogenvarianten anpassen können, indem sie ihrerseits neue Resistenzgenvarianten ausbilden. Jedoch sind diese neuen Genvarianten nicht unbedingt miteinander kompatibel.

Diese Art der genetischen Inkompatibilität würde auch den Genfluss beeinträchtigen und so letztlich zur Entstehung neuer Arten beitragen. Aber ergibt das Sinn? Gute Frage. Evolutionär ist hohe Resistenz natürlich günstig, Autoimmunität und reduzierte Fitness allerdings nicht.

Folgen für Pflanzenzüchter

Die Botschaft der beiden Arbeiten bedeutet übrigens nichts Gutes für die Landwirtschaft. Denn in den letzten Jahrzehnten bemühten sich Züchter zunehmend, Pflanzen durch die Kombination vieler Resistenzgene möglichst unempfindlich gegen Viren, Bakterien und Pilze zu machen, um so Pflanzenschutzmittel reduzieren und höhere Ernten einfahren zu können. Es ist nicht auszuschließen, dass Pflanzen diesen Bemühungen recht enge Grenzen setzen, man also in Hybriden nicht beliebige Resistenzgenvarianten miteinander kombinieren und obendrein guten Ertrag erwarten kann.

Andererseits: Hybride sind nicht immer schwächer als ihre Eltern, sondern können mit erstaunlichen Eigenschaften aufwarten, die keine der Eltern zeigte. F1-Hybride wachsen sehr gleichförmig und fallen durch besonders gute Erträge auf. Vor allem der Maisanbau profitiert davon. Diesen so nützlichen Effekt, der sich in der F2-Generation schon wieder verliert, nennt man Heterosis – und dessen biologische Basis ist noch völlig unbekannt.


Karin Hollricher


Illustration: © barefootB / Fotolia



Letzte Änderungen: 17.02.2015