Editorial

Nature führt Doppelblind-Verfahren ein

(25.2.2015) Wer ein Manuskript bei Nature einreicht, darf demnächst wählen, ob die Gutachter die Namen der Autoren erfahren. Ein wirksames Mittel gegen Diskriminierung? Leonid Schneider hat Zweifel.
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Bei den Nature-Journals gibt es ab März eine redaktionelle Neuerung. Autoren können verlangen, dass die eigenen Namen und die Institution vor dem Peer Review geschwärzt werden. Die Gutachter wissen also nicht mehr, von wem das Manuskript stammt und würden es deshalb sachlich und objektiv bewerten, so die Idee. Persönliche Meinungen zu den jeweiligen Kollegen oder allgemeine Vorurteile, beispielsweise gegen Frauen oder gegen Forscher aus bestimmten Ländern, sollen keine Rolle mehr spielen. Allein die Wissenschaft soll zählen.

Den Schritt zum doppel-blinden Peer Review gehen die Nature-Journals nach eigenem Bekunden, um dem Problem der Diskriminierung wegen „Geschlecht, (akademischen) Rang, Ansehen und Institutszugehörigkeit“ entgegenzutreten. Nun ist aber umstritten, ob es eine geschlechtsbezogene Diskriminierung beim Journal-Peer-Review gibt (anders als anscheinend bei der Begutachtung der Förderanträge), sei es nun einzel- oder doppelverblindet.

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Pflege der Eliten gehört zum Geschäftsmodell

Aber selbst wenn die Vorurteile tatsächlich bestehen, so ist schon fraglich, ob Nature diese wirklich mit dem doppel-blinden Verfahren bekämpfen kann – oder will. Das so überaus erfolgreiche Geschäftsmodell von Nature und Co fußt ja gerade auf der Pflege der Eliten und auf Exklusivität, und zwar genau in Bezug auf „akademischen Rang, Ansehen und Institutszugehörigkeit“.

Laut Nature sahen es manche Editoren als ihre Verantwortung an, den potenziellen Vorurteilen der Referees vorzubeugen. Nun soll es das doppel-blinde Peer Review richten. Nach landläufiger Meinung entscheiden die Journal-Editoren selbst aber ziemlich intransparent, wenn nicht willkürlich, welches Manuskript überhaupt ins Peer Review geht. Sind die übermächtigen, aber nicht unbedingt im gleichen Maße fachlich kompetenten Editoren der Elite-Journals nicht ein Teil des Problems, in ihrer Schlüsselrolle als „Torwächter“? (Siehe dazu auch diesen Übersichtsartikel von David Resnik und Susan Elmore.)

Ein Dorf, in dem jeder jeden kennt

Die Nature-Ankündigung beruft sich auf eine der Studien, die das doppel-blinde Peer Review als das Modell identifiziert, das sich Autoren und Referees explizit wünschen. Das anonymisierte Verfahren mag hier und da Vorteile bringen. Tatsächlich sollen Fachjournals für Krankenpflege mit einem konsequent doppelt verblindeten Begutachtungsprozess gute Erfahrungen gemacht haben. Wie eine solche Studie zeigte, konnten die Reviewer die Autoren anhand des Manuskripts in der Tat größtenteils nicht ermitteln.

Das wird aber nicht überall stimmen. Ein spezialisiertes Wissenschaftsfeld ähnelt oft einem Dorf, in dem sich alle, die halbwegs regelmäßig publizieren, auch gut kennen. In nicht wenigen Fällen sind Autoren deswegen sogar recht sicher, wer ihre geheimen Gutachter sind – alleine anhand ihrer Kommentare.

Bei Journals der Nature-Familie ist das Dorf noch viel kleiner, denn den selektiven Ansprüchen der Redaktion entsprechen meist nur Manuskripte aus einigen wenigen Elite-Laboren. Was dann beim Referee auf dem Tisch landet, wäre schnell einem bestimmten Fachkollegen zugeordnet, womöglich bereits beim Lesen des Abstracts. Viele Wissenschaflter halten das doppel-blinde Peer Review deshalb für sinnlos.

Bitte nur in eine Hälfte des Pools pinkeln

Zu allem Überfluss haben Nature-Journals kein konsequent doppel-blindes Verfahren eingeführt, sondern ein optionales. Die herkömmliche Standardroute der Einzel-Verblindung bleibt daneben bestehen, wie gehabt. Wie ein Nutzer auf der Seite RetractionWatch kommentierte, sind diese parallelen Prozeduren ungefähr so sinnvoll wie ein Schwimmbad, in dessen eine Hälfte man pinkeln darf und in die andere nicht. Tatsächlich ist es schwer vorstellbar, dass ein bekannter Institutsdirektor die Anonymität wählt, um die Welt des ums akademische Überleben kämpfenden Fußvolkes kennenzulernen, wie im Märchen vom Prinz und dem Bettler.

Wer sich aber als Autor mutwillig für Anonymität entscheidet, bekundet den potenziellen Referees, dass man keinen ausreichend großen Namen im Feld hat. Noch schlimmer, die Wahl der Anonymität könnte auch bedeuten, dass man seinen zahlreichen feindselig gesinnten Kollegen nicht traut, zu denen womöglich auch die jeweiligen Referees zählen. Eine gute Figur macht der Autor in keinem der beiden Fälle.

Mäßig begeistert

Die Begeisterung fürs doppel-blinde Peer Review legt sich offenbar schnell, sobald es in die Praxis geht, wie schon im Nature-Beitrag angedeutet wird. Nature Geoscience and Nature Climate Change hatten die Option der Doppelverblindung schon früher eingeführt, offenbar ohne durchschlagenden Erfolg. Nicht mehr als ein Fünftel der Autoren wählen die Anonymität für ihre dort eingereichten Manuskripte. Darüber hinaus ist nicht klar, wie viele Paper die Editoren ablehnen und gar nicht erst ins Peer Review schicken. Der tatsächliche Anteil der doppel-blind begutachteten Manuskripte bei diesen beiden Journals könnte also noch weit niedriger liegen.

Das offene Peer Review, also genau der umgekehrte Weg, bei dem Referees ihre Kommentare signieren, steht bei Nature offenbar nicht zur Debatte. Interessanterweise zeigte aber eine Studie, dass die Autoren, aber auch recht viele Referees, dem offenen Peer Review zugeneigt wären. Im Übrigen stuften Editoren die transparent verfassten Gutachten als qualitativ genauso gut ein wie die klassischen, bei denen der Name des Referees unbekannt war. Hat man etwa Angst, dass offenes Peer Review das Elite-Konzept der Nature-Familie untergraben könnte?

 

Leonid Schneider


Abb.: © Blend Images / fotolia



Letzte Änderungen: 22.04.2015