Editorial

Herausgeber-Zoff bei Frontiers (Teil 1)

(5.6.15) Der Frontiers-Verlag kündigt 31 seiner Editoren die Zusammenarbeit auf. Hintergrund ist ein Streit über das eigenwillige Publikationsmodell des Verlags.
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Der Schweizer Neurowissenschaftler Henry Markram ist wieder in den Nachrichten. Diesmal geht es aber nicht um sein Human Brain Project, für das die EU eine Milliarde Euro ausgeben will. Im Zentrum des neuen Streits steht das Open-Access-Verlagshaus Frontiers, das Markram und seine Frau Kamila im Jahr 2007 gründeten und seitdem gemeinsam führen. Kamila Markram ist die offizielle Chefin, während Henry Markram früher „Executive Publisher“ war und offenbar nach wie vor die Geschicke der Frontiers-Titel maßgeblich lenkt.

Und da fängt das Problem eigentlich schon an.

Denn eine strikte Trennung zwischen Verlag und Redaktion, wie bei ernsthaften akademischen Verlagen eigentlich üblich, gibt es bei Frontiers offenbar nicht. Zumindest ist das der Eindruck einer Gruppe von Editoren, die dem Verlag in einem Manifest vorwarfen, in unzulässiger Weise in die redaktionelle Freiheit einzugreifen.

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Der große Rauswurf

Der Verlag widersprach dem Manifest. Frontiers habe eine saubere Trennung zwischen den redaktionellen Entscheidungen der externen akademischen Editoren und dem Verlagsgeschäft. Die aufmüpfigen Editoren widersprachen dem Widerspruch. Eine Einigung war offenbar nicht möglich. Das Magazin Science berichtete jedenfalls, dass der Frontiers-Verlag die 31 Unterzeichner des Manifests, allesamt Editoren der Spartenjournals Frontiers in Medicine und Frontiers in Cardiovascular Medicine, kurzerhand entließ.

Das war ein cleverer Schachzug, denn die frustrierten Chef-Editoren hatten sowieso vor zurückzutreten, wie Laborjournal erfahren hat. Seit dem Vorfall am 7. Mai sollen angeblich 44 weitere Editoren bei Frontiers in Medicine und Frontiers in Cardiovascular Medicine hingeworfen haben.

Matthias Barton, Kardiologie-Professor an der Universität Zürich, und jetzt entlassener Chef-Editor beider Journals, erklärt: Für Frontiers lohne es sich finanziell, möglichst viele Manuskripte gegen Gebühr zu publizieren. Allerdings könnten unzureichend begutachtete klinische Studien die Gesundheit der Patienten gefährden. Und die Begutachtung läuft bei Frontiers nach etwas eigenwilligen Regeln ab.

Eigenwilliges Publikationssystem

Das weitgehend automatisierte Publikationssystem, das Markram patentieren ließ, funktioniert so: Die Autoren reichen ihr Manuskript bei einem Frontiers-Journal ein und wählen aus einer Liste der Associate Editors einen aus, der ihnen zusagt. Dieser betreut das Manuskript und dessen Peer Review bis zur Publikation (bzw. bis zur Ablehnung).

Natürlich können da Interessenskonflikte entstehen. Oder der von den Autoren gewählte Associate Editor könnte sich als fachlich ungeeignet erweisen. Aber deshalb gibt es ja den Editor-in-Chief? Der kann doch korrigierend eingreifen, um für Objektivität und Qualität der Begutachtung zu sorgen? Theoretisch ist das auch bei Frontiers möglich. Aber, anders als bei anderen Verlagen üblich, bekommen die Chef-Editoren oft gar nicht mit, welche Manuskripte gerade eingereicht wurden und wie es um deren Begutachtung steht. Die Editors-in-Chief haben offenbar keinen direkten Zugriff auf die redaktionellen Informationen ihres Journals.

In Science berichtete Jos van der Meer, Leiter der Inneren Medizin an der Radboud Universität Nijmegen (Niederlande), dass Frontiers seine Einsprüche gegen aus seiner Sicht unberechtigt akzeptierte Manuskripte verworfen habe. Als Editor-in-Chief von Frontiers in Medicine musste er sich in einigen Fällen auch dafür rechtfertigen, dass er bestimmte Manuskripte abgelehnt hatte.

Christian Gleißner, Kardiologe am Universitätsklinikum Heidelberg, und ein paar Monate lang Chef-Editor für Molekulare Kardiologie, berichtet Ähnliches: Während in seinem Verantwortungsbereich nur zwei Manuskripte eintrafen, wurde eines davon gänzlich ohne sein Wissen bearbeitet und akzeptiert. Informiert wurde er, genau wie van der Meer, erst im Nachhinein. Mehrere ehemalige Chef-Editoren (allesamt Professoren und leitende Ärzte) sagten, ihre Aufgabe sei es schlicht gewesen, den eigenen Namen für das Journal hinzuhalten. Wirklichen Einfluss auf dessen redaktionelle Politik hatten sie offenbar nicht.

Redaktionelle Unabhängigkeit – ein Fremdwort für Frontiers?

Das Editoren-Manifest fordert von Frontiers, die Empfehlungen des International Committee of Medical Journal Editors (ICMJE) zu befolgen. ICMJE hält sich wiederum an die eindeutigen Richtlinien zur redaktionellen Unabhängigkeit der World Association of Medical Editors (WAME). Diese Richtlinien betonen die redaktionelle Vollmacht des Editor-in-Chief für den gesamten Inhalt des Journals. Vom Journal-Besitzer bzw. Verleger wird gefordert, auf redaktionelle Prozesse in keiner Weise Einfluss zu nehmen. Auch das Committee on Publication Ethics (COPE ), dem Frontiers beitreten will, erwartet von den Verlegern, die redaktionelle Unabhängigkeit zu respektieren.

Frontiers hält das eigene System aber für das bessere. Der Verlag weigert sich aus Prinzip, den Editors-in-Chief die Verantwortung zu überlassen und ihnen die Associate Editors unterzuordnen.

Und über allem wacht und entscheidet am Ende die Verlagsleitung, das heißt: die beiden Markrams, sowie ein gewisser Frederick Fenter als Executive Editor. Als Fenter die Chef-Editoren entließ, begründete er dies unter anderem so: „Das Frontiers-Modell mag nicht jedem passen, aber wir stehen weiterhin zu unseren Prinzipien. Selbst wenn dies die Existenz der Journals bedrohen sollte.“


Leonid Schneider

Illustration: (c) Artpuppy / iStock

 

Aber warum haben die Editoren sich überhaupt bei Frontiers beworben, wenn ihnen das Markram-Modell nicht zusagt? Dazu demnächst mehr an dieser Stelle.




Letzte Änderungen: 25.07.2015